Heute hängen E-Gitarren an den Wänden, es gibt Cheeseburger und Chicken Wings. In der Rotenturmstraße 25 im ersten Wiener Gemeindebezirk ist 2014 die Restaurantkette Hard Rock Cafe eingezogen. Schon davor hatte hier eine weltbekannte Marke ihren Sitz, nur wurde das nicht an die große Glocke gehängt. Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, wurde hier noch bis vor zehn Jahren still und heimlich eine der größten Pornoseiten der Welt betrieben: Redtube.
Dass Wien als internationale Drehscheibe dient, ist bekannt – in der Diplomatie, bei Geschäften zwischen Ost und West oder als Austragungsort von Kongressen. Dass Österreichs Hauptstadt aber auch bei der Entstehung der heutigen globalen Pornoindustrie eine zentrale Rolle gespielt hat, wussten bislang nur Insider·innen. Das ist kein Zufall: Jene Männer, die seit den frühen 2000er-Jahren von hier aus das internationale Pornogeschäft veränderten, legten Wert auf Diskretion.
»Wenn mich jemand gefragt hat, habe ich nur gesagt, ich arbeite in einer Agentur«, sagt Eduard Adams (Name geändert), einer der damaligen Mitarbeiter hinter Redtube, heute zu DOSSIER. Was er vor Bekannten und Verwandten verschwieg: Tag für Tag ging er in das Büro in der Rotenturmstraße und schaute dort stundenlang Sexvideos. Beruflich. Das sei nur anfangs spannend gewesen, sagt Adams: »Nach zwei Tagen verfliegt der Zauber.«
In den 2000ern ist Redtube eine der ersten großen Tube-Sites überhaupt – sprich: eine (Porno-)Seite, die nicht nur als Videoanbieter, sondern vorrangig als Plattform funktioniert. Das heißt: Nutzer·innen können selbst Videos hochladen und sie mit dem Publikum teilen. Was heute selbstverständlich klingt, war damals eine kleine Revolution. Und Adams leistete Pionierarbeit.
Seine Aufgabe und die seiner Kollegen aus der Videocrew – es seien fast nur Männer gewesen – ist es damals, diese Videos mit Titeln zu versehen und zu »taggen«, also anhand von Schlagworten durchsuchbar zu machen. Die zweite wichtige Aufgabe: Adams musste aussortieren, was gemäß der Firmen-Policy nicht gezeigt werden durfte. »Blut oder Sodomie waren No-Gos«, erinnert er sich heute. »Man musste aufpassen, dass nicht jemand ein Video hochlädt, in dem er sich den Finger abschneidet. Da tun sich menschliche Abgründe auf.«
Welterfolg aus Wien
Bis heute hat kaum jemand Einblick in die Anfänge der Pornoindustrie in Wien – bis auf jene, die selbst mitgearbeitet haben. Doch die schweigen, denn als Angestellte mussten sie meist strenge Geheimhaltungsverträge, sogenannte Non-Disclosure-Agreements, unterschreiben. Jene Männer, die in den frühen 2000ern in Wien zu Pornomillionären werden, wollen offenbar nicht, dass bekannt wird, womit sie ihr Geld verdienen. Die Hintermänner von Redtube haben kaum Spuren hinterlassen oder sie gut verwischt.
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Blickt man ins österreichische Firmenbuch, findet man mit der Jager Polacek Data Services (JPDS) ein Unternehmen, das als Keimzelle des einstigen Pornowelterfolgs fungiert haben dürfte. Die Österreicher Stefan Jager (mitunter auch Jäger) und Michael Polacek gründen JPDS im Jahr 2000 am Wiener Stadtrand und bieten »IT und EDV-Dienstleistungen« an.
Daneben bauen Jager und Polacek einen zweiten lukrativen Geschäftszweig auf – unter dem Namen »Five Star Media« betreiben sie eine sogenannte Adult-Division, sprich: Unterhaltung für Erwachsene. Neben einer Vielzahl an schlüpfrigen Domains und mehreren Pokerseiten geht spätestens 2007 redtube.com online.
Mit Redtube beginnt ein neues Kapitel für Jager und Polacek: Ende 2006 führen sie ihre Geschäfte in ein neues Firmenkonstrukt über und übersiedeln in die Wiener Innenstadt. Doch nur wenige Monate später steht die gesamte Adult-Division zum Verkauf. Wie kam es zu den turbulenten Veränderungen?
Die Redtube-Gründer Jager und Polacek dürften sich uneins geworden sein. Kolportierter Grund: Stefan Jager habe zu Gott gefunden und wollte das sündige Pornogeschäft hinter sich lassen. Er sattelt um. Bald geht die Website cross.tv online, eine Art Youtube für christlichen Content. Bis heute wird Jager dort als einer der Initiatoren der Website genannt – für DOSSIER waren weder er noch sein ehemaliger Geschäftspartner Polacek zu erreichen.
Polacek bleibt dem Pornogeschäft jedenfalls treu. Und die Erfolgsgeschichte von Redtube geht mit dem Einstieg eines neuen Geschäftspartners am 1. April 2008 erst so richtig los.
Die geheime Porno-Agentur
Die Made-in-Austria-Pornoseite redtube.com wird an eine geheimnisvolle Firma aus Hongkong verkauft, die Bright Imperial Limited. Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, dürfte die Seite jedoch unbemerkt in rot-weiß-roter Hand geblieben sein: Denn hinter Bright Imperial Limited taucht schon bald ein Oberösterreicher auf, der in den Jahren darauf zu einem der mächtigsten Männer der Pornoindustrie avanciert.
Redtube wird auch nach dem Verkauf nach Hongkong aus der Wiener Innenstadt verdeckt weitergeführt – ab 2011 unter dem Dach einer Firma, die offiziell nichts mit Redtube oder Porno im Allgemeinen zu tun hat: der Redact Media GmbH.
