Risiken und Nebenwirkungen

In der Equip4Ordi-Affäre ordnete die Justiz eine Hausdurchsuchung an. Jüngster Verdacht: Equip4Ordi-Geld soll für den Ärztekammer-Wahlkampf missbraucht worden sein.

Text: Ashwien Sankholkar

Ärztekammer22.3.2023 

Fotocredit: Tobias Steinmauer APA

Update vom 4. August 2023:

Ärztekammerpräsident als Beschuldigter

Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen den Präsidenten der Ärztekammer für Wien und Österreich. »Johannes Steinhart wird als Beschuldigter geführt«, bestätigt Staatsanwaltschaft-Wien-Pressesprecherin Nina Bussek gegenüber DOSSIER. »Es geht um den Verdacht der Beteiligung an einer Untreue. Aufgrund der Komplexität des Verfahrens wurde es einer Sondergruppe der Staatsanwaltschaft Wien zugewiesen.« Der Ärztekammerpräsident war für eine Stellungnahme gegenüber DOSSIER nicht erreichbar.

Geprüft wird Steinharts Rolle in der Affäre rund um die ÄrzteEinkaufsService - Equip4Ordi GmbH (E4O), eine Tochtergesellschaft der Kurie der niedergelassenen Ärzt·innen in Wien. Als ehemaliger Kurienobmann trägt Steinhart die politische Verantwortung für die E4O-Troubles. Ob die Sache strafrechtliche Konsequenzen für ihn hat, entscheidet die Staatsanwaltschaft. Bussek: »Wir gehen sämtlichen Vorwürfen nach.« Dazu zählen etwa die dubiosen Prämien und Provisionen an zwei Ex-E4O-Geschäftsführer, die fragwürdigen Zahlungen von E4O an einen Arzt sowie die teuren Sideletter für einen Steinhart nahestehenden Anwalt. So wird die Liste der Beschuldigten immer länger: Neben dem Ärztekammerpräsidenten wird nun auch gegen den Anwalt und den Arzt ermittelt.

Staatsanwältin Sonja Herbst setzt die Arbeit ihrer Kollegin Cindy Höller fort. Herbst gehört der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Sondergruppe an und hat sich als Co-Anklägerin im Bawag-Prozess ihre Sporen verdient. Durchleuchtet wird beispielsweise Steinharts Rolle bei der Gewährung von Prämien an die E4O-Geschäftsführer. »Die Auszahlung der Prämie soll sich auf eine mündliche Zusage des Dr. Steinhart stützen«, hält Herbst laut Strafakt fest: »Nach Angaben der Anzeiger sollen die Geschäftsführer die Prämien zurückgezahlt haben. Es bleibt die Frage, ob die GmbH (die E4O, Anm.) allenfalls tatsächlich Werbekosten für die Ärztekammer bezahlt hat und ob dadurch eine Untreue begangen wurde.« Letzteres bezieht sich auf den Verdacht, dass E4O-Geld für den Ärztekammer-Wahlkampf zweckwidrig verwendet wurde (siehe nachfolgende Story vom März 2023). Für Steinhart gilt die Unschuldsvermutung. (Ende)

 

In der Equip4Ordi-Affäre steht ein entlassener Ärztekammer-Mitarbeiter im Fokus. Da es sich bei ihm um keine Person des öffentlichen Lebens handelt, veröffentlicht DOSSIER nicht seinen echten Namen und nennt ihn Klaus Brinkmann. Brinkmann war die rechte Hand von Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart (Bild) und dessen strategischer Berater in Ärztekammer-Wahlkämpfen – zuletzt Anfang 2022.

Bis zu seiner Entlassung im Jänner 2023 bekleidete Brinkmann hohe Funktionen in wichtigen Beteiligungen der von Steinhart seit 1999 geführten Kurie der niedergelassenen Ärzt·innen. So fungierte er als Beiratsmitglied der auf Bereitstellung von medizinischen Bedarfsartikeln spezialisierten ÄrzteEinkaufsService – Equip4Ordi GmbH (E4O) und war Topmanager der E4O-Tochter Ärztefunkdienst-Dienstleistung GmbH. 

Seit Februar interessiert sich Staatsanwältin Cindy Höller für Brinkmann, wie DOSSIER berichtete. Die Justiz prüft mutmaßliche Malversationen rund um die E4O. Auf der Suche nach belastendem Material fand im Februar sogar eine Hausdurchsuchung bei Brinkmann statt. Doch damit nicht genug. 

