Betrugsverdacht gegen Martin Ho

Die Staatsanwaltschaft Wien hat im März ein Ermittlungsverfahren gegen Martin Ho eingeleitet. Der Verdacht: Betrug bei der Abrechnung von Corona-Förderungen.

Von: Ashwien Sankholkar

Aktuelles31.3.2022 

Aufmacherfoto: Jeff Mangione / Kurier / picturedesk.com

Update vom 1. März 2024:

Freibrief vom Staatsanwalt

Das Arbeitsmarktservice Wien hatte Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft (StA) Wien erstattet, wie DOSSIER im März 2022 berichtete (siehe unten). Die StA Wien stellte das Strafverfahren gegen Martin Ho am 12. Dezember 2023 ein. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien verweigerte mit Verweis auf die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens eine ausführliche Erklärung. Aufgrund einer DOSSIER-Anfrage ordnete das Justizministerium jedoch die Veröffentlichung der Einstellungsbegründung an. Das DOSSIER vorliegende Papier birgt einige Überraschungen.

»Es ist unbestritten, dass einige der auf den Kurzarbeitsanträgen geleisteten Unterschriften nicht von den jeweiligen Mitarbeiter·innen selbst stammen«, heißt es in der Einstellungsbegründung vom 6. Februar 2024. Trotzdem sind die gefälschten Unterschriften nicht strafbar.

Warum?

»Aufgrund der vorliegenden Zeugenaussagen lag jedoch der Schluss nahe, dass diese – von nicht mehr feststellbaren Personen – aus Praktikabilitätserwägungen ›in Vertretung‹ geleistet und nicht zum Zweck der betrügerischen Erlangung von Kurzarbeitshilfe gefälscht wurden«, schreiben die ermittelnden Staatsanwälte.

Für Kopfschütteln sorgt auch die Erklärung, warum der Schaden nicht quantifizierbar sei: »Hinsichtlich einer konkreten Schadenssumme ist festzuhalten, dass diese vom AMS bis zuletzt, insbesondere auch aufgrund fehlender Arbeitszeitaufzeichnungen, nicht ermittelt werden konnte.« 

Die Einstellungsbegründung liest sich wie ein Freibrief zum Schummeln: »Unter Berücksichtigung der Vielzahl von Betrieben und Arbeitnehmern ist durchaus nachvollziehbar, dass es coronabedingt immer wieder zu zumindest krankheitsbedingten Ausfällen kam, betroffene Mitarbeiter·innen ersetzt werden mussten und fallweise Arbeitsleistungen erbracht wurden, die letztlich nicht mit den Angaben in den ursprünglichen Anträgen in Übereinstimmung zu bringen waren.«

Und was sagte Martin Ho zu den Vorwürfen? 

Zitat aus der Einstellungsbegründung: »Der Beschuldigte Anh Tuan Ho gab diesbezüglich im Zuge seiner Vernehmung an, er selbst beschäftige sich seit fünf bis sechs Jahren ausschließlich mit strategischen und künstlerischen Themen, dem Aufstellen neuer Finanzierungen sowie dem Erkennen internationaler Trends. Er habe dem Mittelmanagement die Anweisung gegeben, sich um die Umsetzung der Kurzarbeit und aller damit verbundenen Maßnahmen zu kümmern, er selbst habe daher keine weiteren Wahrnehmungen zum konkreten Prozedere.«

Diese saloppe Erklärung reichte aus, um die Ermittlungen gegen den Freund von Sebastian Kurz einzustellen. (Ende)


Er ist das Enfant terrible der Wiener Gastronomie: Martin Ho. Der 35-Jährige betreibt nicht nur eine Vielzahl von Clubs und Restaurants, sondern zählt zu den besten Freunden von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Den Verbindungen ins Kanzleramt unter Kurz verdankt er seinen Spitznamen Horakel: Während der Pandemie soll Martin Ho früher als andere über Lockdowns informiert gewesen sein – Infos, über die nur wenige verfügten.

Die Informationsweitergabe wurde vom Kanzleramt stets bestritten, dem Horakel-Image schadete das nicht. Anh Tuan Ho, wie der gebürtige Vietnamese mit vollem Namen heißt, gehört zur türkisen Familie. Die Nähe zur ÖVP-Spitze – auch Ex-Finanzminister Gernot Blümel zählt zum Ho-Freundeskreis – wurde öffentlich zur Schau gestellt. Anzeigen über Missstände in der Dots-Gruppe von Martin Ho wurden zögerlich behandelt. Zumindest bis vor Weihnachten 2021.

Seit dem Rücktritt von Kurz und Blümel Anfang Dezember wird es auch für Ho ungemütlich. Vorläufiger Höhepunkt ist eine jüngst eingebrachte Anzeige gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft (StA) Wien. Nina Bussek, StA-Mediensprecherin, bestätigt gegenüber DOSSIER: »Wir haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es geht um den Verdacht des schweren Betrugs.« Die Anfangsverdachtsprüfung sei abgeschlossen. Das Strafverfahren laufe seit März, so Bussek. »Martin Ho wird als Beschuldigter geführt.«

Mutmassliche Missstände

Eine Sachverhaltsdarstellung des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien soll das Strafverfahren ausgelöst haben, was Bussek weder bestätigen noch dementieren möchte. Fakt ist: Mehrere ehemalige Mitarbeiter·innen der Dots-Gruppe waren im August 2021 an das AMS und das Finanzamt Österreich herangetreten, um Missstände bei den Abrechnungen von Corona-Förderungen anzuzeigen. Das zeigen DOSSIER exklusiv vorliegende Dokumente.

