Martin Ho: Seltsame Signaturen

Die Staatsanwaltschaft Wien weitet in der Causa Martin Ho den Prüfradius aus: Bei Corona-Kurzarbeits-Anträgen sollen Unterschriften gefälscht worden sein.

Text: Ashwien Sankholkar

Aktuelles24.8.2022 

Aufmacherbild: leisure communications

UPDATE vom 10. September 2022:

Martin Ho beendet Managerdasein. 

Kurz nach Veröffentlichung der DOSSIER-Recherchen über »Seltsame Signaturen« im Zusammenhang mit Corona-Kurzarbeitshilfen setzt der unter dem Namen Martin Ho bekannte Gastronom einen außergewöhnlichen Schritt: 

»Ich, Anh Tuan Ho, geboren am 10.07.1986, erkläre hiermit mit sofortiger Wirkung meinen Rücktritt als Geschäftsführer der DOTS Beteiligung GmbH (FN 345540y) aus wichtigem Grund und ersuche um Ihre Kenntnisnahme.« Diese Rücktrittserklärung wurde am 24. August an die Mitgesellschafter versandt und wenig später im Firmenbuchgericht registriert. 

Die DOTS Beteiligung GmbH ist die zentrale Steuerungsholding der aus Clubs, Restaurants sowie Hotel- und Kulturbetrieben bestehenden Firmengruppe von Martin Ho. Sie verwaltet die Anteile an elf Tochtergesellschaften, darunter die DOTS Nussdorf GmbH (»Brunnerhof«) und die Chin Chin Gastronomie GmbH. Laut Arbeitsmarktservice Wien sollen diese beiden Firmen bei der Verrechnung von Corona-Kurzarbeitshilfen gemogelt haben – und Martin Ho als deren Geschäftsführer dafür verantwortlich sein. 

Es war nicht die einzige Abschiedsbekundung des Szenegastronomen, die im Handelsregister aufpoppte. Laut DOSSIER-Recherchen trat Ho aus weiteren acht Gesellschaften als Chef zurück, darunter »Brunnerhof« sowie die DOTS PS GmbH (»Pratersauna«), die DOTS Prater GmbH (»VIE i PEE«) oder die HOGALLERY GmbH.

Warum hat sich Martin Ho, der die Geschäfte von DOTS Nussdorf und Chin Chin seit Jahren führte, ausgerechnet jetzt zurückgezogen? »Es handelt sich um eine innerbetriebliche Strukturoptimierung«, sagt Ho-Pressesprecher Alexander Khaelss-Khaelssberg gegenüber DOSSIER.

Eine andere mögliche Antwort liefert das im juristischen Fachverlag Linde erschienene Praxishandbuch »Wie führe ich eine GmbH richtig?«: 

»Ein mit sofortiger Wirkung erklärter Rücktritt aus wichtigem Grund ist im Wesentlichen nur denkbar, wenn dem Geschäftsführer durch Verschulden der Generalversammlung oder maßgeblicher Gesellschafter ein schwerwiegender (Vermögens-) Nachteil – etwa wegen der Gefahr einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme durch Dritte oder die Gesellschaft – droht.« (Ende)

 

Ein heikler Fall beschäftigt Carina Steindl. Die Wiener Staatsanwältin ermittelt gegen einen Wiener Gastronomen: Seit März 2022 steht Martin Ho unter Betrugsverdacht, wie DOSSIER exklusiv berichtete. Die Sache ist heikel, weil sie einen engen Freund von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betrifft. Das Arbeitsmarktservice Wien (AMS Wien) hat Anh Tuan Ho – so heißt der gebürtige Vietnamese mit vollem Namen – angezeigt. Steindl gibt nun Gas, um die Vorwürfe der mutmaßlich falschen Abrechnung von Corona-Förderungen aufzuklären.

»Wir haben weiterführende sicherheitsbehördliche Erhebungen in der Sache Martin Ho angeordnet«, sagt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Wien (StA Wien), Judith Ziska, gegenüber DOSSIER. Neben Ho wird nun auch ein Co-Geschäftsführer der Dots-Gruppe als Beschuldigter geführt. »Die Polizei ermittelt«, sagt Ziska. »Doch bis zum Abschluss wird es noch dauern.« Die fallführende Staatsanwältin Steindl hat dem Landeskriminalamt Wien im April eine lange Liste von Zeug·innen geschickt. Die müssen nun einvernommen werden.

