Merkwürdige Machenschaften – Mindgeek-Chroniken, Teil 2

Mit der Entblößung von Menschen machen sie Millionen. Selbst ­verstecken sie sich und verschleiern ihre Geschäfte. Was haben die Hintermänner des größten Pornokonzerns Mindgeek zu verbergen?

Text: Nikolai Atefie, Georg Eckelsberger, Patrizia Schlosser

Porno17.6.2022 

Stellen Sie sich vor, Tesla würde öffentlich als »führender Industriebetrieb mit Expertise auf dem Gebiet elek­tromechanische Wandler« auftreten – und mit keinem Wort erwähnen, dass die Firma Elektroautos herstellt und noch dazu Weltmarktführer darin ist. Den Namen Elon Musk hätten Sie ebenso noch nie gehört. Klingt absurd? Genau so verhält es sich aber beim größten Pornokonzern des Planeten: Auf der Website von Mindgeek kommt das Wort Porno nicht ein einziges Mal vor. Stattdessen präsentiert man sich als führende IT-Firma mit Expertise in Bereichen wie Big Data und Suchmaschinenmarketing. Die Eigentümer wiederum verstecken sich hinter aufwendigen Firmenkonstruktionen und Decknamen.

Heimlichtuerei gehört in der Pornoindustrie des ­21. Jahrhunderts zum Geschäft. Während die dargestellten Sexszenen über die Jahre immer expliziter wurden, verschwanden jene, die damit das große Geld verdienen, im Schatten. Vor der Jahrtausendwende waren die ­Porno-Tycoons noch selbst Stars – etwa Playboy-Gründer Hugh Hefner mit seinen berühmten Bunnys und Partys. Oder Hustler-Gründer Larry Flynt, der vor US-­Gerichten auftrat, um die Verbreitung von Pornografie im Sinne der Meinungsfreiheit zu verteidigen, und so auch zur politischen Figur wurde. Ihre Nachfolger, jene Männer, die im Jahr 2022 die internationale Porno­industrie kontrollieren, halten sich meist im Hintergrund – dabei sind sie ungleich einflussreicher. Nirgends wird das so deutlich wie bei Mindgeek, ­einem der mächtigsten und mysteriösesten Pornokonzerne der Gegenwart.

Die Firma Mindgeek hat die internationale Pornoindustrie im Griff wie ein Krake, dessen Arme rund um den Planeten reichen. Er umfasst sämtliche Geschäftszweige, von der Produktion über den Vertrieb, die technische Infrastruktur bis hin zum hochprofessionellen Marketing. Während der Mutterkonzern Mindgeek selbst keinen Wert auf Publicity legt, sind seine Marken weltberühmt. Allen voran die Tube-Site Pornhub – jene Pornoplattform, die trotz Vorwürfen wegen missbräuchlich hochgeladener Sexvideos eine Art Kultstatus erreicht hat. Dass Pornhub-T-Shirts heute mitunter von Teenager·innen als freche Statements getragen werden, hat mit dem aufwendig erarbeiteten Image der Plattform zu tun: Mit cleveren Werbeaktionen erregt Pornhub die öffentliche Aufmerksamkeit – die zentrale Botschaft: »Seid doch nicht so verklemmt!« Zu Beginn der Corona-Lockdowns etwa verschenkte Pornhub Premium-Zugänge zunächst im besonders hart getroffenen Italien und später auch in anderen Ländern. Gratiszugriff erhielten 2018 auch die Bürger·innen der oberösterreichischen Gemeinde Fucking, ebenso die Bewohner·innen von La Vagina in Italien, Orgy in Frankreich, Blowhard in Australien und anderen Orten, deren Namen anrüchig klingen und von Pornhub zu »Premium Places« ernannt wurden. Regelmäßig macht Pornhub auch Werbung mit seinen Daten und veröffentlicht zum Beispiel die angeblich beliebtesten Kategorien einzelner Länder (Nummer eins in Deutschland und Österreich: »Milf«). Doch Transparenz und Lockerheit enden, wenn es um das eigene Unternehmen geht.

Kritische Anfragen von Journalist·innen werden bei Mindgeek und Pornhub ignoriert. Etwa wenn es um die Seite pornhublive.com geht: Über diese ­Adresse gelangt man auf eine Camming-Seite, die offiziell mit dem Pornhub-Logo gebrandet ist und von ICF Technology aus Seattle, USA, betrieben wird. Auf der Plattform erhält man gegen Bezahlung erotischen Austausch per Webcam – quasi Porno on demand: Man kann sich wünschen, welche Handlungen ausgeführt werden sollen. 2021 wurde bekannt, dass auf der Plattform Vergewaltigungen von Kindern bestellt und live gestreamt wurden. Die norwegische Polizei konnte die Spuren eines Mannes nachverfolgen, der auf der ICF-Plattform insgesamt 550 Darsteller·innen nach Kindern fragte. 400 davon sagten Ja, wie Ermittlungsakten zeigen, die der norwegischen ­Tageszeitung Verdens Gang vorliegen. In zahlreichen Fällen wurden die Anfragen in die Tat umgesetzt und Kinder, meist auf den Philippinen, in Echtzeit vor der ­Webcam vergewaltigt.

ICF kooperierte, half bei den Ermittlungen, lieferte Beweise: 1.500 Seiten Chatprotokolle und 69 Videos. Auf DOSSIER-Anfrage betont eine ICF-Sprecherin, welche Sicherheitsmaßnahmen die Firma nun ergreife, um derartigen Missbrauch zu verhindern: Gesichtserkennungssoftware oder mehr Angestellte für die Moderation der Seite. Und wie steht Mindgeek zu dem Fall; die Branchengröße, die mit der populären Marke Pornhub Nutzer·innen für die Camming-Plattform anwarb? Kein Kommentar. Der Konzern ignoriert die Anfrage. Dabei dürfte der Anteil der Einnahmen durch das Camming-Angebot pornhublive.com beträchtlich sein, das behauptete zumindest der ehemalige Eigentümer des Pornokonzerns, Fabian Thylmann: »Camming-Sites wie Pornhub Live machen circa die Hälfte des Umsatzes aus«, sagte Thylmann im Jahr 2021 in einem Podcast des Marketing-Blogs OMR. Thylmann hat sich 2013 aus dem Konzern zurückgezogen. Er ist einer der wenigen Hintermänner in der Geschichte von Mindgeek, die die Öffentlichkeit nicht scheuen.

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