Tojner, Tricks und Trendumkehr

Ein neuer Gerichtsbeschluss skizziert, wie sich Investor Michael Tojner in drei gemeinnützige Wohnbauvereinigungen eingeschlichen hat. Das Heumarkt-Areal ist ein wichtiger Schauplatz und Ex-Grünen-Politiker Christoph Chorherr ein prominenter Nebendarsteller.

Text: Ashwien Sankholkar

Aktuelles2.12.2021 

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Trendumkehr würden es die Börsianer nennen. Bis vor kurzem schien es für Investor Michael Tojner nur einen Weg zu geben: nach oben. Erfolgreiche Börsengänge wie jene des Batterieherstellers Varta (2017), des Verpackungsriesen Aluflexpack (2019) oder des Flugzeuglieferanten Montana Aerospace (2021) sowie auch seine wachsende Immobilienfirma Wertinvest machten den gebürtigen Oberösterreicher zum wohlhabenden Mann.

Im April 2020 schaffte er es aufs Cover der internationalen Ausgabe des US-Magazins Forbes und wird im globalen Forbes-Ranking neben Milliardären wie Dietrich Mateschitz (Red Bull) und Johann Graf (Novomatic) genannt. Seit wenigen Wochen geht es für Tojner aber steil nach unten.

Im November wurde bekannt, dass der 55-Jährige einer von zehn Angeklagten in der Affäre rund um Christoph Chorherr ist. Als Immobilieninvestor soll Tojner den ehemaligen Grünen-Politiker bestochen haben. Bis 2019 saß Chorherr im Wiener Gemeinderat und war für den Bereich Stadtplanung zuständig.

Für Tojners Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt war Chorherrs Wohlwollen wichtig, denn als Planungssprecher der Grünen hatte sein Wort zum Thema Stadterneuerung viel Gewicht.

Laut Anklageschrift sollen die mutmaßlichen Bestechungszahlungen als Spenden über Chorherrs Charity-Verein abgewickelt worden sein. Chorherr wollte gegenüber DOSSIER keine Stellungnahme abgeben. In der Vergangenheit hat er die schlechte Optik zugegeben, aber gesetzwidriges Verhalten bestritten.

Ein DOSSIER exklusiv vorliegender Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien liest sich wie ein Wirtschaftskrimi und nennt Michael Tojner als zentrale Figur. Das 50-seitige Gerichtspapier vom 27. August 2021 stützt sich auf Polizeiprotokolle sowie E-Mails und Aktennotizen aus dem Tojner-Umfeld, die den Verdacht der ermittelnden Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erhärten.

Demnach habe sich Tojner über ein ausgeklügeltes System an Strohmännern und Treuhändern drei Gemeinnützige Bauvereinigungen (GBV) heimlich unter den Nagel gerissen. Zu den Grundstücken und Häusern in bester Lage gehört auch das prominente Heumarkt-Areal.

Die spektakuläre Immobilien-Affäre recherchierte DOSSIER für die Puls-4-Sendung Bist Du deppert!, wo „unfassbare Fälle von Steuergeldverschwendung und andere Frechheiten“ komödiantisch aufbereitet werden.

Im Fall Tojner rechnen die Ermittler auf Basis eines Berichts des burgenländischen Landesrechnungshofs mit einem Schaden von 130 Millionen Euro für den Steuerzahler. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der den Sachverhalt rund um Michael Tojner Anfang 2019 angezeigt hat, geht sogar von 200 Millionen Euro aus.

Die Anwälte von Michael Tojner weisen sämtliche Vorwürfe zurück und verweisen auf ein aktuelles Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH), wo eine abstrakte Rechtsfrage betreffend Untreue bei als gemeinnützigen Bauvereinigungen anerkannten Gesellschaften behandelt wurde. Sie sehen es als Etappensieg, weil „ein Großteil der Anschuldigungen“ auf dem nun vom OGH abgeschmetterten Tatbestand der Untreue aufbaue.

„Diese Entscheidung des OGH ist ein wichtiger Erfolg für unseren Mandanten“, sagt Tojner-Anwalt Karl Liebenwein: „Im laufenden Ermittlungsverfahren werden wir nachweisen, dass DDr. Michael Tojner im Zuge der Entzugsverfahren der Gemeinnützigen Bauvereinigungen Riedenhof, Gesfö und Pannonia keine rechtswidrigen Handlungen gesetzt hat.“ Dem Untreue-Konstrukt der WKStA sei der Boden entzogen worden.

Positive Trendumkehr für Tojner? WKStA-Mediensprecher Rene Ruprecht gegenüber DOSSIER: „Da uns die Entscheidung des OGH noch nicht vorliegt, können wir auch zu darauf bezugnehmende Presseaussendungen von Verfahrensparteien derzeit keine Stellungnahme abgeben.“

Die Anwälte von Landeshauptmann Doskozil kratzt das OGH-Urteil wenig. Die Untreue sei „ein Randthema“ im gegenständlichen Verfahren. „Wir haben Betrug angezeigt“, sagt Doskozil-Advokat Johannes Zink. „Am Ende zählen handfeste Beweise, die den Betrugsverdacht stützen. Und davon gibt es jede Menge.“

Hauptnutznießer und treibende Kraft

„Aus den bisherigen Beweisergebnissen kann der dringende Verdacht abgeleitet werden, dass DDr. Michael Tojner von Anfang an der wahre wirtschaftliche (zumindest Mit-) Eigentümer der Pannonia sowie der Gesfö und der Riedenhof war und die Bauvereinigungen beherrschte“, schreibt das Landesgericht.