Laut einer DOSSIER exklusiv vorliegenden Sachverhaltsdarstellung vom 7. März 2023 besteht ein neuer Verdacht: Mit E4O-Geld soll der Ärztekammer-Wahlkampf der »Vereinigung Österreichischer Ärztinnen und Ärzte - Liste Steinhart« unterstützt worden sein. 

Mit dieser neuen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft (StA) Wien haben sich die Fronten massiv verhärtet. Prominente Mitglieder der »Vereinigung« wie Ex-ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger machen Steinhart öffentlich die Mauer und werden ihrerseits von der eigenen Fraktion attackiert. Dort wird der Ruf nach einem Neustart immer lauter ­– im Notfall ohne Steinhart.

»Mein Mandant äußert sich nicht zu den laufenden Ermittlungen«, sagt Brinkmanns Anwalt Michael Rami gegenüber DOSSIER. »Mein Mandant begrüßt die rasche und lückenlose Aufklärung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft und unterstützt diese mit seiner vollumfänglichen Kooperation.« Dem Ausgang der Ermittlungen sehe er mit Zuversicht entgegen. Rami: »Die fristlose Entlassung wird bereits auf dem Rechtsweg angefochten.«

Was wusste der Präsident? 

E4O-Manager sollen in Ärztekammer-internen Befragungen Johannes Steinhart immer wieder belastet haben. »Die drei Beschuldigten behaupten, die Tathandlungen seien auf Weisung bzw. mit Genehmigung des Präsidenten OMR Dr. Steinhart zustande gekommen«, heißt es in einer DOSSIER vorliegenden »Anordnung der Sicherstellung« der Staatsanwaltschaft Wien. Seit Wochen wird  nach belastender »Korrespondenz zwischen (...) Brinkmann und Präsident Steinhart« gesucht.

Fakt ist: In Geldtransfers wie die dubiosen E4O-Provisionen war Steinhart zumindest eingeweiht, DOSSIER berichtete. Neu ist der von E4O-Anwälten angezeigte Verdacht, dass mithilfe von E4O der Wahlkampf der Liste Steinhart unterstützt worden sein könnte.

Konkret geht es um einen Marketingzuschuss von 240.000 Euro, der 2022 von E4O an eine Wiener IT-Firma überwiesen wurde. Mit dem Geld wurden Lizenzen für die Arztpraxis-Software Care01 erworben, so die Strafanzeige. Aber: »Es ist kein wirtschaftlicher Vorteil für die E4O aus der Beteiligung an der Care01 erkennbar.« 

Eine denkbare Erklärung laut Strafanzeige:

Der von Ärztekammerpräsident Steinhart sowie dem Drittbeschuldigten im Vorfeld der Neuwahl bzw. Neukonstituierung der Kammergremien im Frühjahr 2022 geäußerte Wunsch, Wahlkampfgeschenke an die Ärzt·innen zu verteilen.

Der Drittbeschuldigte ist eben Klaus Brinkmann.

Doch was könnten »Wahlkampfgeschenke« gewesen sein? Mutmaßlich das Gratisangebot der Care01-Software. Das Budget reichte für 400 Ärzt·innen. »Bislang wurden 258 Probelizenzen vergeben«, rechnen die E4O-Anwälte vor. Die Lizenzgebühr von 600 Euro für jede/n Ärzt·in übernahm E4O. Die Kosten wurden in der E4O als »Marketingzuschuss« verbucht. Gesamtkosten: 240.000 Euro. 

Wurden also E4O-Gelder für den Wahlkampf der »Vereinigung« verwendet? Erwin Rasinger, Generalsekretär der »Vereinigung«, weist die Vorwürfe gegenüber DOSSIER zurück: »Es gibt keine Wahlkampfgeschenke. Wir haben keinen Cent von E4O bekommen. Ich lade Sie ein, in unsere Buchhaltung zu schauen. Sie werden nichts finden.« 

Im Rahmen der im Auftrag von Kurienobmann Erik Huber erfolgten juristischen Sonderprüfung gaben die E4O-Manager gegenüber Rechtsanwalt Matthias Cerha zu Protokoll, dass für den Care01-Deal keine Beirats- oder Gesellschafterbeschlüsse eingeholt wurden.  

Es bestehe der Verdacht, dass die ehemaligen E4O-Geschäftsführer »gravierende Pflichtverletzungen begangen und der E4O dadurch einen erheblichen Vermögensschaden zugefügt haben«, schreiben die E4O-Anwälte in der Sachverhaltsdarstellung vom 7. März 2023.

