Am Schauplatz

In Österreichs größtem Industriekonzern überschlagen sich die Ereignisse. Mittlerweile prüfen Arbeitsrichterinnen, Staatsanwälte und die Datenschutzbehörde Vorgänge der teilstaatlichen OMV.

Von Ashwien Sankholkar

OMV23.4.2021 

Aufmacherbilder: Mitja Kobal / Greenpeace

Update am 6. August 2021:

Die Datenschutzbehörde (DSB) hat der OMV AG in einem Brief den Abschluss ihres Prüfverfahrens mitgeteilt. Wie DOSSIER berichtete, wurden die Ermittlungen im Frühjahr 2021 eingeleitet (siehe unten: „Schauplatz Belegschaft“). Der Verdacht: Das OMV-Topmanagement habe unrechtmäßig Einsicht in E-Mail-Accounts und Diensthandys von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genommen. Matthias Schmidl, stellvertretender DSB-Leiter, bestätigt gegenüber DOSSIER: „Das Verfahren gegen die OMV AG wurde Ende Juli abgeschlossen.“ Wie nun bekannt wurde, hat die OMV aus Sicht der DSB die Datenschutz-Grundverordnung und das österreichische Datenschutzgesetz verletzt. 

Die OMV bestätigt gegenüber DOSSIER den Erhalt des Bescheids, der ihr unrechtmäßiges Verhalten vorwirft. Die OMV werde sich jedoch gegen die Behördenentscheidung zur Wehr setzen, so OMV-Pressesprecher Andreas Rinofner gegenüber DOSSIER: „Die OMV vertritt eine andere Rechtsmeinung als die Datenschutzbehörde, und wir stützen uns dabei auf ein Rechtsgutachten von Univ.-Prof. Franz Marhold. Aus diesem Grund werden wir auch das vorgesehene Rechtsmittel ergreifen und Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben.“ Das Gericht wird sich voraussichtlich im Herbst mit der OMV-Datenschutzaffäre befassen.


In der OMV fliegen die sprichwörtlichen Fetzen. Seit DOSSIER berichtet hat, dass der Ölriese Umweltaktivistinnen und Klimaschützer überwacht haben soll, steht der teilstaatliche Konzern schwer in der öffentlichen Kritik. OMV-Boss Rainer Seele weist die Vorwürfe zwar pauschal zurück – doch mittlerweile fordern neben Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auch die Nationalratsabgeordneten Lukas Hammer (Grüne), Julia Herr (SPÖ) und Michael Bernhard (Neos) restlose Aufklärung. Indes kommen ähnliche Vorwürfe aus Neuseeland. 

Laut einer zweijährigen Recherche durch Radio New Zealand zählte die OMV in den Jahren 2019 und 2020 zu den größten Kunden der Sicherheitsfirma T+C. Der österreichische Ölkonzern soll in Neuseeland sogar Protestaktionen von Schulkindern oder Senioren überwacht haben. Auf Anfrage will Seele die neuen Vorwürfe nicht kommentieren.

Doch das ist nicht alles.

DOSSIER-Recherchen zeigen, dass auch hinter den Kulissen der OMV einiges im Argen liegt. Vorstandschef Seele ringt nicht nur mit Aufsichtsrat und Betriebsratsmitgliedern. Auch die Belegschaft ist betroffen.

Was im Frühling 2020 mit einer Maulwurfssuche im OMV-Aufsichtsrat startete, beschäftigt heute die Behörden. Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sowie die Datenschutzbehörde prüfen die internen Vorgänge des Industriekonzerns – unter anderem, weil Seele Diensthandys und E-Mails der Belegschaft untersuchen ließ.

Und immer wieder geht es um um den größten Firmenkauf der österreichischen Industriegeschichte: den umstrittenen Borealis-Deal.

Schauplatz Belegschaft

Auf der Suche nach Leaks ist Rainer Seele nicht zimperlich. Eine OMV-interne Rasterfahndung, bei der Einsicht in Diensthandys und berufliche E-Mails genommen wurde, soll dutzende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen haben. Das beschäftigt nun auch die Datenschutzbehörde (DSB).

„Wir haben ein Verfahren gegen die OMV AG eingeleitet“, sagt Matthias Schmidl, der stellvertretende DSB-Leiter, gegenüber DOSSIER. „Anfang April erging eine Aufforderung zur Stellungnahme an die OMV.“ Die Ermittlungen wurden durch einen Kurier-Bericht im März ausgelöst. „Durchgeführt wurde die Untersuchung durch die interne Revision“, schreibt der Kurier damals. Nicht der Aufsichtsrat, sondern der Vorstand unter Rainer Seele soll den Auftrag dafür gegeben haben.