Es sei davon auszugehen, dass Tojner „der Hauptnutznießer der für die GBV bzw. das Land Burgenland vermögensschädigenden Transaktionen“ war.  

Gesfö, Pannonia und Riedenhof: So heißen die drei Wohnbauvereinigungen, die im Zentrum der laufenden Ermittlungen stehen. Gemäß Paragraf 9 Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) müssen GBV unabhängig von „Angehörigen des Baugewerbes“ sein. Darum ist es gewerblichen Immobilienunternehmen untersagt, sich einzukaufen.

Denn Gemeinnützige Bauvereinigungen wurden errichtet, um für sozial Schwache leistbaren Wohnraum zu schaffen. Deren Eigentümer sind verpflichtet, nach solidarischen Kriterien zu wirtschaften: Gewinne dürfen nicht ausgeschüttet, sondern müssen in neue soziale Immobilienprojekte investiert werden. Dafür werden sie mit günstigen Krediten gefördert und sind steuerlich privilegiert.

Der Verlust des Gemeinnützigkeitsstatus und aller Privilegien ist die Folge, wenn das WGG verletzt wird. Obendrein muss eine Abfindungszahlung entrichtet werden, die in der Regel so hoch ist, dass Spekulanten die Finger davon lassen – denn die Abschlagszahlung bemisst sich am Marktwert des GBV-Immobilienvermögens. Je wertvoller deren Grundstücke und Wohnungen sind, desto höher die Abfindungszahlung.

Vor allem bei Jahrzehnte alte Gesellschaften, wo die Buchwerte extrem niedrig sind, wird es nach der Hebung stiller Reserven teuer. Die hohen Abschlagszahlungen geben wenig Spielraum für Spekulationen – zumindest wenn alles sauber abläuft.

Die Geldleistung kassiert das Bundesland, in dem die GBV ihren Firmensitz hat. Bei Gesfö, Pannonia und Riedenhof war es das Burgenland. Darum ist Landeshauptmann Doskozil Anfang 2019 im Fall Tojner aktiv geworden.

Michael Tojner soll sich trotz der gesetzlichen Hürden in die GBV eingeschlichen haben. Der Anfang 2019 geäußerte Verdacht hat sich mittlerweile erhärtet: „Er trat zwar nach außen nicht in Erscheinung, bei einer Gesamtschau der bisher vorliegenden Erkenntnisquellen muss allerdings im Sinn einer qualifizierten Verdachtslage davon ausgegangen werden, dass er die treibende Kraft war“, heißt es im Gerichtsbeschluss.

Die auftretenden Anwälte und Gesellschafter (sind) in seinem Auftrag bzw. auf seine Rechnung tätig geworden, und er (trachtete) insgesamt danach, sich durch die Verwertung von Vermögen gemeinnütziger Bauvereinigungen unrechtmäßig zu bereichern.

Tojner soll dabei nichts dem Zufall überlassen haben. „Einem gemeinsamen Tatplan folgend wurden zunächst die genannten gemeinnützigen Bauvereinigungen über Treuhänder (...) in die Verfügungsmacht der Genannten gebracht. DDr. Michael Tojner waren demnach – entgegen den einschlägigen Bestimmungen des WGG – die gemeinnützigen Gesellschaften wirtschaftlich zuzurechnen“, hält das Straflandesgericht nüchtern fest.

 „In der Folge wurde in Hinblick auf die angestrebte Entziehung der Anerkennung der Gemeinnützigkeit das Vermögen der Gesellschaften durch die inkriminierten Handlungen geschmälert“, heißt es im Gerichtsbeschluss. Wie die Strohmänner Gesfö, Riedenhof und Pannonia zu Tojners Gunsten ausgeräumt haben sollen?

„Indem etwa Liegenschaften zu überhöhten Preisen von wirtschaftlich nahestehenden Gesellschaften erworben wurden bzw. die vorhandenen Liegenschaften weit unter Verkehrswerten an im wirtschaftlichen Eigentum von DDr. Michael Tojner stehende Gesellschaften verkauft wurden.“

Auffällig: Die Gesellschaften mit klingenden Namen wie „Jump“ oder „Run“ wurden „kurz zuvor eigens für den Erwerb der Liegenschaften über Treuhänder gegründet“, heißt es im Papier des Straflandesgerichts. „An den durch den Weiterverkauf der Liegenschaften lukrierten Gewinnen partizipierte DDr. Michael Tojner über atypisch stille Gesellschaften.“

Hinter der Heumarkt-Kulisse

Der Heumarkt-Deal ist wohl die prominenteste Immobilientransaktion, die im Beschluss des Straflandesgerichts Wien aufscheint. Zur Erinnerung: Im Jahr 2008 erwarb die GBV Buntes Wohnen (später: Pannonia) das Heumarkt-Areal vom Wiener Stadterweiterungsfonds um 4,2 Millionen Euro.

