Es ist eine sozialdemokratische Karriere wie aus dem Bilderbuch: ein einfacher Funktionär aus einem Bezirk am Wiener Stadtrand, der es bis zum Stadtrat bringt und über das Ressort „Wohnen und Wohnbau“ schließlich ganz an die Spitze kommt.
Ende 2008 wird Werner Faymann (SPÖ) – nach zwei Jahren Intermezzo als Verkehrsminister – als Bundeskanzler der Republik Österreich angelobt. Knapp zehn Jahre später ist es Faymanns Nachfolger als Wohnbaustadtrat, der einen ähnlichen Karrieresprung macht: Michael Ludwig ist seit 24. Mai 2018 Wiener Bürgermeister.
Faymann und Ludwig verbinden nicht nur Stationen ihrer politischen Karrieren. Beide bewiesen in ihrer Zeit als Wohnbaustadtrat Händchen im Umgang mit Medien. In der Hauptstadt heißt das: Zeitungen mit Inseraten füttern, allen voran den Boulevard. Dafür gibt es schmeichelnde Berichte oder schlicht redaktionelle Werbung für die Politiker.
Wie Faymann steckte auch Michael Ludwig Unmengen an Steuergeld in Inserate und Öffentlichkeitsarbeit. 41,5 Millionen Euro in zehn Jahren, umgerechnet 11.400 Euro täglich, gab die Ludwig untergeordnete Magistratsabteilung 50 („Wohnbauförderung und Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten“) für Öffentlichkeitsarbeit aus.
Früher war alles leichter
Vorgemacht hatte es Werner Faymann, indem er öffentlich finanzierte Kampagnen nutzte, um sich selbst zu inserieren – Imagepolitur des Stadtrats auf Kosten der Allgemeinheit. Auch Ludwig nutzte das zunächst ähnlich wie sein Vorgänger.
Doch seit 2012 gelten strengere Regeln. Seither sind das Medientransparenzgesetz und das sogenannte „Kopfverbot“ in Kraft; Spitzenpolitiker dürfen demnach öffentliche Inserate nicht mehr zur Steigerung ihrer eigenen Bekanntheit nutzen.
Michael Ludwig dürfte einen Workaround gefunden haben: DOSSIER stieß in Recherchen auf zahlreiche Beiträge in Zeitungen, die wie Werbung für den Stadtrat wirken und diesen auch abbilden – angeblich ohne dass dafür Geld geflossen wäre.
Doppelseitige Berichte über Projekte des Wohnressorts in News, ein Gemeindebau-Spezial im Kurier, ein mehrwöchiges Gewinnspiel in der Kronen Zeitung – jeweils mit Fotos von Michael Ludwig. Der Wohnbaustadtrat ständig präsent und in Pose.
Redaktionelle Berichterstattung über einen Politiker, diesen positiv wie in bezahlten Anzeigen wirken zu lassen, das hatte Werner Faymann in Wien eingefädelt und schließlich im Bund salonfähig gemacht.
Perfektioniert scheint das System aber Ludwig zu haben: Er bekommt wohlwollende Berichterstattung über den geförderten Wohnbau samt seinem Konterfei angeblich gratis. Faymann musste für solche „Berichte“ noch zahlen, heute sollen diese Beiträge unentgeltlich sein, wie es vonseiten der betroffenen Zeitungen heißt.
Es gebe beim Kurier „kein Verbot, über positive Geschehnisse zu berichten“, sagen Chefredakteur Helmut Brandstätter und Mediaprint-Geschäftsführer Thomas Kralinger auf DOSSIER-Anfrage.
News-Chefredakteurin Esther Mitterstieler bestätigt, dass es sich bei den Wohnbau-Doppelseiten um rein redaktionelle Artikel handelt und verweist auf die Wichtigkeit des Themas Wohnbau. Und auch Krone.at-Chefredakteur Richard Schmitt verneint jeden Zusammenhang mit Inseraten.
Faymanns Erbe
Dennoch profitieren diese und andere Printmedien seit Jahren von den hohen Werbeausgaben der Stadt. Wie Faymann machte sich auch Ludwig eine Besonderheit des Wohnbauressorts zunutze: den eigenen Budgetposten für Öffentlichkeitsarbeit.
Zwar verwaltet der Wiener Presse- und Informationsdienst (PID) den Großteil des Inseratenbudgets der Stadt zentral, einige Geschäftsgruppen – so das Wohnbauressort – haben aber zusätzlich noch eigene Werbebudgets.
Im Fall von Faymann/Ludwig steckt das Geld in der Magistratsabteilung 50, genauer im Posten „Entgelte für laufende Information über geförderten Wohnbau“ (1/4810/728013). Wie eine DOSSIER-Auswertung der Rechnungsabschlüsse der Stadt zeigt, nahm während den Amtszeiten beider Wohnbaustadträte das Informationsbedürfnis der MA 50 enorm zu.
Erstmals stiegen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit im Jahr 2004 rasant an. Anfang des Jahres plant der damalige Wohnbaustadtrat Werner Faymann noch 400.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit ein, am Ende des Jahres wird die MA 50 mehr als das Sechsfache ausgegeben: rund 2,5 Millionen Euro.
Das Informationsbedürfnis für den geförderten Wohnbau war just im Gründungsjahr der Gratiszeitung Heute in die Höhe geschossen. Ein Zufall? Faymanns langjähriger Pressesprecher Wolfgang Jansky war damals jedenfalls von der Stadt in die Heute-Geschäftsführung gewechselt – aber das ist eine andere Geschichte.