Offenbar hat sich der Betrugsverdacht nach den ersten Befragungen verdichtet. Das belegen DOSSIER exklusiv vorliegende Informationen aus der Strafakte Ho.

»Die Vorwürfe betrügerischen Handelns weisen wir aufs Schärfste zurück«, sagt Alexander Khaelss-Khaelssberg gegenüber DOSSIER. Seine Agentur Leisure Communication macht die Pressearbeit für Martin Ho und dessen Firmengruppe Dots (Clubs, Restaurants, Hotels und Kunst). Auch der Lobbyist Wolfgang Rosam – er besitzt 26 Prozent an der Leisure GmbH – war laut Standard in der Vergangenheit involviert, um »den schwer ramponierten Ruf des Herrn Ho wiederherzustellen«. Khaelss-Khaelssberg: »Wir haben alle Gesetze eingehalten.«

Ein Blick in die Akte vermittelt einen anderen Eindruck. 

Während das AMS Wien Zweifel an den abgerechneten Fördersummen und -zeiträumen hegt, geht die Polizei einem neuen Verdacht nach: Bei der Beantragung von Kurzarbeitsförderungen könnten Unterschriften von Mitarbeiter·innen gefälscht worden sein. 

»Das ist nicht meine Unterschrift«

Seltsame Signaturen beschäftigen die Polizei. Antonius Fontane (Name von der Redaktion geändert, Anm.) etwa hat gegenüber einem Bezirksinspektor des Landeskriminalamts Wien unter Wahrheitspflicht ausgesagt.

Die Polizei legte Fontane etwa einen beim AMS Wien eingebrachten Kurzarbeitsantrag für den Zeitraum 1. März 2020 bis 31. Mai 2020 vor. »Unterschrieben Sie diesen Antrag selbst?«, fragte der Inspektor. »Das ist nicht meine Unterschrift«, antwortete Fontane laut Protokoll der Zeugenvernehmung vom 2. Juni 2022.

»In dem angeführten Zeitraum war ich zu Beginn eine Woche zu Hause und danach zwei Wochen in Quarantäne«, sagt Fontane laut Protokoll. »Mit der Rückkehr aus der Quarantäne, circa 23. März 2020, wurde von mir verlangt, voll zu arbeiten.« Und weiter: »Ich musste sogar die Zeit der Quarantäne einarbeiten, die Order kam von meinem Betriebsleiter.« Fontane beschwerte sich, dass »der Staat die Quarantäne finanziell ausgleichen würde für das Unternehmen« und darum die Forderung des Einarbeitens unzulässig sei.

»Ich goss die Pflanzen, strich und schleifte die Tische ab.«

Offiziell in Kurzarbeit, inoffiziell vollzeitbeschäftigt. »Ich musste zehn Stunden pro Tag arbeiten, fünf Tage die Woche«, so Fontane. »Mir wurden die geleisteten Mehrstunden nicht ausbezahlt, und ich hatte zu dieser Zeit nur das Kurzarbeitsgehalt.« 

Laut Dienstvertrag war er als Kellner in der Dots-Gruppe von Martin Ho angestellt. Worin seine Arbeit bestand, wenn die Lokale leer waren? 

»Ich goss die Pflanzen, strich und schleifte die Tische ab, es gab diverse Renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten.« Und er war nicht allein. »Wir waren immer drei bis vier Arbeiter.« Im ersten Lockdown gab es mehrere Kündigungen, erinnert sich der Zeuge. Wer seinen Job bei Martin Ho behielt, der musste anpacken.

»Die Arbeiter mussten auch Stundenaufzeichnungen an das Unternehmen weitergeben und bekamen bar auf die Hand eine Stundenvergütung von fünf Euro nach Ende des Lockdowns«, sagt Fontane weiter aus. Der Zeuge nennt vier Mitarbeiter, die noch in der Dots-Gruppe tätig sind. 