»In den Redact-Büros war gar nichts mit Redtube gebrandet. Es waren ja auch andere Leute da, die haben nicht gemerkt, was eigentlich unsere Arbeit war. Und wir haben uns bedeckt gehalten«, sagt Ex-Mitarbeiter Adams zu DOSSIER.
Bis zu fünfzig Mitarbeiter seien mit der Bereitstellung der Videos, dem Support, dem Einkauf von Material, dem technischen Betrieb und der Verbesserung der Website beschäftigt gewesen – zentral war der Videoplayer: »Man ist davon ausgegangen, dass man Redtube einhändig bedienen können muss. Mit einer Hand auf der Maus und der anderen an sich selbst«, sagt Adams.
Die ehemaligen Verantwortlichen bei Redact waren für DOSSIER nicht erreichbar oder lehnten Interviews ab. Alexander Kalchmann, einst Geschäftsführer und Miteigentümer, lässt seinen Anwalt antworten: »Mein Mandant hat nichts zu verbergen und hat sich insbesondere als Geschäftsführer und Minderheitseigentümer der mittlerweile aus dem Firmenbuch gelöschten Redact Media GmbH keinerlei Gesetzesverstöße zuschulden kommen lassen, ist jedoch weder an einem Beitrag zu Ihrer Recherche noch an einem Kontakt mit Ihnen und Ihrem Medium interessiert.«
Wer neben Kalchmann, der mittlerweile in die Glücksspielbranche gewechselt ist, bei Redact Media das Sagen hatte, ist also nicht so einfach festzustellen.
Bei der Gründung gehört die Firma jeweils zur Hälfte Kalchmann und seinem Geschäftspartner, dem IT-Dienstleister Michael Widholm – der war bereits zuvor für Jager und Polacek tätig. Redtube-Gründer Michael Polacek hat bei Redact Media offiziell keine Rolle inne, kommt laut Ex-Mitarbeitern aber immer wieder ins Büro und tritt als Eigentümer auf.
Sein Ziel sei es gewesen, mit Redact neue Geschäftsfelder zu erschließen – etwa mit einer Website für Fitnessvideos oder für lustige Videoclips, berichten mehrere ehemalige Mitarbeiter. Gleichzeitig habe er versucht, an den Erfolg von Redtube anzuschließen. Von der Rotenturmstraße aus werden neue Pornoseiten ins Netz gestellt, zum Beispiel mit Fokus auf hochauflösende Videos. Doch Redtube bleibt die alleinige Cashcow.
Deckname Bernard
Im Hintergrund bekommt Redact Media schon bald nach der Gründung einen weiteren Eigentümer – diskret, versteht sich. Im Juli 2011 steigt die Pontarelli Holding, eine Firma mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln, bei Redact ein. Der neue Mehrheitseigentümer wird bei seinen Mitarbeitern nie vorstellig. Er lebe in Hongkong, munkelt man, und sei ein großer Fisch. Nur ein Vorname geistert herum: Bernard.
Es ist ein Deckname. Wie DOSSIER im Mai 2021 enthüllt, gibt sich der Oberösterreicher Bernd Bergmair als Bernard Bergemar aus. Er steckt hinter der Briefkastenfirma Pontarelli Holding und kauft über diese 74 Prozent an der Redact Media. Bei Bergmair laufen die Fäden zusammen – denn Redact wiederum betreibt die Pornoseite Redtube, die Bergmair, der Mann hinter der Bright Imperial in Hongkong, besitzt. Bergmair selbst bleibt dabei fast immer unsichtbar. Für DOSSIER ist er auf Anfrage nicht erreichbar.
Ein einziges Mal blitzt »Bernard Bergemar« im Jahr 2011 offiziell auf – bei einem Gerichtsverfahren in den USA verteidigt er Redtube gegen den Vorwurf des unfairen Wettbewerbs. Weil die Erklärung unter Eid abgegeben wurde, könnte die Sache ein Nachspiel haben: »Bergmair nutzte verschiedene Decknamen (...), log unter Eid«, schreibt der Anwalt Michael Bowe 2021 in einer Klageschrift im US-Bundesstaat Kalifornien.
Bislang war Bergmair schwer zu fassen – seine Spur in Wien endet vorerst am 6. September 2013, als seine Pontarelli Holding die Anteile an Redact Media wieder verkauft. Für die geheime Pornoagentur ist das der Anfang vom Ende – Redact verliert den Auftrag, Redtube zu betreiben. Weil die anderen Redact-Seiten, auch die Pornoseiten, wirtschaftlich nicht abheben, werden kurz darauf die ersten Mitarbeiter entlassen, 2017 wird die Firma aufgelöst.
Dass Bergmair 2013 bei Redact aussteigt, ist wohl kein Zufall – es ist ein Schlüsseljahr für die Pornoindustrie: Die Geschäfte werden global neu geordnet. Die Website Redtube wird Teil der Manwin-Gruppe des deutschen Pornoinvestors Fabian Thylmann. Der wiederum zieht sich aus der Firma zurück und verkauft seine Anteile: Aus Manwin wird der neue Pornoriese Mindgeek.
Bergmairs größter Coup: Jahrelang bleibt unbemerkt, dass der Oberösterreicher durch diesen Deal zu einem der einflussreichsten Pornoindustriellen der Welt wird – zum Mehrheitseigentümer von Mindgeek. Als Geschäftsmann im noblen Stadthaus in London, als Investmentbanker in Hongkong und vom Traktorsitz aus, als unauffälliger Landwirt im ländlichen Ansfelden in Oberösterreich profitiert er diskret von seinem Pornoimperium.