Und weiter: »Außerdem haben sie gegenüber Dr. Cerha eingestanden, dass es einen ›Auftrag‹ des damaligen Obmanns der Kurie der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer Wien, Dr. Johannes Steinhart (...), gegeben habe.«

Dieser könnte darauf ausgerichtet gewesen sein, den »niedergelassenen Ärzt·innen im Zuge des Kammer-Wahlkampfs im Auftrag der Fraktion ›Vereinigung‹ Vorteile zukommen zu lassen.« Die »Vereinigung Österreichischer Ärztinnen und Ärzte – Liste Steinhart« ist derzeit die größte Fraktion in der Ärztekammer für Wien.

Was sagt »Vereinigung«-Obmann Johannes Steinhart zu den Risiken und Nebenwirkungen der Equip4Ordi-Affäre? Steinhart lässt DOSSIER über einen Sprecher ausrichten: »Kein Kommentar.«

Durchsuchung und Sicherstellung

Die Staatsanwaltschaft Wien geht jedem Verdacht penibel nach. Zitat aus der DOSSIER vorliegenden »Anordnung der Durchsuchung« vom 6. Februar 2023: 

Aufgrund gerichtlicher Bewilligung ordnet die Staatsanwaltschaft (...) die Durchsuchung der Wohnstätte des Klaus Brinkmann samt allfälligen Nebenräumen, Nebengebäuden und Kellerabteilen (...) an. Im Zuge der Durchsuchung sind (...) sicherzustellen: Datenträger, auf dem/denen sich das von Klaus Brinkmann im Jänner 2023 erstellte Back-Up (Datensicherung) des PC Lenovo ThinkStation (...), des IPhone 14 (...) und des Laptops Microsoft Surface (...) befindet.

Der Hintergrund: Als Brinkmann am 23. Jänner 2023 freigestellt wurde, sei ihm aufgetragen worden, die elektronischen Geräte des Ärztefunkdienstes sofort zu retournieren. Jedoch Brinkmann ließ sich reichlich Zeit und übergab Geräte, auf denen alles gelöscht war, woraufhin er fristlos entlassen wurde. 

Die Polizist·innen suchten nach Sicherheitskopien in Brinkmanns Haus. »Die elektronischen Geräte (müssen) einer IT-Auswertung zugeführt werden, im Zuge derer festgestellt werden kann, ob die Dateien rekonstruierbar oder unwiderruflich gelöscht sind«, heißt es in der Durchsuchungsanordnung. Brinkmann-Anwalt Rami ergänzt: »Die sicherzustellenden Gegenstände wurden den Beamten am 13. Februar 2023 freiwillig übergeben.« 

Die Verdachtslage wiegt schwer. Trotzdem setzen sich Spitzenvertreter der Liste Steinhart massiv für Brinkmann ein. 

»Die fristlose Entlassung (...) soll zurückgezogen werden«, steht in einem Antrag von Erwin Rasinger, der in der Sitzung der Kurie der niedergelassenen Ärzt·innen am 7. März eingebracht wurde. »Entsprechende Weisungen sind durch die Kurienführung an die Holding zu erteilen.«

Rasinger saß von 1994 bis 2017 für die ÖVP im Nationalrat, war viele Jahre Gesundheitssprecher und ist Mandatar der Liste Steinhart. Als Generalsekretär der Liste managte er auch ihren Wahlkampf. Auch Brinkmann kennt er sehr gut und hält Kontakt. Rasinger: »Bei den Ermittlungen gegen ihn wird nichts rauskommen.« Brinkmann sei ein »sehr guter Mitarbeiter« gewesen.

»Die Dienstgeräte wurden lediglich prozesskonform (wie in Gesellschaften üblich) mit vorherigem Back-up zurückgesetzt«, steht in Rasingers Antrag zur Brinkmann-Rückholung. »Die Back-ups wurden der Behörde vollständig übergeben und auch der Erhalt bestätigt.« Damit sei die Sache für Rasinger erledigt.

Seinen »Vereinigung«-Fraktionskollegen und amtierenden Kurienobmann Erik Huber will Rasinger hingegen per Misstrauensantrag loswerden. Huber hat die Equip4Ordi-Affäre rund um Brinkmann ins Rollen gebracht. Die Abwahl des Aufdeckers soll bei der nächsten außerordentlichen Kuriensitzung zur Abstimmung gebracht werden - und danach die leidige Affäre beendet werden.

Aufstand in der Vereinigung

Doch Rasingers Schuss droht nach hinten loszugehen. Die Brinkmann-Rückholung ist vielen zu steil. Denn die Anträge beinhalten enorme Haftungsrisiken für die Mandatare, und auch innerhalb der »Vereinigung – Liste Steinhart« werden Rasingers Attacken gegen Huber nicht sonderlich gutgeheißen.

In einer außerordentlichen Sitzung der »Vereinigung« am 24. März soll Tacheles geredet werden. Zwei Ärztekammer-Präsidiumsmitgliedern reicht es: Vizepräsident Stefan Konrad und Finanzreferent Frédéric Tömböl fordern ein Ende des Hickhacks. 

»Die Beantragung oder die Unterstützung einer Abwahl von Vizepräsident Dr. Erik Randall Huber in der Kurie der niedergelassenen Ärzte durch Mitglieder unseres Vereins wird das öffentliche Ansehen massiv beschädigen«, schreibt Vizepräsident Konrad in seinem Antrag an den Vereinsvorstand. Das sei keine Art, mit Kritik umzugehen.  

Konrads Antrag enthält eine Breitseite gegen Rasinger: »Die Vollversammlung der Vereinigung Österreichischer Ärztinnen und Ärzte kommt somit überein, dass eine Behinderung der Aufklärung möglicher Malversationen durch Abwahl des Vizepräsidenten einen Ausschlussgrund gemäß der Statuten unseres Vereins darstellt.« 

Tömböl schlägt in dieselbe Kerbe: »Die teilweise hinterhältig, teilweise offen ausgetragenen Spaltungsversuche verschiedener Mitglieder unserer Fraktion machen eine Neuaufstellung der Vereinsführung erforderlich«, schreibt er. Warum Steinhart das Misstrauen ausgesprochen? Huber ist kein Einzelfall.

Der engagierte Huber-Stellvertreter und Dermatologe Mo Pachala sollte »wegen Untätigkeit in der Kurienführung« per Antrag abgesetzt werden, berichtete der Kurier über das »Königsdrama in der Ärztekammer«. Damit haben Steinhart und Rasinger eine Grenze überschritten. »Das war nicht fair, sondern eine Warnung«, sagt ein Arzt, der – anders als Konrad und Tömböl – anonym bleiben will. 

Auch darum wurde eine Neuwahl der »Vereinigung«-Spitze beantragt. Tömböl bestätigt seine Kandidatur als Obmann: »Ich möchte in dieser einzigartigen Situation Verantwortung übernehmen, statt länger nur zuzusehen, wie unsere Fraktion irreparabel geschädigt wird und in die Bedeutungslosigkeit driftet.« 

Haftungsrisiko für Mandatare?

In einer Informationsmail der Kurie der niedergelassenen Ärzt·innen vom 11. März 2023 wird außerdem auf Haftungsrisiken hingewiesen, die mit einer Abwahl von Huber und Pachala oder einer Rückholung Brinkmanns einhergingen:

Sollten Personen, gegen die sehr gravierende Verdachtsmomente, insbesondere der Untreue, bestehen, wieder eingesetzt werden, könnte dies im Fall der Behinderung der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zu (straf-)rechtlichen Konsequenzen für alle daran Beteiligten führen.

Gegen Brinkmann wird wegen Untreueverdachts ermittelt. Und weiter:

In einfachen Worten: Wer immer sich daran beteiligt, die strafrechtlich verfolgte Person wieder einzusetzen, sei es durch Anträge, Abstimmung oder Umsetzung, macht sich potenziell selbst strafbar.

In einer Sache ist Rasinger bereits zurückgerudert. So hatte Kurienobmann Huber auf Antrag des »Kammer Light«-Mandatars Andreas Schindl eine Untersuchungskommission eingesetzt, die die E4O-Affäre intern aufarbeiten sollte. Die U-Kommission mit Vorsitzenden Schindl sollte im Rasinger-Antrag vom 7. März noch gekillt werden. »Ich will Frieden«, sagt Rasinger heute. »Wir werden diesen Antrag zurückziehen.«

Der Misstrauensantrag gegen Huber könnte Folgen haben. Ärztekammer-Mandatare sind Amtsträger, die sich strafbar machen, wenn sie für ein pflichtgemäßes Geschäft einen Vorteil in Aussicht gestellt bekommen bzw. erhalten.

»Wer gegen Huber stimmt, um einen gut dotierten Ärztekammer-Posten zu bekommen, der sollte sich das gut überlegen«, sagt ein involvierter Jurist. Rasinger kalmiert: »Es gibt keinerlei Vereinbarungen, dass nach dem Misstrauensantrag irgendwelche Posten verteilt werden.«