»Auf Basis der uns vorhandenen Lohn- und Gehaltsabrechnung und auf Basis von Covid-19-Kurzarbeits-Dienstzetteln besteht der Verdacht, dass der vormalige Arbeitgeber unserer Mandanten in großem Umfang rechtswidrig Kurzarbeitsförderungen beantragt und bekommen hat«, hält der Wiener Rechtsanwalt Paul Kessler in einer E-Mail vom 6. August 2021 an das AMS Wien fest. »Zu diesem Zweck haben wir bereits mit dem Amt für Betrugsbekämpfung beim Bundesministerium für Finanzen Kontakt aufgenommen.«

AMS-Wien-Geschäftsführerin Petra Draxl reagierte umgehend und schrieb Anwalt Kessler: »Bitte um Übermittlung der Daten, damit wir uns den Fall anschauen können.« Der lieferte dem AMS über mehrere Wochen detaillierte Informationen, darunter eine beim Finanzamt eingebrachte Aussage seines Mandanten Antonius Fontane (Name von der Redaktion geändert, Anm.).

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Aussage des Antonius

»Ich habe oftmals 40, 50, 60 Stunden gearbeitet, obwohl ich nur für zehn Stunden pro Woche angemeldet war. Ich habe pro Stunde neun Euro auf die Hand bekommen (dies gilt für jene Stunden, die nicht über den offiziellen Lohnzettel abgerechnet wurden)«, heißt es im Protokoll der Fontane-Aussage vom 13. August 2021, die auch der Staatsanwaltschaft vorliegt. »Der tatsächliche Auszahlungsbetrag stimmte niemals mit den Beträgen auf den vorhandenen Lohnzetteln überein, war immer wesentlich höher.« Als Beweis legt Fontane Lohnzettel und persönliche Stundenaufzeichnungen vor. Seine Aussage erfolgte unter Wahrheitspflicht.

»Soweit es mir erinnerlich ist und ich es wahrnehmen konnte, wurden auch in den anderen Lokalen Kellner, Hilfskellner, Köche et cetera bar ausbezahlt«, gab Fontane zu Protokoll. Wieso er das so genau weiß? »Die Barauszahlung war normal. Dies ist mir deshalb bekannt, weil ich auch diese Auszahlungen selbst durchgeführt habe.« Fontane legte im Rahmen seiner Befragung auch Umsatz- und Auszahlungslisten vor.

»Die Auszahlungen, die auf den beiliegenden Listen angeführt sind, habe ich selbst ausgeführt, die Zettel sind von mir erstellt worden«, steht in der Niederschrift. »Ich habe am Abend die Abrechnung durchgeführt, wenn allerdings zu wenig Geld in der Kasse vorhanden war, wurden die Barauszahlungen verschoben oder es kam ein Inhaber und überreichte Kuverts an die jeweiligen Mitarbeiter.« Beim AMS Wien ging man Fontanes Vorwürfen nach.

Prüfung durch Arbeitsmarktservice

Geprüft wurden die Dienstpläne, insbesondere für den Zeitraum der ersten beiden Lockdowns. Die von Petra Draxl mit der Ho-Prüfung beauftragte AMS-Kurzarbeits-Referentin teilte Advokat Kessler im August per E-Mail mit: »Herr Fontane hat die Sozialpartnervereinbarung der Kurzarbeit unterschrieben und wurde auch in der Kurzarbeit abgerechnet im Zeitraum 16.3.–15.6.2020 und 1.11.2020–30.6.2021. Im Juni 2021 wird er sogar mit 100 Prozent Ausfall (null geleistete Stunden) abgerechnet.«

Laut Niederschrift sagte Fontane zum ersten Lockdown-Zeitraum: »Ab 24.4. habe ich durchgehend gearbeitet.« Und zum zweiten Lockdown ab November 2020? »Hier verweise ich auf meine Aufzeichnungen, die durchschnittliche Arbeitszeit betrug pro Tag zehn Stunden. Ob ich hier in der Kurzarbeit war, kann ich nicht bestätigten, da ich zeitweise Blankoformulare unterschreiben musste.« War er ein Einzelfall? »Meiner Wahrnehmung nach musste jeder so ein Formular für Kurzarbeit unterschreiben (...); meiner Erinnerung nach waren es Blankoformulare«, so Fontane.

Offenbar waren Fontanes Hinweise stichhaltig, weshalb das AMS Wien die Causa im Februar bei der Staatsanwaltschaft Wien zur Anzeige brachte. »Wir zeigen grundsätzlich nur bei Vorliegen belastbarer Beweise und begründeter Verdachtslage an«, sagt AMS-Wien-Pressesprecher Sebastian Paulick gegenüber DOSSIER. Die Causa Martin Ho will das AMS Wien nicht kommentieren. Paulick: »Aktuell laufen 45 Strafverfahren, die wir bei der Staatsanwaltschaft Wien zur Anzeige gebracht haben. Wir stehen im intensiven Kontakt mit Finanzpolizei und Gesundheitskasse, die uns über Unregelmäßigkeiten zeitnah informieren.«

Und was sagt Martin Ho zu den schweren Vorwürfen? Die DOSSIER-Fragenliste beantwortet sein Presseverantwortlicher Alexander Khaelss-Khaelssberg: »Wir arbeiten mit dem AMS Wien und allen in die Causa involvierten öffentlichen Stellen konstruktiv zusammen, um offene Fragen zu klären. Alle Abrechnungen erfolgten nach bestem Wissen und Gewissen. Vorwürfe des betrügerischen Handelns weisen wir zurück.«