Beine harzen, Lippen operieren, Sommerlook schminken – die Website y8.com vermittelt ebenso gängige wie tradierte Schönheitsideale in Spieleform und zählt mit mehr als 84.000 Browsergames zu den populärsten Spieleseiten im Internet. Nach Eigenangaben wird hier so manches Spiel über 100 Millionen Mal abgerufen.
Frei zugängliche Egoshooter zum Beispiel oder das Spiel Kids Kiss, in dem Spieler·innen Kindern dabei helfen sollen, sich hinter dem Rücken ihrer Eltern zu küssen. Ein bisschen abstrus, aber nichts, absolut nichts deutet darauf hin, was unter dieser Webadresse früher alles so los war.
1998, also vor fast einem Vierteljahrhundert, wurde hier nämlich nicht gespielt, sondern gegafft. Und zwar unter anderem auf Fotos von Frauen, denen mit versteckten Kameras unter den Rock fotografiert worden war. Gute acht Jahre geht das so, ehe 2006 y8.com laut Registrierungsdaten den Besitzer wechselt und über Nacht zur Spieleseite mutiert.
Im Impressum der Seite taucht 2011 zum ersten Mal der Name Web Entertainment Limited auf, ein Unternehmen der Webgroup Czech Republic a.s., oder kürzer: WGCZ. Hinter diesem sperrigen Akronym verbirgt sich einer der weltweit größten Pornokonzerne, der neben dem nicht immer unschuldig anmutenden Spielebetrieb auch jede Menge einschlägige Porno-Websites wie etwa X-Videos im Portfolio hat.
Oder noch expliziter: WGCZ zählt neben Mindgeek (Pornhub) und Wisebits (X-Hamster) zu den drei großen Firmenkonglomeraten, die heute in der Pornoindustrie die Hosen anhaben.
Jetzt ist es allerdings so, dass Konglomerate eine etwas undurchsichtige Angelegenheit sind. Es wird verschleiert und vernebelt, schließlich soll nicht jede·r wissen, wo überall man seine Finger im Spiel hat. Gemeinsam mit Expert·innen von offensiveosint.io, einer Plattform für Open-Source-Intelligence, tauchten wir daher in die nebulöse Firmenwelt von WGCZ ein. Und wir wurden fündig.
So zählen zum Dunstkreis von WGCZ zumindest 89 Unternehmen, die in unterschiedlichen Branchen tätig sind. Von der Immobilienverwaltung bis zu – für einen Pornokonzern weniger abwegig – einer Plattform zum Thema Penisvergrößerung. Willkommen in der Welt von Big Porn. Eine Welt, in der nicht ausschließlich kopuliert wird.
Das weitreichende Netzwerk an Firmen, deren Spitze in Offshore-Paradiesen endet, zeichnet nämlich eine gewisse Vielfalt an Geschäftsfeldern aus, die auf den ersten Blick so gar nichts mit Pornografie zu tun haben: Es geht etwa um schnelles Streaming, Online-Bezahlungen, Software für die Altersverifizierung oder wie bei y8.com um die Entwicklung von Games.
Trotzdem: Ohne Tube-Site läuft bei Big Porn gar nichts. Und große Pornokonzerne wie WGCZ haben nicht nur eine im Repertoire. Neben X-Videos zum Beispiel noch XNXX, laut der Analysefirma Similarweb zwei der populärsten Adult-Websites der Welt. Diese Gratisseiten legen die Basis für den kommerziellen Erfolg – den Verkehr auf den Websites.
Denn durch die Milliarden an monatlichen Klicks lassen sich dort Werbeplätze vermarkten. Das erledigen die großen Pornokonzerne übrigens gleich selbst. Zum Spottpreis: Die Werbeflächen sind extrem günstig, da (fast) keine Firma außerhalb der Erwachsenenunterhaltung auf Pornoseiten werben möchte. Tausend Kontakte, die Einheit der Werbebranche für eintausend Sichtungen einer Anzeige, sind so bereits um wenige Cent zu haben.
Nicht selten sind die Konzerne auch an den Umsätzen der werbenden Unternehmen beteiligt. Etwa wenn Dating-Services in Anspruch genommen werden oder man luststeigernde Pillen verscherbelt.
Natürlich geht Porno nicht ohne Porno. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass große Pornokonzerne auch ihre eigenen Produktionsstudios besitzen. Auch hier lohnt sich ein genauerer Blick. Big Porn steht nämlich heute hinter zahlreichen Produktionsfirmen, deren wirtschaftlichen Niedergang die Riesen mit dem Aufkommen ihrer Gratis-Tube-Sites eingeläutet haben.
Und es wird nicht nur selbst produziert. Die Studios initiieren auch Auftragsproduktionen, versehen diese dann mit firmeneigenen Logos und vermarkten das Resultat. Zudem hat man die Stars der Branche nicht selten über Produktionsfirmen, die zum Konzernkonglomerat zählen, unter Vertrag.