Sogleich wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „gebeten, freiwillig zuzustimmen, dass die OMV in den Diensthandys in verkürzte Einzelverbindungsnachweise (die letzten drei Ziffern gestrichen) sowie in das dienstliche E-Mail-Konto über einen bestimmten Zeitraum einsehen dürfe“, so der Kurier weiter. Und was machte das Unternehmen damit? Die Handydaten sollen „mit bestimmten Zieltelefonnummern abgeglichen“ und E-Mails nach „ausgewählten Suchbegriffen gescreent“ worden sein. Der Betriebsrat wurde nicht in die Aktion eingebunden. Das sei rechtlich nicht notwendig gewesen, sagt OMV-Sprecher Andreas Rinofner.

In der Datenschutzbehörde schrillten die Alarmglocken, denn in Unternehmen mit gewählter Belegschaftsvertretung gilt der Grundsatz: In arbeitsrechtlichen Angelegenheiten sollte der Betriebsrat eingebunden werden. „In der Einwilligungserklärung heißt es, das Audit werde durchgeführt, um ‚etwaige Verstöße‘ gegen arbeitsvertragliche Geheimhaltungspflichten oder gesetzwidriges Verhalten zu erkennen“, schreibt der Kurier. Warum braucht es dann aber eine Einwilligungserklärung?

Bei berechtigten Interessen – wie dem Verdacht strafbarer Handlungen – muss die Zustimmung der Betroffenen nicht eingeholt werden. Einwilligungserklärungen müssen gut begründet sein, sonst werden sie von der Datenschutzbehörde nicht akzeptiert. Darum warnt die Wirtschaftskammer ihre Mitglieder: „Prüfen Sie, bevor Sie eine Einwilligung einholen, zunächst, ob nicht bereits eine andere Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung vorliegt (in diesem Fall wäre keine Einwilligung notwendig).“

Freiwilligkeit im Sinne des Datenschutzgesetzes wird sehr eng ausgelegt. In einem aufrechten Dienstverhältnis agieren Mitarbeiter nicht freiwillig. Wer nicht unterschreibt, der kann sofort gekündigt werden. Laut DOSSIER-Recherchen ist das auch geschehen: Eine Managerin (Name der Redaktion bekannt, Anm.) wurde vor Weihnachten gekündigt. Auch ihr wurde eine Einwilligungserklärung vorgelegt, und auch sie hat unterschrieben, obwohl sie ein mulmiges Gefühl hatte. Sie klagte die OMV auf Wiedereinstellung (Aktenzahl 15 Cga 129/20d). Laut Pressestelle des Arbeits- und Sozialgerichts wird der Fall am 17. Juni 2021 verhandelt.

„Wir können nicht ausschließen, dass Betriebsratsmitglieder überwacht werden, da wir leider in der Vergangenheit mit internen Untersuchungen konfrontiert waren“, sagt Anwältin Katharina Körber-Risak, sie ist Rechtsberaterin des OMV-Konzernbetriebsrats. Eine Anfrage betreffend Mitarbeiterüberwachung sei „unbefriedigend“ beantwortet worden. „Auch das kolportierte und von der OMV teilweise bereits zugestandene Einholen von Informationen über Umweltaktivistinnen beunruhigt die Belegschaftsvertreter zutiefst“, sagt Körber-Risak. „Zumal weitere Überwachungen der Belegschaft nicht mehr ausgeschlossen werden können. Die bisherigen Statements der Unternehmensleitung sind keineswegs geeignet, zu beruhigen, weswegen die Datenschutzbehörde alarmiert wurde.“

Ein Verfahren vor der Datenschutzbehörde kann teuer werden. Die Höchststrafe für Verstöße gegen das Datenschutzgesetz liegt bei vier Prozent des gesamten Weltumsatzes des Vorjahres. Zur Erinnerung: Die Post AG (Umsatz: rund zwei Milliarden Euro) wurde 2019 zu einer Strafe von 18 Millionen Euro verdonnert. Die Post hatte Glück im Unglück: Die Strafzahlung wurde mit weniger als einem Prozent des Umsatzes angesetzt und später wegen Formalfehlern aufgehoben.

Im Fall OMV ist laut DSB-Vizechef Schmidl alles offen: „Die Höhe einer Verwaltungsstrafe wird immer auf Basis der Umstände des Einzelfalls beurteilt.“ Die OMV ist zehnmal größer als die Post. Die theoretische Höchststrafe bei 23 Milliarden Euro Konzernumsatz im Jahr 2019 liegt bei 920 Millionen Euro. Datenschutzverletzungen sind kein Kavaliersdelikt.

Doch was war der Anlass für die OMV-Rasterfahndung? Ein Zeitungsartikel. „Seele und der Vorstand würden sich dagegen wehren, dass der Aufsichtsrat unter Garrett (Mark, Aufsichtsratschef, Anm.) seine Kompetenzen verbreitere“, stand am 28. November 2020 im Kurier. „In einem Brief an einige Großaktionäre habe der Vorstand laut Bloomberg thematisiert, dass der Einfluss des Aufsichtsrats unter Garrett eingeschränkt werden sollte, um auf Vorstandsebene eine breite Entscheidungspower abzusichern.“ Warum führte ein Artikel über Zoff zwischen Garrett und Seele zu internen Untersuchungen von Handys und E-Mails von Dritten?

Zur Überwachung der eigenen Leute und zum neuen Ermittlungsverfahren bei der Datenschutzbehörde will die OMV-Führung keine Stellungnahme abgegeben.

Schauplatz Aufsichtsrat

Eine Strafanzeige der Neos-Abgeordneten Karin Doppelbauer beschäftigt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (Aktenzahl: 7 St 7/20a). Die Begleitumstände rund um die Borealis-Übernahme der OMV sollen strafrechtlich durchleuchtet werden. Der Oppositionspolitikerin wurde ein vertraulicher Untersuchungsbericht zugespielt, der im Zentrum ihrer Sachverhaltsdarstellung vom 8. April 2021 steht.

Der Bericht wurde von OMV-Aufsichtsratschef Mark Garrett beauftragt. Der Wiener Rechtsanwalt Florian Khol sollte der Frage nachgehen, ob der OMV-Aufsichtsrat bei der Beschlussfassung des Erwerbs des 39-Prozent-Anteils an Borealis im März 2020 vollständig und korrekt informiert wurde.

Laut Kurier vom 1. April 2021 stellt der Untersuchungsbericht Vorstand Thomas Gangl kein gutes Zeugnis aus: Gangl soll dem Aufsichtsrat wichtige Informationen vorenthalten haben. Florian Khol, Partner der Wiener Kanzlei Binder Grösswang, will seine Untersuchungen gegenüber DOSSIER nicht kommentieren.

Der Untersuchungsbericht hatte aber keinen negativen Einfluss auf Gangls Karriere. Im April wechselte er vom OMV-Vorstand in den Chefsessel der Borealis AG. Laut Neos-Strafanzeige soll dies ohne Ausschreibung und mit Gehaltserhöhung geschehen sein. Gangl war für eine Stellungnahme nicht verfügbar.

Rechtsanwalt Andreas Köb, der die Strafanzeige im Auftrag der Neos eingebracht hat, stellt nun die Frage, ob wichtige Konzernregeln eingehalten wurden: „Wenn ein Vorstand plant, einen Vorstandskollegen zum Chef einer Konzerntochter zu bestellen, dann muss er meines Erachtens den Aufsichtsrat informieren. Allenfalls ist zu prüfen, ob eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat der OMV erforderlich ist.“

Seele und Gangl saßen im Februar 2021 im Vorstand der OMV und waren Aufsichtsräte der Borealis. Am 5. Februar gab Seele bekannt, dass Gangl mit 1. April zum Borealis-CEO bestellt wird. Die Zustimmung des Aufsichtsrats der OMV wurde nicht eingeholt, heißt es. OMV-Pressesprecher Andreas Rinofner: „Im Auftrag des Vorsitzenden des Aufsichtsrates von Borealis AG, Rainer Seele, möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Bestellung von Thomas Gangl zum CEO von Borealis ordnungsgemäß erfolgt ist.“ Für Neos-Politikerin Doppelbauer ist Gangls Bestellung nicht nachvollziehbar.

Sie verweist auf das Fazit des Untersuchungsberichts: „Der OMV-Aufsichtsrat wurde vor der Beschlussfassung zu Projekt Opera am 11. März 2020 trotz gegenteiliger Kenntnis von Herrn Gangl nicht darüber informiert, (a) dass aufgrund der sich ausbreitenden Covid-Pandemie und dem sinkenden Ölpreis der Rolling Forecast von Borealis für das Geschäftsjahr 2020 gegenüber den Annahmen im Budget von Borealis für das Geschäftsjahr 2020 geringer ausfällt und (b) dass aufgrund der negativen Entwicklung des ‚Europageschäfts‘ von Borealis der Ergänzungsantrag Projekt Opera in Punkt 5. falsch ist, da in diesem ausdrücklich festgehalten wird, dass die Prognosen für das ‚Europageschäft‘ mit dem Budget übereinstimmen.“

Doppelbauer: „Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, dass so ein Verhalten in einem börsennotierten und teilstaatlichen Unternehmen ohne Konsequenzen bleibt.“ Die Justiz nimmt Doppelbauers Worte ernst. René Ruprecht, Mediensprecher der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, gegenüber DOSSIER: „Wir prüfen die Neos-Anzeige auf Vorliegen eines Anfangsverdachts. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“

Schauplatz Betriebsrat

Seit Monaten kämpft OMV-Boss Rainer Seele gegen eine Betriebsrätefront. Konkret sind das OMV-Konzernvertretungschef Alfred Redlich, Borealis-Zentralbetriebsratschef Hubert Bunderla sowie die OMV-Aufsichtsräte Nicole Schachenhofer und Gerhard Singer. Am 8. April 2021 fand der Schlagabtausch erstmals vor Publikum statt.

Das Quartett klagte den Vorstand, weil der sich in Betriebsratsangelegenheiten eingemischt hatte – ein Schritt mit Wirkung. Nach wochenlangem Hickhack schwenkte Seele schon im März die weiße Fahne: Er werde den Konzernbetriebsrat akzeptieren. Doch die Einsicht kam zu spät. Die Maschinerie am Arbeits- und Sozialgericht war in Gang gesetzt worden. Seeles Leute versteckten sich im wahrsten Sinne des Wortes vor der Niederlage: Sie blieben dem Gerichtsprozess fern und schickten nicht einmal einen Rechtsvertreter. Richter Arnold Tiefnig sprach ein Versäumungsurteil gegen die OMV.

Im Match Betriebsrat gegen Vorstand steht es eins zu null. Doch Seele gibt sich nicht geschlagen. Die Betriebsräte könnten dort getroffen werden, wo es wehtut: beim Geld. In der OMV bunkert ein gut dotierter Sozial- und Wohlfahrtsfonds. Seit 2004 soll die OMV auf Basis einer Betriebsvereinbarung rund 280 Euro pro Mitarbeiter und Jahr zahlen.

Weil die Betriebsräte nicht verpflichtet sind, das Geld sofort auszugeben, hat sich ein kleines Vermögen angesammelt. Die Betriebsvereinbarung, auf die sich der Sozial- und Wohlfahrtsfonds stützt, soll per 30. April 2021 gekündigt werden – versiegen die Auszahlungen, wird das den Betriebsräten vorgeworfen.

OMV-Holding-Betriebsratschefin und OMV-Aufsichtsratsmitglied Angela Schorna ist empört, weil Seele in einem Webcast die Betriebsräte schlechtmachte und ihnen unterstellte, das Geld nicht korrekt zu verwenden.

In einer Mail an die Belegschaft stellte Schorna am 20. April 2021 klar, dass die Fondsgelder für Soziales und Gesundheitliches verwendet werden: „Zudem befindet sich im Fonds für den Notfall eine Rückstellung, die sich aus der Abgeltung für unsere OMV-Sportstätte in Stadlau erklärt.“ Auf diese Rücklage greift der Betriebsrat zurück, um Härtefälle zu unterstützen. Ein sachlicher Konter auf Seele, der den Sozialfonds abfällig als „Spardose“ des Betriebsrats bezeichnete.

„Im Webcast hat Herr Seele wahrheitswidrig behauptet, die Betriebsräte hätten die bestehenden Wohlfahrtsfonds nicht ordnungsgemäß verwendet“, so OMV-Konzernbetriebschef Alfred Redlich. „Ein Gremium aus Betriebsräten verwaltet diese Gelder streng, vertraulich und akribisch. Jede Auszahlung bedarf zudem der Einstimmigkeit.“ Seele will die Aussagen nicht kommentieren.

Sein Engagement für die Belegschaft könnte Betriebsratschef Redlich zum Verhängnis werden. „Neuester Versuch, die Konzernvertretung zu unterminieren, sind bereits zugestandene Pläne des Unternehmens, die Gesellschaft, in der Herr Redlich Betriebsratsvorsitzender ist, in eine andere Gesellschaft einzugliedern“, sagt Anwältin Katharina Körber-Risak, die Rechtsberaterin des OMV-Konzernbetriebsrats. „Offenbar besteht die Absicht, seine Betriebsratsrolle zu schwächen oder gar zu eliminieren.“