Prolog

Diagnose: Systemfehler

Österreichs Gesundheitssystem ist krank, die Zweiklassenmedizin längst Realität. Es mangelt an Daten, an Transparenz, an Personal und nicht zuletzt an klaren Strukturen. Ein journalistischer Befund.

Gesundheit25.3.2022 

Text: Georg Eckelsberger, Florian Skrabal
Daten: Peter Sim Artwork
Cover: Denis Mujakovic

Ein Virus erreicht das Land  – alle Augen sind auf das Gesundheitssystem gerichtet. Plötzlich kennen wir nicht mehr nur den Namen unserer Hausärztin. Wir wissen plötzlich Dinge, die uns bislang eher nicht so geläufig waren. Etwa dass die Gesundheitshotline die Nummer 1450 hat; dass eine Triage nicht bloß ein theoretisches Konstrukt ist. Oder dass es ein Nationales Impfgremium gibt. Corona rückte unser Gesundheitssystem in den Fokus. Das ist gut. Denn es umschließt uns regelrecht. Schon vor unserer Geburt kommen wir bei den verpflichtenden Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen damit in Berührung. Davon bekommen wir natürlich nichts mit. Beim letzten Kontakt mit dem System, wenn ein·e Ärzt·in den Tod feststellt, auch nicht. Dazwischen liegen im Leben eines Menschen in Österreich um die 500 Besuche bei Ärzt·innen und im Schnitt rund eine halbe Million Euro an einbezahlten Sozialversicherungsbeiträgen.

Aber zurück zur Pandemie. Sie hat uns bewusst gemacht, was unsere Ansprüche an das Gesundheitssystem sind: Solidarität, Leistbarkeit und Universalität. Alle Menschen, unabhängig von Alter, Herkunft und sozialem Status, sollen niederschwelligen Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung haben. So weit die Theorie. In der Realität sind die Kapazitäten begrenzt. Nicht nur die Zahl der Intensivbetten. Auch das Personal, die Aufmerksamkeit, die Zeit, das Geld. Die Grenzen unseres Gesundheitssystems haben jene gespürt, deren Operationstermine verschoben wurden, die monatelang warten mussten und mitunter noch müssen. Doch die Grenzen waren auch schon vor der Pandemie da, nur weniger sichtbar. Grund genug, genauer hinzusehen. Dass Österreich eines der besten Gesundheits­­systeme der Welt habe, das hört man hierzulande oft. Doch woran erkennt man das? An dessen Effizienz? Am Zugang für alle? An einer langfristigen Zukunftsperspektive?

Der Faktor Zeit

Beginnen wir mit einer ganz einfachen Frage: Wie viel Zeit nehmen sich Ärzt·innen für ihre Patient·innen? Klingt banal? Mitnichten, denn im scheinbar Einfachen liegen oft große Probleme. Es gibt in Österreich keine klare Antwort da­rauf. Niemand erfasst, wie viele Minuten Ärzt·innen mit ihren Patient·innen verbringen. Es gibt aber Annäherungen. Etwa lässt sich für den niedergelassenen Bereich, doch auch nur jenen mit Kassenstellen, sagen, dass vor vier Jahren im Schnitt alle 4 Minuten und 36 Sekunden eine E-Card gesteckt wurde. Das heißt aber noch lange nicht, dass man eine·n Ärzt·in gesehen haben muss. Eine andere Schätzung findet sich in einer internationalen Studie, die vor einigen Jahren im renommierten British Medical Journal veröffentlicht wurde. Sie weist für Österreich eine durchschnittliche Konsultationsdauer von fünf Minuten aus – und darauf hin, dass die Erhebungsart in Österreich gänzlich »unklar« und die Datenqualität »schwach« war. Diese Diagnose zieht sich durchs gesamte System. Oft gibt es in Österreich keine genauen Daten. Oder es gibt sie, nur werden sie nicht bundesweit zusammengeführt. Oder es gibt sie, und sie werden nicht veröffentlicht. Aber dazu später.

Gehen wir also davon aus, dass ein·e Ärzt·in im Schnitt fünf Minuten pro Patient·in hat. Das ist nicht viel, entspricht aber der Logik unseres Systems: Abgerechnet wird nicht nach Zeit, sondern nach der Anzahl der Behandlungen. Eine Konsequenz: Zeitaufwendige Untersuchungen – wie sie etwa bei der Diagnose von Long Covid notwendig sind – zahlen sich für Mediziner·innen finanziell nicht aus und haben deshalb in unserem öffentlichen Gesundheitssystem nicht den richtigen Stellenwert.

Aber wenden wir uns einer anderen Kennzahl zu: der Lebenserwartung. Wer 2020 in Österreich geboren wurde, wird nach heutigen Erwartungen im Schnitt 81,3 Jahre alt. Das ist im EU-Vergleich exakt Durchschnitt. Am längsten leben in der EU die Ir·innen (82,8 Jahre), am kürzesten die Bulgar·innen (73,6 Jahre). Doch allein daran die Qualität des Gesundheitssystems zu messen würde zu kurz greifen. Erstens gibt es weltweit einen universellen Krankmacher: Armut. Selbst im reichen Österreich leben laut Statistik Austria ­Frauen in Armut um vier, Männer gar um elf Jahre kürzer. Außerdem spielen neben den finanziellen Möglichkeiten Bildung und Lebensstil eine entscheidende Rolle. Das zweite Problem: Länger leben heißt nicht automatisch länger gesund und unbeschwert von Krankheiten leben. Bei den gesunden Lebensjahren sieht es für Österreich deutlich schlechter aus. Im EU-Vergleich liegen wir im unteren Drittel. Während Menschen in Schweden, dem Spitzenreiter, durchschnittlich nur die letzten zehn Jahre ihres Lebens krank sind, leiden wir in Österreich im Schnitt fast 25 Jahre an Krankheiten. ­Das hat natürlich auch mit dem ungesunden Lebensstil zu tun, dem viele in Österreich frönen. Aber nicht alles lässt sich auf Bier, Schnitzel und Zigaretten schieben.

Reparieren statt vorsorgen

Unser System ist effektiv darin, Krankheiten zu behandeln, und schlecht darin, vorzusorgen. Das spiegelt sich abermals in den Daten wider. Im Vergleich gibt Österreich für Heilung und Rehabilitation überdurchschnittlich viel aus. Dafür liegen die Ausgaben für Prävention, also die Vorsorge, mit 2,1 Prozent unter dem EU-Schnitt von 2,9 Prozent. 870 Millionen Euro gab der Staat im Jahr 2019 für Prävention aus – die  Verwaltung des Systems war uns da mehr wert: Sie kostete mit 1,68 Milliarden Euro fast doppelt so viel. Ganz schmerzfrei betrachtet: Behandeln ist in Österreich lukrativer als Vorsorgen. Vielleicht sind unsere Strukturen gerade deswegen weniger auf das Vorbeugen als auf das Reparieren ausgelegt. Denn wie bei so mancher Reparatur verdienen Werkstätten und Handwerker·innen dabei am besten. Und nicht zu vergessen: deren Lobbys und jene, die alles beaufsichtigen, verwalten und regeln. Und wer verliert? Die Kund·innen, in unserem Fall die Patient·innen.