Als Ludwig das Amt 2007 übernimmt, pendeln sich die Ausgaben der MA 50 zunächst ein: bei rund drei Millionen Euro. Dann wächst das Werbebedürfnis wieder. 2012 auf 4,5 Millionen Euro. 2015, im Jahr der Wien-Wahl, erreichen die Ausgaben ihren bisherigen Höchststand: fast sechs Millionen Euro.
Das Leistungsangebot der Stadt Wien und der Bedarf an Information der Bürgerinnen und Bürger seien gewachsen, begründet Michael Ludwigs Pressesprecher die immense Steigerung gegenüber DOSSIER und dem ORF.
Inserieren statt kontrollieren
Das ist nicht alles. DOSSIER-Recherchen legen einen Verdacht nahe, der bis heute nicht entkräftet ist: dass die Mehrausgaben für Öffentlichkeitsarbeit auf Kosten anderer zentraler Aufgaben des Wohnbauressorts gingen. Denn aus demselben Budgetposten wird nicht nur die Öffentlichkeitsarbeit bezahlt, sondern auch die „Leistungen für Bauaufsichtsorgane“.
Damit finanziert die MA 50 die Prüftätigkeit des Wohnfonds Wien. Der Wohnfonds muss sicherstellen, dass öffentlich geförderte Sanierungen ordnungsgemäß durchgeführt werden. Sowohl in der Ära Faymann als auch unter Stadtrat Ludwig gingen die Mehrausgaben für Öffentlichkeitsarbeit mehrmals mit Minderausgaben für die Bauaufsichtsorgane einher.
2004 und 2005, als unter Werner Faymann das Informationsbedürfnis rasant wächst und der Stadtrat sich die Mehrausgaben sogar im Gemeinderat absegnen lassen muss, gehen gleichzeitig die Ausgaben für die Bauaufsicht zurück.
Werbung überholt Bauaufsicht
Ab 2012 steigen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit erneut, während jene für die städtische Bauaufsicht sinken, bis sie im Jahr der Wien-Wahl schließlich erstmals in den vergangenen 16 Jahren unter dem Informationsbudget liegen. Die Budgetposten stünden „natürlich in keinem Zusammenhang“, schreibt der Sprecher des Wohnbaustadtrats auf DOSSIER-Anfrage im Jänner 2018.
Doch die Öffentlichkeitsarbeit, die Bauaufsicht und andere Kostenstellen der MA 50 werden im Rechnungsabschluss der Stadt im Posten 1/4810/728 als „Entgelte für sonstige Leistungen“ zusammengefasst.
Innerhalb des Budgetpostens kam es mehrmals zu auffälligen Verschiebungen: In den Jahren 2014 und 2015 gab die MA 50 etwa deutlich mehr für Öffentlichkeitsarbeit aus als geplant. Weil gleichzeitig weniger Kosten für die Bauaufsicht anfielen, glich sich das Budget aus.
Bau- und Prüfmängel bei Sanierungen
War Stadtrat Ludwig Außenwirkung wichtiger als die Ausführungsqualität städtischer Sanierungen? 2015 veröffentlichte der Wiener Stadtrechnungshof einen Bericht über den Wohnfonds Wien, dessen Prüftätigkeit aus dem Wohnbauressort finanziert wird.
Die Prüfer stießen bei Baustellenbegehungen auf zahlreiche Mängel. Aufgrund „der Vielzahl von zu betreuenden Baustellen und der begrenzten Anzahl von zur Verfügung stehendem bautechnischem Personal“ habe der Wohnfonds Kontrollen nur „in Form von Stichproben“ durchgeführt, steht in ihrem Bericht.
Die Empfehlung der Prüfer: „In Anbetracht der Höhe der vom Land Wien eingesetzten Förderungsmittel“ solle man „Maßnahmen zur Hebung der Ausführungsqualität von Wohnhaussanierungen“ setzen.
Die Zahlungen an den Fonds richten sich laut dem Sprecher des Wohnbaustadtrats nach der Zahl der durchgeführten Prüfungen. „Da in den letzten Jahren ein Rückgang der Anträge zu verzeichnen ist, haben sich auch die Prüfgebühren reduziert“, heißt es dazu aus der Geschäftsführung des Wohnfonds. Die Prüftätigkeit werde ordnungsgemäß durchgeführt.
Hohe PR-Kosten beim Wohnfonds Wien
Kritik am Wohnfonds Wien dürfte indes auch vom Bundesrechnungshof kommen: Die Presse berichtete Mitte April 2018 über einen bis dato unveröffentlichten Prüfbericht und „einige erklärungsbedürftige Ungereimtheiten in dem Fonds“.
Erneut geht es dabei um hohe PR-Ausgaben: 3,94 Millionen Euro habe der Wohnfonds Wien von 2012 bis 2016 für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben – 80 Prozent davon laut Presse für „reine Eigen-PR und Selbstdarstellung“.
An der Spitze des Wohnfonds Wien steht seit 2007 Präsident Michael Ludwig. Davor bekleidete die Funktion Wohnbaustadtrat Werner Faymann, und Josef Ostermayer, Faymanns langjähriger Weggefährte, war von 2004 bis 2006 Geschäftsführer des Fonds.
Diese Recherche ist erstmals am 19.1.2018 auf DOSSIER erschienen. Dies ist eine aktualisierte und ergänzte Version des Artikels anlässlich der Übergabe des Wiener Bürgermeisteramtes an Michael Ludwig am 24.5.2018.