Das Geschäft mit dem Verkehr

Wie und mit wem verdienen die Pornokonzerne ihr Geld? Eine Undercover-Recherche über Partnerschaften unter ­Konkurrenten, betrügerische Werbung und verdächtige Geldflüsse.

Text: Nikolai Atefie; Illustration: Barbora Keherova

Porno17.6.2022 

Die Frau gegenüber ist Mitte vierzig, sieht aber zwanzig Jahre jünger aus. Ihre Lippen sind aufgespritzt, die Zähne gebleicht, die Dauerwelle blond gefärbt. Markensonnenbrille, Markenhandtäschchen, russischer Akzent. So in etwa hat man die vermeintliche Oligarchennichte aus dem Ibiza-­Video in Erinnerung, das 2019 Österreichs Politik erschütterte. Natascha (Name geändert) spielt in dieser Geschichte eine ähnliche und dann doch wieder ganz andere Rolle. Sie sagt Sätze wie »Nie etwas schriftlich machen, denn dann gibt es Beweise«. Ihr Geschäft ist: Täuschen und Tarnen. Ihre Kund·innen arbeiten in der Pornoindustrie. Dubai, Miami oder Portugals Atlantikküste: Wo die Reichen und Schönen zusammenkommen, treffen sich auch die Geschäftemacher·innen der Pornoindustrie regelmäßig zum Austausch über Trends in der Technik, Gesetzesentwürfe, die es zu bekämpfen gilt – und vor allem, um lukrative Deals abzuschließen.

Die Undercover-Tarnung unseres Autors: Er arbeitet für eine IT-Firma, die an Adult-Content interessiert ist. Er ist neu und musste kurzfristig für einen Kollegen, der an Covid-19 erkrankte, einspringen. Er hat sich einen Bart wachsen lassen, Brille getragen und sich eine neue E-Mail-Adresse, Telefonnummer und einen Telegram-Account zugelegt. Finden Sie ihn in der Illustration?

Die Konferenzen tragen oft das Wort Affiliate, also Partner, im Namen. Die Branche wird mit »Online-Entertainment« umschrieben, gemeint sind: Porno, Internetglücksspiel und Dating. Die Gruppe der Teilnehmer·innen ist klein und wirkt vertraut. Viele kennen einander schon seit dem Beginn des Internetbooms. Man trifft sich auf Hochzeiten und geht zu Beerdigungen, sie nennen sich »erweiterte Familie« – und trotzdem kennen sie meist nicht den echten Namen des jeweils anderen. Kein Wunder, denn vieles, was bei der diesjährigen Konferenz im spanischen Sitges nahe der Metropole Barcelona besprochen wird, ist nicht nur unmoralisch, sondern mitunter auch illegal. Mit Journalist·innen will hier niemand sprechen. Deswegen hat DOSSIER verdeckt an dieser für Außenstehende eigentlich unzugänglichen Veranstaltung der Online-Erotik­industrie teilgenommen und einen tiefen Einblick in durchaus dubiose Geschäftspraktiken dieser Branche bekommen.

Wer dabei viele lüsterne Männer und Frauen, viel nackte Haut oder öffentlich zur Schau gestellte Erotik erwartet, der oder die irrt. Auf dieser Pornokonferenz laufen Männer in Hoodies herum, oft mit verwaschenen Firmenlogos. Sie tragen Fantasienamen wie Buster Brown, Greg the Mailer oder heißen einfach Yurii und Cyril. Ein paar schrille Vögel in glitzerndem Sakko oder mit rasiertem Kopf und Pferdeschwanz am Hinterhaupt gibt es auch. Es sind junge, ehrgeizige und bestens ausgebildete IT-Experten, meist aus Rumänien, Bulgarien und der Ukraine. Gute Universitäten, niedrige Lebenshaltungskosten und schwache Behörden mit wenig Regulierung für Geschäfte im Internet sind das optimale Substrat für den Adult-IT-Nachwuchs.

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