Ein Beispiel, an dem man erkennt, was und vor allem wie es schiefläuft, ist die Zuckerkrankheit Typ-2-Diabetes. Erneut kommt ein Problem zum Vorschein, das uns über die Dauer der Recherchen begleitete: der Mangel an Daten. Niemand kann sagen, wie viele Menschen in Österreich an Diabetes erkrankt sind, geschweige denn, wie viele an der Vorstufe Prädiabetes leiden. Sind es 600.000 oder doch 700.000 Kranke, 300.000 oder doch 400.000 Gefährdete? Man stelle sich eine derartige Unschärfe bei anderen Statistiken, etwa den Arbeits­losenzahlen, vor. Fundierte Entscheidungen sind so jedenfalls unmöglich. Dabei wäre die Volkskrankheit Diabetes bei frühzeitiger Diagnose eigentlich gut zu behandeln. Doch im niedergelassenen Bereich gibt es keine Pflicht, Diagnosen zu codieren. Ärzt·innen müssen nicht standardisiert erfassen, ob ein·e Patient·in an Diabetes leidet.

Ob das lange gutgehen kann, ist fraglich. Denn die Reparaturen nehmen zu. Wir werden älter, chronisch kränker. Zurzeit leben in Österreich fast neun Millionen Menschen, 2030 werden es um 200.000 mehr sein. Dramatischer wird sich die von der Statistik Austria geschätzte veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung auswirken: Während die Zahl der bis 59-Jährigen schrumpft, nimmt die Zahl der über 60-Jährigen um mehr als eine halbe Million Menschen zu. Der Anteil der »Alten« wächst von 25 auf 30 Prozent. Damit steigen die Behandlungskosten – die steigen übrigens auch, weil Heilmethoden immer mehr kosten und viel Geld in Hochtechnologie fließt. Zwangsläufig stellt sich eine Frage: Wer soll das alles bezahlen? Unser Gesundheitssystem ist heute schon teuer. 41,5 Milliarden Euro oder 10,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kostete es im Jahr 2019, der EU-Schnitt lag damals bei 9,9 Prozent. Dass sich etwas ändern muss, darüber sind sich seit Jahren fast alle einig. Doch an welchen Stellschrauben drehen?

Komplex und zugenäht!

Wie kompliziert unser System ist, lässt ein 2017 veröffentlichter Prüfbericht des Rechnungshofs (RH) über die »Mittelflüsse im Gesundheits­wesen« erahnen. Darin gibt es eine – wohlgemerkt vereinfachte – Grafik, die das Problem besser als alle Worte beschreibt (siehe oben). Überall finden sich in unserem System gegenläufige Inter­essen von mitunter historisch gewachsenen Macht­blöcken. Ein kleiner Überblick: Die Krankenhäuser finanzieren sich durch Steuern, sind Sache der Länder und wichtig für das Prestige der Landeshauptleute. Eigentlich sind diese dafür da, die Gesundheitspolitik des Bundes lokal umzusetzen. Stattdessen bestimmen sie mit. Die Landesfürst·innen als Antagonist·innen zum·r jeweils amtierenden Gesundheitsminister·in. Stets auf das eigene Gebiet, auf die eigenen Krankenhäuser, die eigenen Wahlen bedacht. Dauerkonflikte sind die Folge. Sie finden sich auch andernorts im Gesundheitssystem.

Die Krankenkassen etwa nehmen ihr Geld über Beiträge ihrer Pflichtmitglieder ein. Sie verwalten sich im Wesentlichen selbst und spielen im niedergelassenen Bereich, bei den Ordinationen, eine große Rolle. Sie sind für die Planung der Kassenstellen zuständig. Trotzdem können sie ohne einen anderen mächtigen Spieler nichts entscheiden: die Ärztekammer.

Diese hat im Unterschied zur Krankenkasse zwar keinen gesetzlichen Versorgungs-, sondern lediglich einen Vertretungsauftrag für den eigenen Stand – aber dennoch bei Kassenstellen eine Art Vetorecht. Ohne ihren Sanktus geht nichts. Das führt dazu, dass die Kammer auch bei sachlich begründeten, wichtigen Reformen auf der Bremse stehen kann, sobald es um Interessen und Privilegien der eigenen Klientel geht. Beispielsweise bei den sogenannten Primärversorgungszentren, medizinischen Einrichtungen, die als niederschwellige Anlaufstelle einige Versorgungsengpässe lösen könnten.