Tue Gutes
Nicht unbedingt gut fürs Image, das alles. Deswegen unternimmt Big Porn einiges, um besser dazustehen. So wird über klassische Werbung und Sponsoring versucht, Akzeptanz in der Gesellschaft zu erlangen. Aber nicht nur das: Für die Imagepolitur initiiert man Kampagnen zur Erkennung von Brustkrebs oder leitet Nutzer·innen seiner Seiten auf Aufklärungsvideos weiter.
WGCZ gelang vor drei Jahren ein besonderer Image-Coup, als das hauseigene Pornolabel Bangbros die dubiose Seite pornwikileaks.com um einen unbekannten Betrag kaufte.
Die Seite, die 2010 online ging, veröffentlichte regelmäßig gestohlene Datensätze, die Klarnamen, Ausweisnummern, Adressen und Infos aus Gesundheitsakten von über 15.000 Menschen preisgaben. Darunter fanden sich zahlreiche Pornodarsteller·innen. In einem simplen, aber dafür umso aufsehenerregenderen Video wurden die mit sensiblen Daten gefüllten Festplatten von pornwikileaks.com mit Benzin übergossen und angezündet.
Wie viel WGCZ für Pornwikileaks bezahlt hat, weiß man nicht, andere Zahlen kennt man aber schon. Und die Millionen sitzen beim Sexmischkonzern locker. So wurden etwa für die Domain porno.com 2015 8.888.888 US-Dollar hingeblättert, nur um heute darauf Werbung für die eigenen kostenlosen Tube-Sites zu machen, und seit 2018 gehört die Konkursmasse des legendären Erotikmagazins Penthouse ins tschechische Seximperium. 11,2 Millionen US-Dollar kostete das übrigens.
Zahlen, die man gerne dann und wann raushaut, denn sie verletzen nicht die oberste Branchenmaxime: Über Big Porn, vor allem aber die Strippenzieher im Hintergrund, spricht man nicht. Die Hinterleute sollen im Hintergrund bleiben.
Diskrete Besitzer·innen
So wie der Oberösterreicher Bernd Bergmair jahrelang still und heimlich die Fäden im Hintergrund des Pornoriesen Mindgeek zog, war auch lange nicht bekannt, wer eigentlich hinter WGCZ steht. Alte Dokumente und Domainregistrierungen führen zu einem Franzosen, der federführend hinter den Geschäften des Konzerns steckt.
Sein Name: Stéphane Michaël Pacaud. Der 44-Jährige ist heute einer der mächtigsten Männer der Pornoindustrie. Nophest, wie er sich im Internet nennt, wurde in der französischen Region Saône-et-Loire geboren. 2001 tauchte sein Name erstmals in der Adult-Entertainment-Industrie auf, als er die Domain xnxx-pics.com registrierte, eine Seite für Nacktbilder.
2006 startete er mit US-amerikanischen Programmierern ant.com, eine erfolglose, alternative Suchmaschine samt Video-Download-Software.
Heute hält Pacaud 93 Prozent an der WGCZ-Holding, wie tschechische Firmendokumente zeigen. Auch Pacauds Zwillingsschwester Malorie Deborah Pacaud Ferrenbach spielt eine zentrale Rolle im WGCZ-Konzern. Sie scheint bei vielen Firmen als Geschäftsführerin auf.
Über das Vermögen der Pacauds gibt es nur Schätzungen. Das französische Wirtschaftsmagazin Challenges reiht Stéphane mit 400 Millionen Euro auf Platz 245 im Ranking der reichsten Menschen Frankreichs.
Wirtschaftlich ist Pacaud unter anderem in Frankreich, Hongkong, der Schweiz und in der Hauptstadtregion der Philippinen aktiv. Das legen unter anderem Entscheidungen der Weltorganisation für geistiges Eigentum nahe. Der Franzose betreibt außerdem noch Cybersquatting, er kauft also Internetadressen mit Tippfehlern und verwendet den dortigen Verkehr für eigene Zwecke.
Zu Pacauds Imperium gehören so tausende Domainadressen. Viele sind dem Erotikspektrum zuzurechnen, darunter xxx.com, whores.org oder – noch verstörender – teenminipussy.com, die dann üblicherweise auf seine Seiten weiterführen.
Mit Journalist·innen spricht Pacaud übrigens so gut wie nie. Die einzige schriftliche Korrespondenz, die DOSSIER mit ihm finden konnte, stammt aus dem Jahr 2019 und drehte sich um mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen.
So schrieb Pacaud dem französischen Privatsender BFMTV damals per Skype: »Wir haben sehr schnell drastische Maßnahmen gegen Copyrightpiraterie ergriffen. Wir waren die Ersten in der Welt, die diese Technik in die Erotikbranche gebracht haben. Wenn alle Websites diese Art von Schutz bieten würden, gäbe es überhaupt keine Urheberrechtsverletzungen.«