Schnitzel-Wahlkampf

39 Millionen Euro Steuergeld sind für die Wiener Gastro-Gutscheine veranschlagt. Doch Millionen Euro fließen nicht an die Gastronomie, sondern in die Werbekampagne der Stadt Wien.

Von Peter Sim und Florian Skrabal; Mitarbeit: Johannes Pressler

Inserate4.8.2020 

Ein Schnitzel der Superlative. Größer als beim Riesenschnitzel-Wirt, die perfekte goldbraune Panier, nur – und das ist der Haken – zigtausendmal teurer als in echt: Ein solches tischten die Verwalter der Stadt Wien in den vergangenen Wochen dem Volk in einer großangelegten Werbekampagne auf. Ihr Motiv: den Wiener Gastro-Gutschein bewerben.

Etwa am 29. Juni in Form eines doppelseitigen Inserats in der Gratiszeitung Heute. „Gutschein für eine Portion Freude“, so der Slogan auf der laut Listenpreis 50.687 Euro teuren Einschaltung. Oder am 30. Juni in Form einer Ummantelung der Wien-Krone. Preis: „auf Anfrage“, jedenfalls sehr viel. Welch Freude das den Zeitungsmachern bereiten muss.

Wie eine Erhebung von DOSSIER zeigt, bewarb die Stadt Wien ihr jüngstes Gastro-Schmankerl mit Inseraten in der Höhe des Bruttowerbewerts von mehr als 635.000 Euro – in nur sechs von DOSSIER erhobenen Tageszeitungen in nur zehn Tagen. Die tatsächlichen Ausgaben liegen um etliches darüber. Doch warum überhaupt einen Gutschein bewerben, den jeder bekommt?

Immerhin wurde der Gutschein, mit dem die Wiener Gastro-Szene nach dem Lockdown angekurbelt werden soll, ohnehin an rund 942.000 Wiener Haushalte verschickt – Einzelhaushalte bekamen 25 Euro, Mehrpersonenhaushalte 50 Euro von der Stadt, um in Restaurants, Kaffeehäusern oder Lokalen Essen oder Trinken zu gehen. Man kann, nein, man muss davon ausgehen, dass jede Wienerin und jeder Wiener von dem Gutschein wusste, spätestens als dieser im Postfach lag.

Mit oder ohne Inserat – auch die Medien berichteten darüber rauf und runter, zusätzlich lag dem Gutschein ein Begleitschreiben des Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ) bei; inklusive Durchhalteparolen, Glückwünschen, einer Anleitung und einem Foto des Bürgermeisters. Und nicht zu vergessen: all die Werbung in den stadteigenen Zeitungen, wie zum Beispiel in Mein Wien, das einmal im Monat an alle Haushalte in Wien zugestellt wird. Was steckt also dahinter, und wie viel kostete die omnipräsente Werbekampagne der Stadt?

DOSSIER hat nachgefragt.

Die Antworten des Bürgermeistersprechers waren ebenso knapp wie ausweichend. 301.242 Gutscheine im Wert von 10,73 Millionen Euro seien bereits eingelöst worden. Das Ziel der Kampagne sei, „die Menschen in Wien dazu zu animieren, den Gutschein einzulösen und somit die Gastro-Betriebe in Wien zu unterstützen“.

Die Antwort auf die Frage, wie viel des veranschlagten Budgets in Inserate, Webvideos, die begleitende Website, in Fernsehspots und andere Medien gesteckt wurde und damit nicht in den Mägen der Menschen und den Kassen der Wirtinnen und Wirte ankommt, wollte man erst gar nicht beantworten.

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Anfang des Sommers interessierte sich bereits die Wiener Opposition für die flächendeckende Kampagne des Bürgermeisters. In einer Anfrage kritisierte die Wiener Volkspartei Ende Juni die Aufmachung des Begleitschreibens des Gastro-Gutscheins: „Offenkundig scheint die Wiener Stadtregierung dieses Unterstützungsinstrument als Werbemittel und Teil des Wahlkampfes für die am 11. Oktober anstehende Gemeinderatswahl zu benützen.“

Im Juli schossen die Wiener Neos eine Anfrage hinterher und verlangten eine genaue Aufschlüsselung der Kosten der Werbekampagne, denn: „Über den nicht unerheblichen Aufwand für diese Kampagne ist der Öffentlichkeit und dem Gemeinderat bisher nichts bekannt.“ Bis Ende August hat die Stadtregierung noch Zeit, um die Fragen der Opposition zu beantworten.

Bei der bisherigen Intransparenz bleibt vorerst nur eine Hilfsrechnung: Im Juni hatten die Abgeordneten von SPÖ und den Grünen im Wiener Gemeinderat beschlossen, die Aktion mit insgesamt rund 39 Millionen Euro zu budgetieren – inklusive Werbekampagne. Weniger als ein Drittel, fast elf Millionen Euro flossen bisher über 300.000 eingelöste Gutscheine tatsächlich an die Gastrobetriebe. Selbst wenn alle 942.000 Gutscheine eingelöst würden, ergäbe das nur 33,6 Millionen Euro – und das hieße wiederum: Es blieben rund 5,4 Millionen Euro für Anderweitiges, wie die Werbekampagne.

Hier finden Sie die DOSSIER-Erhebung der Inserate zum Wiener Gastro-Gutscheine zum Download:

Zum Vergleich: Geht man von einem Schnitzelpreis von 15 Euro aus, hätte man dafür rund 360.000 Schnitzel kaufen können. Die fast 12.600 im Jahr 2019 bei der Wiener Wohnungslosenhilfe gemeldeten Menschen hätten einen Monat lang je ein Schnitzel am Tag essen können. So landet das Geld letztlich auf den Tellern der Medienmacher, Großteils bei der Familie Dichand. In einem Wahljahr, das weiß der Bürgermeister, ist besonders darauf zu achten, dass der Boulevard satt wird.