Unterlassene Hilfeleistung

Obwohl schon lange klar ist, dass eine Pensionierungswelle auf uns zukommt, aber auch die Leistungen für ältere Patient·innen zunehmen werden, bringen wir für die Langzeitpflege zu wenig Geld, zu wenig Personal und obendrein auch noch zu wenig Wertschätzung auf. Die Ausgaben für Langzeitpflege liegen deutlich unter dem europäischen Durchschnitt: 14,4 Prozent gegenüber 16,3 Prozent in der EU und gar 18,9 Prozent in Deutschland. Schon heute hat Österreich viel zu wenige professionelle Pflegekräfte, nicht nur in den Altenheimen, sondern auch in den Krankenhäusern. Nicht die Anzahl der Intensivbetten war während der Pandemie das Problem, sondern der Mangel an Fachpersonal. Bis 2030 werden voraussichtlich 76.000 zusätzliche Krankenpfleger·innen benötigt. Aktuell ist unklar, wie diese Lücke geschlossen werden soll. Das Problem wird seit Jahren auf die lange Bank geschoben.

Aber wann wird aus Wegschauen unterlassene Hilfeleistung? Diese Frage wirft unsere Recherche zum Pflegenotstand, einem der drängendsten Probleme im Gesundheitssystem, unweigerlich auf. Erstmals haben wir systematisch die Gefährdungsanzeigen des Pflegepersonals erhoben – mit diesem Instrument weist das Gesundheitspersonal schriftlich auf Überlastung hin, die zur Gefahr für die Patient·innen wird. Die Ignoranz der Verantwortlichen ist erschütternd: Weder die Krankenhausträger·innen noch die Länder erfassen die Alarmmeldungen bisher zentral. Wer Meldung erstattet, muss noch dazu mit Repressalien von Vorgesetzten rechnen.

Zweiklassenmedizin

Eine andere paradoxe Eigenheit unseres Gesundheitssystems kommt bei den Ärzt·innen im niedergelassenen Bereich zum Vorschein: Es herrscht Über- und Unterversorgung zugleich. Gemessen an der Anzahl der Ärzt·innen pro 1.000 Einwohner·innen liegt Österreich in der EU mit 5,32 auf dem ersten Platz. Deutschland ist mit deutlich weniger (4,4) noch immer im Spitzenfeld, der EU-Schnitt beträgt 3,9. Klingt nicht schlecht. Doch in Österreich schoss in den vergangenen Jahren die Anzahl der Wahlärzt·innen in die Höhe. Mit diesen lässt sich aber keine Versorgung sichern, geschweige denn planen: Wahlärzt·innen sind nicht zu Mindestöffnungszeiten verpflichtet. Sie unterliegen keiner Behandlungspflicht, können Patient·innen also ablehnen. Und sie können ihre Tarife fast frei festlegen. Wer es sich leisten kann, den oder die Wahlärzt·in des Vertrauens zu bezahlen, bekommt schneller einen Termin, bekommt mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit. Es verlieren jene, die es sich eben nicht leisten können, für bevorzugte Behandlung privat zu zahlen.

Leise hat sich die Zweiklassenmedizin ausgebreitet – und reicht immer stärker in die öffentlichen Spitäler hinein. Immer mehr Wahlärzt·innen sind zugleich in öffentlichen Kliniken angestellt. Das führt zu einer heiklen Frage: Werden Patient·innen von Wahlärzt·innen dann auch im öffentlichen Krankenhaus bevorzugt? Etwa beim Warten auf  – nicht überlebenswichtige – Operationen vorgereiht? Genau diese Frage war vor zehn Jahren schon einmal großes öffentliches Thema. Damals belegte eine Studie, dass Sonderklassepatient·innen deutlich schneller unters Messer kamen. Es wurde das Gesetz geändert, mehr Transparenz versprochen. Von der kann heute keine Rede sein: Zwar wird nun erhoben und veröffentlicht, wie lange Menschen in Österreich auf Operationen warten, nicht aber der Versichertenstatus der Patient·innen, die operiert wurden. Damit fehlt eine für die Überprüfung wesentliche Information. Sie wird von den Krankenhäusern beziehungsweise den Ländern unter Verschluss gehalten. Offenbar will man sich nicht in die Karten schauen lassen.

