Falls alles in Österreich doch noch mit rechten Dingen zugehen wird, dann wird Werner Faymann es irgendwann – Zeitpunkt unbekannt – bereuen, nicht vor dem Untersuchungsausschuss zu seiner Inseratenaffäre ausgesagt zu haben. Wie die jüngste Entwicklung zeigt, hat er gegen eine Grundregel in der Politik verstoßen, die da lautet: Alles, was nicht umgehend aufgeklärt wird, verfolgt den Betreffenden immer wieder. Es verschwindet einfach nicht.
Anneliese Rohrer, Die Presse, 8. November 2013
Das hat es in Österreich zuvor noch nicht gegeben: staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen einen amtierenden Bundeskanzler. Fast zweieinhalb Jahre begleiten die Vorwürfe der Untreue (§153 StGB) und der falschen Zeugenaussage (§288 StGB) den zwölften Bundeskanzler der Zweiten Republik. In den Medien werden die Vorwürfe schlicht als „Inseratenaffäre“ bezeichnet. Im Kern geht es um die Frage, ob Faymann in seiner Zeit als Verkehrsminister (2007 bis 2008) gemeinsam mit seinem damaligen Kabinettschef Josef Ostermayer Druck auf Vorstände der Staatsbetriebe ÖBB und Asfinag ausgeübt hat, damit diese öffentlichen Unternehmen – deren Eigentümervertreter Faymann damals war – in Zeitungen inserieren, zu denen er ein Naheverhältnis pflegt.
Seit Beginn der Ermittlungen im Sommer 2011 geht es in dem Verfahren einmal hin, dann wieder her. In den Medien wie in der Justiz. Einmal verdichten sich die Vorwürfe, dann verlaufen sie sich. 2012 will die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren einstellen, doch die Oberstaatsanwaltschaft weist weitere Ermittlungen an. Sie geht dabei, wie Die Presse im September 2012 berichtet, von vier „Sachverhaltsannahmen“ aus:
1. Die Inserate wurden von den Beschuldigten Faymann und Ostermayer „in Auftrag gegeben“.
2. Eine Vertretungsbefugnis für die Unternehmen oder ein diesbezüglicher Auftrag lag nicht vor.
3. Die Beschuldigten haben also die Aufträge im eigenen Namen abgeschlossen.
4. Sämtliche Forderungen wurden ausschließlich von Asfinag und ÖBB beglichen.
Am 5. November 2013 kommt die Staatsanwaltschaft Wien zu einem Ergebnis: Per Presseaussendung teilt sie die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Werner Faymann und Josef Ostermayer mit. Am selben Tag ist Franz Fiedler, ehemals Präsident des Rechnungshofes und heutiger Ehrenpräsident von Transparency International, bei Armin Wolf zu Gast in der ZIB2. Fiedler findet klare Worte.
Tags darauf kündigt die Justiz die Veröffentlichung der Begründung an. Bis heute heißt es jedoch: warten. Michael Klackl, Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft Wien, die für die Veröffentlichungen von Verfahrenseinstellungen zuständig ist, erklärt DOSSIER Anfang September 2014 am Telefon: „Es ist geplant, die Begründung zu veröffentlichen.“ Wann? Das könne er mit Verweis auf noch laufende Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte nicht sagen.
Seit die Justiz im Juni 2011 nach einer Sachverhaltsdarstellung eines politischen Gegners, des FPÖ-Generalsekretärs Harald Vilimsky, gegen Werner Faymann und Josef Ostermayer (beide SPÖ) ihre Arbeit aufgenommen hat, weitet sich der Kreis der Beschuldigten stetig aus: Neben den Asfinag-Vorständen führt die Staatsanwaltschaft auch etliche ehemalige ÖBB-Manager als Beschuldigte. Etwa die früheren ÖBB-Chefs Martin Huber und Peter Klugar.
Der abgedrehte U-Ausschuss
Im Jahr 2012 beschäftigt sich nicht nur die Justiz mit der „Inseratenaffäre“ des Bundeskanzlers. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss war eingerichtet worden, um neben anderen Themen auch Werner Faymanns Verbindungen zu Österreichs Medien, ihren Macherinnen und Machern, zu untersuchen. Josef Ostermayer, damals Staatssekretär für Medien, stellt sich den Fragen der Abgeordneten. Der Bundeskanzler bleibt dem Parlament fern. Im Oktober 2012 beenden Abgeordnete der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP den Ausschuss vorzeitig. Dass die Inseratenvergabe Potenzial zur Staatsaffäre hat, steht für viele seither außer Zweifel. In ihrem Abschlussbericht schreiben die Grünen: „Der Untersuchungsgegenstand ‚Regierungsinserate’ litt neben dem Beweisthema ‚Telekom-Ostgeschäfte’ am meisten unter der von den Regierungsparteien erzwungenen raschen Beendigung des Untersuchungsausschusses.”
Zur Erinnerung: Am 11. Jänner 2007 war Werner Faymann als Verkehrsminister unter SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer angelobt worden. Knapp zwei Wochen als Verkehrsminister im Amt – und die Inseratenstrecke „Unsere Bahn“ ist auf Schiene; jene Anzeigenserie, die in der Kronen Zeitung erscheint, die ÖBB 500.000 Euro kosten und die „Inseratenaffäre“ auslösen wird.
Die Krone hebt den Start der Faymann-Dichand-Zusammenarbeit am 26. Jänner 2007 auf die Titelseite. Im Zwei-Wochen-Takt erscheinen doppelseitige Anzeigen, die als „Reportage“ ausgewiesen und nicht als Werbung gekennzeichnet sind. Krone-Mann Michael Pommer greift in die Tasten; jener Journalist, der nur rund zwei Jahre zuvor beim Wohnmagazin Die Stadt ein „Stadt-Reporter“ war und etwa über Werner Faymann und das „Abenteuer Spielplatz“ geschrieben hatte – Berichte, die ähnlich wie bei der ÖBB-Serie Schleichwerbung sind. So schließt sich der Kreis im Netz der Gratiszeitung.
Vor seinem Wechsel in die Bundespolitik hatte Werner Faymann als Wiener Wohnbaustadtrat jahrelang ein Wohnmagazin, das er initiiert hatte; das voll mit wohlwollenden Berichten über ihn war und an rund 300.000 Haushalte in der Hauptstadt frei Haus geliefert wurde. Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, waren zwischen Februar 2004 und September 2005 rund eineinhalb Millionen Euro aus Firmen, für die der Stadtrat verantwortlich zeichnete, in das Magazin geflossen. Einen erheblichen Teil davon hatte seine rechte Hand, Josef Ostermayer, beschafft.
Profitiert vom Erfolg des Magazins hatte auch Eva Dichand, die Schwiegertochter des 2010 verstorbenen Gründers der Kronen Zeitung Hans Dichand; Faymanns rotarische Freundin, die damals 14 Monate lang gleichzeitig die Geschäftsführerin des Wohnmagazins und der Gratiszeitung Heute war. Aber damals war alles anders, im Jahr 2004, dem Jahr der Zeitung. Fast alles. Eine Konstante bleibt: Damals wie heute bleiben Fragen offen und die politische Verantwortung ungeklärt.