»Wieviel arbeiteten Sie während den Kurzarbeitsprojekten tatsächlich?«, fragte ihn der Inspektor. Fontane: »Auf jeden Fall Vollzeit, genauso wie vier oder fünf andere Angestellte an meinem Standort.«

Obwohl sein Name auf AMS-Anträgen zwischen März 2020 und Juni 2021 aufscheint, sagt Fontane immer wieder: »Das ist eindeutig nicht meine Unterschrift. Ich weiß nicht wer diese Unterschriften gefälscht hat.«

Warum aber sind Unterschriften von Mitarbeiter·innen von so zentraler Bedeutung? 

Laut der vom AMS herausgegebenen Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-Covid-19) ist die ordnungsgemäße und vollständige Dokumentation eine wesentliche Voraussetzung, um Förderungen zu bekommen. Die Arbeitgeber·innen müssen die Unterschriften der Arbeitnehmer·innen einholen. 

»Als Nachweis für die Anzahl der verrechenbaren Ausfallstunden besteht die Verpflichtung des Betriebes, Arbeitszeitaufzeichnungen (Arbeitsbeginn, -ende, -unterbrechungen) für alle von Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter zu führen und auf Verlangen dem AMS vorzulegen«, heißt es in der KUA-Covid-19. 

»Bei falschen Angaben hinsichtlich der besonders starken Betroffenheit von der Corona-Krise ist jedenfalls die gesamte KUA-Beihilfe zu widerrufen und zurückzufordern«, steht in der Richtlinie. »Gegebenenfalls ist – wie generell bei Verdacht auf eine gerichtlich strafbare Handlung – Strafanzeige zu erstatten. Bis zur Klärung der strafrechtlichen Relevanz darf auch ein allenfalls neu eingebrachtes Begehren nicht bewilligt werden.«

Kurzarbeitsschwindel ist kein Kavaliersdelikt

Die Justiz bestraft Kurzarbeitsschwindel besonders hart. Im August verhängte ein Salzburger Strafrichter in einem anderen Fall eine bedingte Haftstrafe. Das sorgte für Aufsehen. Zehn Monate Gefängnis für den Geschäftsführer, weil dieser dem AMS Salzburg betrügerisch gemeldet hatte, dass seine Mitarbeiter·innen wegen der Pandemie in Kurzarbeit seien.

»Das AMS (zahlte) für die Zeit zwischen Dezember 2020 und November 2021 insgesamt 100.173 Euro an Covid-19-Kurzarbeitszuschüssen aus«, berichten die Salzburger Nachrichten. Ob er sich schuldig bekenne, in betrügerischer Absicht Covid-Hilfsgelder bezogen zu haben, fragte der Richter. »Ja, ich habe im Fall von jedem Mitarbeiter falsche Stundenaufzeichnungen erstellt. Und dann auf Basis der falschen Stundenzettel Kurzarbeitsbeihilfe beantragt.« Ohne Geständnis wäre die Strafe wohl höher ausgefallen.

Im Fall rund um Martin Ho ermitteln Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei seit März 2022 – kurz darauf verabschiedete sich ein wichtiger Geschäftspartner: Am 10. Mai 2022 legte Wilhelm Vullriede die Geschäftsführung in sieben Firmen der Dots-Gruppe zurück. Lediglich an der Holdingfirma Dots Beteiligungen GmbH, wo er 20 Prozent der Anteile hält, sitzt er noch im Management. »Herr Vullriede ist aus den operativen Gesellschaften ausgeschieden«, bestätigt Nikolaus Rast, der Anwalt von Martin Ho. 

Ob der Rücktritt von Vullriede etwas mit dem laufenden Strafverfahren zu tun hat? Das will Rast nicht beantworten. Vullriede war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Bis Redaktionsschluss blieb eine schriftliche Anfrage an ihn unbeantwortet.

»Zum Verfahren kann ich derzeit nichts sagen«, sagt Advokat Rast. »Im September bekomme ich Akteneinsicht.« Sein Mandant wurde bis dato »nicht einvernommen«. Auch StA-Wien-Sprecherin Ziska will laufende Ermittlungen nicht kommentieren, aber bestätigt gegenüber DOSSIER: »Martin Ho und Wilhelm Vullriede werden von der Staatsanwaltschaft Wien als Beschuldigte geführt.«