Verfehlte Ziele

Während die Zahl der Wahlärzt·innen steigt, fehlen Hausärzt·innen mit Kassenvertrag, insbesondere auf dem Land. Und in mancher Kleinstadt, etwa dem Kurort Bad Ischl mit rund 2.000 unter 14-Jährigen, findet sich seit Jahren kein·e einzige·r Fachärzt·in für Kinder- und Jugendheilkunde, der oder die den Job machen will. Mangelhaft ist auch die Versorgung von psychischen Erkrankungen. Fast jede zweite Berufsunfähigkeit ist in Österreich mittlerweile darauf zurückzuführen. Trotzdem entscheidet mitunter das Glück darüber, ob man rechtzeitig eine fachgerechte Behandlung bekommt.

Geradezu dramatisch ist die Situation bei Kindern und Jugendlichen. Hier fehlt es an Ärzt·innen, sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Spitälern. Und wieder zeigt sich: Das Problem ist nicht neu. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird seit zwei Jahrzehnten die chronische Unterversorgung beklagt.

Dabei hatte sich die Politik schon vor Jahren ein Ziel gesetzt: Der umfassenden Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird »ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt der größtmögliche Stellenwert eingeräumt«, heißt es im sogenannten Zielsteuerungsvertrag 2017 bis 2021, der wohl wichtigsten Willens- und Absichtserklärung der unterschiedlichen Stakeholder im Gesundheitswesen. Sie sitzen in der Bundeszielsteuerungskommission, das Vehikel wurde 2013 als zentrale gesundheitspolitische Steuerungsstelle ins Leben gerufen. Dennoch blieb seit einem Jahrzehnt fast alles beim Alten und die zersplitterte Kompetenzlage fast unverändert. Gerade wenn es ums Geld geht. »Die Ausgaben-, Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung fiel weiterhin auseinander, ein gemeinsamer Finanzierungstopf wurde nicht erreicht, und das prägende Prinzip der Einstimmigkeit könnte notwendige Maßnahmen verhindern«, hielt der Rechnungshof 2017 fest.

Die Konsequenz: Es gibt keine Kostenwahrheit, weil nicht jene, die Kosten verursachen, diese auch bezahlen. Das beste Beispiel sind die Spitäler. Der Bund zahlt, die Länder geben das Geld aus. Und zwar für die hochwertigste Form der medizinischen Versorgung, die Krankenhäuser. Hierzulande gibt es 269 Spitäler mit rund 62.700 Betten, die für medizinische Behandlungen zur Verfügung stehen. Im Pro-Kopf-Vergleich liegt Österreich mit 531 pro 100.000 Einwohner·innen im Spitzenfeld der EU, der Durchschnitt liegt bei 387. Die Infrastruktur wird auch genutzt: Jedes Jahr gibt es mehr als 2,5 Millionen stationäre Spitalaufenthalte, 90 Prozent davon in öffentlich finanzierten Spitälern. Hinzu kommen Millionen weitere ambulante Besuche. Zweifelsohne hat uns diese Spitals- und Bettendichte in der Bewältigung der Pandemie geholfen. Dennoch ist der hohe Anteil der Spitäler an der Gesundheitsversorgung ein Problem: Wir sind es gewohnt, im Spital behandelt zu werden, aber das ist eben auch entsprechend teuer.

Fehlende Daten, fehlende Transparenz

Einen Vorteil hat die Krankenhauslastigkeit – dort werden zumindest die Diagnosen erfasst und codiert. Das heißt, wir wissen letztlich oft erst, wie es um Krankheiten (und damit auch um die Kosten) bestellt ist, wenn die Patient·innen im Krankenhaus auftauchen und es dort festgehalten wird. Oder über einen anderen Umweg, wenn sie sich Medikamente aus der Apotheke besorgen. Wie wichtig gute Daten sind und wie rasch sie mitunter zur Verfügung stehen sollten, hat Corona gezeigt. Seit zwei Jahren herrscht bei den Daten zur Pandemie jedoch ein regelrechtes Tohuwabohu. Zur Erinnerung: Im März 2020 gab es beim Ausbruch der Pandemie zunächst nicht einmal bundesweite Daten zur Anzahl freier Intensivbetten. Die einzelnen Länder wussten das zwar, teilten diese Informationen zunächst aber nicht mit dem Gesundheitsministerium. Ein Insider vermutet politisches Kalkül dahinter: Wenn der Bund keine Daten hat, kann er nicht steuernd eingreifen.

Da ist noch nicht einmal die Rede von detaillierten Daten, von Altersgruppen oder Vorerkrankungen, wie sie in England erhoben werden. Dort lässt sich an der Statistik etwa ablesen, dass ärmere und schlechter gebildete Menschen öfter mit einer Covid-­19-Infektion auf den Intensivstationen gelandet sind. In Österreich ist man von solcher Genauigkeit weit entfernt. Beispielsweise gibt es bis heute auch keine aussagekräftigen Daten zu Behandlungsfehlern. In Deutschland werden diese seit mehr als 15 Jahren gesammelt, anonymisiert und offengelegt. In Österreich hingegen bleibt nur das Critical Incident Reporting System, kurz CIRS. Hier kann medizinisches Personal »unerwünschte Ereignisse« eintragen, damit andere aus den Fehlern lernen. Freiwillig, versteht sich. 2021 gab es 52 Einträge. Womit wir beim letzten Thema wären, das sich durch das heimische Gesundheitswesen zieht: Intransparenz.

Seit Jahren fordert die NGO Transparency International mehr Offenlegung – zu möglichen Interessenkonflikten von Entscheidungsträger·innen, bei der Beschaffung von Medizinprodukten oder bei Zuwendungen der Pharmaindustrie an Ärzt·innen. Bis heute hinken wir im internationalen Vergleich hinterher, wie zwei Beispiele zeigen: Im höchsten Gremium in Österreichs Gesundheitswesen, der Bundeszielsteuerungskommission, werden wesentliche Diskussionen geführt und nicht minder wesentliche Entscheidungen getroffen. Trotzdem sind die Sitzungen nicht öffentlich. Als Österreicher·in ist man derlei unter Umständen gewohnt. Doch selbst für österreichische Verhältnisse erstaunlich ist, dass nicht einmal die Mitglieder der Kommission auf der Website des Ministeriums genannt werden. Auch auf DOSSIER-Nachfrage wurden sie nicht offengelegt.

Was den Obersten Sanitätsrat, immerhin das wissenschaftliche Berater·innengremium der Bundesregierung, betrifft, so ist die Intransparenz sogar im entsprechenden Gesetz und der darauf basierenden Geschäftsordnung festgelegt: Die Protokolle der Sitzungen sind nicht öffentlich. Eine Veröffentlichung einzelner Beratungsergebnisse ist möglich, allerdings bräuchte es dazu die Rücksprache mit den Mitgliedern des Obersten Sanitätsrats. Zum Vergleich: In Deutschland veröffentlicht der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im dortigen Gesundheitswesen, sämtliche Beschlüsse auf der Website. Sitzungen, die in Österreich geheim sind, werden dort mittels Livestream im Internet übertragen. Die Befundung überlassen wir Ihnen.