Das sorgte für Wirbel, weil laut Kurier von Konkurrenten bis zu neun Millionen geboten wurden. Weil Buntes Wohnen als Gemeinnützige auftrat, ging der Deal durch. Was keiner wusste: Tojner soll schon damals die Strippen bei Buntes Wohnen gezogen haben.

Im Jahr 2009 wanderte das Areal mitsamt dem Eislaufverein an die Privatstiftung zur Förderung der Wissenschaft und universitären Forschung (PFW). Laut WKStA lag der Abtretungspreis bei nur 700.000 Euro. Abermals wurde argumentiert, dass es sich um eine gemeinnützige Stiftung handelt, die laut Satzung nicht auf Gewinn ausgerichtet ist.

Die Stiftung PFW war im Dezember 2005 errichtet und von Tojner finanziert worden, wie DOSSIER berichtete. Im ersten Stiftungsvorstand saßen die Tojner-Anwälte Franz Guggenberger und Alexander Hasch, der Tojner-Vertraute Herbert Herdlicka und SPÖ-Politiker Peter Wittmann.

Schließlich landete das Heumarkt-Areal inklusive Wiener Eislaufverein im Jahr 2012 bei der Wertinvest-Gruppe von Michael Tojner. Ab diesem Zeitpunkt war er erstmals der offizielle Besitzer und machte persönlich Lobbying für seinen Hotelturm.

Hier schließt sich der Kreis zur Causa Chorherr. „Eine immer engere auch persönliche Verflechtung zeigt sich beispielsweise auch an der Kommunikation zwischen Mag. Chorherr und DDr. Tojner“, heißt es in der Anklageschrift zum Chorherr-Verfahren.

Dies geht so weit, dass Mag. Chorherr Erleichterung über die Unterzeichnung eines Vertrags mit dem Wiener Eislaufverein äußerte, bei Terminen DDr. Tojner in dessen Büro (und nicht etwa umgekehrt) aufsuchte und zwischen 5. Juli 2017 und 17. Juli 2017 auf das ,Du‘ wechselte. (...) Klar war auch, dass DDr. Tojner nach Genehmigung des Projekts Heumarkt am 1. Juni 2017 5.000 Euro an den Verein S2Arch (...) spenden wollte und diesen Betrag am 30. Juni 2017 auch tatsächlich überwies.

Der Wiener Rechtsanwalt Wolfgang List hatte die Heumarkt-Causa angezeigt – und damit das Verfahren angestoßen. Als die Ermittlungen gegen Chorherr und seinen Verein S2Arch im Jahr 2017 starteten, versuchte Tojner hinter den Kulissen gegenzusteuern.

Tojner soll laut Anklageschrift versucht haben, andere Immobilienunternehmer, die so wie er S2Arch unterstützten, dafür zu gewinnen, „etwas zur Ehrenrettung von Chorherr zu machen“. Ihm schwebte eine „Anzeige an die Rechtsanwaltskammer“, eine „Klage wegen Rufschädigung“ oder eine „Anzeigenkampagne“ vor. Denn solche Leute wie List „gehören aus dem Verkehr gezogen“, wird Tojner in der Anklage zitiert. Wolfgang List gegenüber DOSSIER: „Ich wurde von allen Seiten attackiert.“

Die Attacken reichten nicht aus, um das Verfahren abzudrehen. Die Ermittler hatten bereits Witterung aufgenommen. Die Geldströme sowie der bei Razzien sichergestellte und vom Nachrichtenmagazin Profil veröffentlichte Chat- und Mailverkehr dürften für einen Gerichtsprozess gegen Chorherr, Tojner und acht Personen ausreichend gewesen sein.

Ähnlich wie in der Causa Chorherr sind auch die Verfahren rund um Gesfö, Pannonia und Riedenhof nicht mehr zu stoppen. Die WKStA war nicht zimperlich mit Kontenöffnungen und Hausdurchsuchungen – und durchaus erfolgreich, wie aus dem Strafakt hervorgeht: Es wurden Aktennotizen und schriftliche Korrespondenz sichergestellt, die Tojner belasten.

Auch die gerichtlich bewilligte Beschlagnahme von Grundstücken und Häusern aus dem Vermögensbestand von Gesfö, Pannonia und Riedenhof bleibt aufrecht. Das Vermögen wurde für eine mögliche Schadenswiedergutmachung sichergestellt. Ein Verkauf bei Nacht und Nebel ist nicht mehr möglich. Die von Tojner-nahen Firmen verwalteten Immobilien werden auf mehr als 100 Millionen Euro taxiert und werden bis Verfahrensende wohl eingefroren bleiben. Eine baldige Trendumkehr ist nicht in Sicht.


Slideshow aus dem Gerichtspapier: