Update vom 20.4.2021: OMV-General Rainer Seele hat Vizekanzler Werner Kogler einen Brief geschrieben. Im DOSSIER vorliegenden Schreiben vom 14. April 2021 bleiben die konkreten Fragen der Umweltaktivistinnen und -aktivisten unbeantwortet. Was in den Verträgen mit den Überwachungsspezialisten steht, bleibt weiterhin ein Geheimnis. Seele laut Brief: „Den Vorwurf, dass NGOs oder Privatpersonen ausspioniert würden, oder in der Vergangenheit wurden, weist die OMV entschieden zurück.“ Kogler ist das zu wenig. „Es wirkt, als wären die Befürchtungen der Zivilgesellschaft damit noch nicht aus dem Weg geräumt“, heißt in einer schriftlichen Stellungnahme des Büros des Vizekanzlers gegenüber DOSSIER, wo die OMV zu mehr Transparenz aufgefordert wird. „Vizekanzler Kogler würde es begrüßen, wenn hier im Sinne der gesellschaftlichen Vertrauensbildung eine restlose Klärung möglichst rasch erfolgt.“ Der Ball liegt wieder bei Rainer Seele.
Aufmacher: Privat / APA / picturedesk.com, OMV Aktiengesellschaft
Aufregung im April. Ein brisantes Schreiben landete dieser Tage in der Chefetage der OMV. Absender war niemand Geringerer als Werner Kogler (Grüne). Unter dem Betreff „Schreiben von Greenpeace und Fridays for Future“ forderte der Vizekanzler der Republik Österreich vom Generaldirektor der OMV sofortige Aufklärung zu einem schweren Vorwurf: der möglichen „Kooperation der OMV mit Investigations- und Überwachungsfirmen zur Überwachung der Umweltbewegung“. Der Verdacht: Nicht nur Greenpeace – quasi Koglers Stammklientel – soll ausspioniert worden sein. Auch junge Menschen, die bei Greta Thunbergs Klimabewegung Friday for Future (Fridays) in Österreich mitmachen, soll die OMV ins Visier genommen haben.
Der brisante Brief des Vizekanzlers vom 7. April 2021 sowie das von Fridays for Future und Greenpeace gemeinsam verfasste Schreiben vom 1. April 2021 liegen DOSSIER exklusiv vor. Fridays und Greenpeace stützen ihre Vorwürfe auf zugespielte E-Mails, die die OMV mit den Security-Firmen Welund sowie Thompson + Clark (T+C) in Verbindung bringen. Den darauf aufbauenden Überwachungsverdacht will Vizekanzler Kogler nun vom OMV-Vorstandsvorsitzenden Rainer Seele aufgeklärt wissen.
Die Republik Österreich besitzt über die im Finanzministerium angesiedelte Staatsholding Öbag 31,5 Prozent an der börsenotierten OMV AG. Gemanagt werden die Staatsanteile von Öbag-Alleinvorstand Thomas Schmid, der stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der OMV ist.
Den Klimaschützern wurden konkrete Informationen aus dem OMV-Konzern zugespielt. In einer E-Mail vom 24. Februar 2020 tauschen sich etwa OMV-Mitarbeiter über Welund aus. So schreibt ein OMV-Group-Security-Manager an zwei OMV-Leute: „Would you both like to be included in emails from Welund (our target activism intelligence provider), this normally consists of a generic daily report listing global activism and then sporadic OMV specific emails.“ Frei übersetzt: „Wollt ihr auf den Verteiler unseres Aktivist*innen-Überwachers?“
Gegründet von einem Geheimagenten
Welund wurde laut dem Investigativportal Mother Jones von einem ehemaligen Agenten des britischen Geheimdienstes MI6 gegründet und zählt große Öl- und Gaskonzerne wie Chevron, Kinder Morgan und Royal Dutch Shell zu seinen Kunden. Im November 2020 enthüllte die Rechercheplattform DeSmog UK, dass die Privatagenten für die Londoner City Hall arbeiten. Als Reaktion auf anhaltende Proteste der Aktivistinnen von Extinction Rebellion bat das Londoner Rathaus um Unterstützung der Überwachungsspezialisten. Der Auftrag an Welund sorgte für einen öffentlichen Aufschrei. Eine schriftliche DOSSIER-Anfrage an Welund blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Auch Greenpeace dürfte bereits ins Visier von Überwachern geraten sein. 2017 wurde das lokale Büro in Auckland, Neuseeland von einem Whistleblower informiert, dass die Privatdetektei Thompson + Clark Umweltschützer im Auftrag von Ölfirmen gezielt überwacht. „Greenpeace Neuseeland griff aufgrund der Schwere der Vorwürfe, die der anonyme Hinweisgeber aufwarf, zu drastischen Mitteln und organisierte eine Gegenüberwachung“, sagt Greenpeace-CEE-Chef Alexander Egit gegenüber DOSSIER. „So konnte Greenpeace Neuseeland im Jahr 2017 dokumentieren, wie Mitarbeiter*innen fotografiert und überwacht wurden.“ Auch bei T + C ortet Greenpeace einen OMV-Konnex. „OMV taucht in den veröffentlichten Mail-Konversationen auf“, sagt Egit. Thompson + Clark war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
OMV-Vorstandsvorsitzender Rainer Seele wollte das Aufforderungsschreiben des Vizekanzlers gegenüber DOSSIER nicht kommentieren. Auf die konkreten Vorwürfe von Fridays und Greenpeace will die OMV ebenfalls nicht eingehen. Selbst das Büro des Vizekanzlers hat bis Redaktionsschluss keine Antwort von Seele erhalten.
OMV-Pressesprecher Andreas Rinofner hält in einer schriftlicher Stellungnahme nur fest: „Zu Ihrer Greenpeace-Anfrage kann ich Ihnen sagen, dass sämtliche Tätigkeiten von Firmen, die für die OMV arbeiten, unter Einhaltung aller geltenden Gesetze erbracht werden. Darüber hinaus gilt der dem UN Global Compact entsprechende OMV Code of Conduct nicht nur für die OMV selbst, sondern für jedes andere Unternehmen und jede Person, die im Auftrag der OMV tätig ist. Zu dessen Prinzipien zählen insbesondere auch jene der freien Meinungsäußerung sowie der Versammlungs- und Vereinsfreiheit.“
Aber was wollen die Umweltschützer eigentlich wissen?
„Gibt beziehungsweise gab es jemals Verträge mit der Investigations-Firma Welund, die sich selbst als führend im ‚Verstehen der aktivistischen und politischen Bedrohung‘ vermarktet und dafür bekannt ist, Umweltbewegungen für die Öl- und Gasbranche zu beobachten? In welchem Verhältnis steht die OMV zur neuseeländischen Überwachungsfirma Thompson & Clark, die im Verdacht steht, Greenpeace Neuseeland über Jahre hinweg illegal überwacht zu haben?“
Wie hat die OMV auf die Fragen reagiert?
Greenpeace-Geschäftsführer Egit: „Die OMV hat die Verbindungen zu den dubiosen Spionagefirmen nicht dementiert, sondern Zuflucht in generischen Compliance-Regeln gesucht und die Vertraulichkeit von Auftragsbeziehungen vorgeschoben. Wir fordern jedoch volle Transparenz, die Offenlegung sämtlicher Verträge mit Investigativfirmen zum Zweck der Überwachung der Zivilgesellschaft sowie aller gesammelter Daten.“
Fridays-Austria-Repräsentant Aaron Wölfling gegenüber DOSSIER: „Gerade für unsere jungen Aktivist*innen ist es erschreckend zu hören, dass ein mächtiger Konzern wie die OMV mit zwielichtigen Investigativspezialist*innen zusammenarbeitet, scheinbar um die Umweltbewegung zu überwachen. Firmen wie Welund leben davon, friedliche Proteste wie unsere Schulstreiks und junge Menschen, die sich für eine gute Zukunft für uns alle starkmachen, als existenzielle Bedrohung zu inszenieren und uns im Auftrag der Ölindustrie zu überwachen.“
Vizekanzler Werner Kogler hat Rainer Seele seinen Standpunkt klargemacht: „Im genannten Schreiben wurden einige Fragen an Sie gerichtet, die insbesondere eine mögliche Überwachung zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Gegenstand haben“, schreibt der Vizekanzler. „Die rasche Behandlung dieser Thematik und entsprechende Aufklärung der in Raum gestellten Vorwürfe im Sinne der öffentlichen Relevanz, Transparenz und gesellschaftlichen Vertrauensbildung (halte ich, Anm.) für wichtig.“
Schnüffeln für die OMV
In der OMV sind externe Berater keine Seltenheit. Das mittlerweile eingestellte Onlineportal Addendum enthüllte im Juni 2018 im Zuge der BVT-Affäre, dass die OMV „zwielichtige Securityfirmen“ beauftragt hatte. Das Nachrichtenmagazin Profil berichtete im Juli des Vorjahres, dass der Konzern „eine Privatagentin mit Stasi-Vergangenheit“ auf der Payroll hatte: Über Anwälte und Berater wurden in Summe 9,1 Millionen Euro an die Privatagentin geschleust. Der Auftrag betraf die Rumänien-Geschäfte der OMV. Zuletzt schrieb der Kurier im März 2021 über den saloppen Umgang der OMV mit dem Thema Datenschutz: „Wieder Untersuchung bei der OMV. Dutzende Mitarbeiter betroffen, Einsicht in Diensthandys und E-Mail-Accounts.“
„Es geht entschieden zu weit, wenn die OMV dubiose Spionagefirmen beauftragt, die junge Klimaschützerinnen und Klimaschützer überwachen“, sagt Greenpeace-Mann Egit. „Statt sich auf das Ausspionieren der Zivilgesellschaft zu konzentrieren, hätte Rainer Seele die OMV mit einem echten Strategiewandel in einen zukunftsfähigen, klimafreundlichen Konzern umbauen müssen.“ Für die Klimaschützer ist Seele der falsche Mann an der Konzernspitze. Sie fordern seinen Rücktritt. Auch Fridays-Repräsentant Aaron Wölfling fordert Antworten vor der Aufsichtsratssitzung am 15. April 2021. Die Deadline ist nicht zufällig gewählt. An dem Tag wird über die Verlängerung des Seele-Vertrags beraten.