Notoperation in der Ärztekammer

In der Equip4Ordi-Affäre schaltet sich die Stadt Wien ein. Die Aufsichtsbehörde MA 40 fordert nun Auskunft über die abenteuerlichen Deals der Ärztekammer. Dem Ärztekammerpräsidium droht die MA40 sogar mit Absetzung.

Von: Ashwien Sankholkar

Ärztekammer , aktualisiert: 14.2.2023

Update 7. März 2023: 

Staatsanwaltschaft verfügte Sicherstellung von Laptops und Handys

Die Staatsanwaltschaft Wien macht in der Sache Equip4Ordi Druck auf die Ärztekammer für Wien. Im Ermittlungsverfahren (Aktenzahl: 5 St 13/23y) wurden Laptops und Handys behördlich einkassiert. »Die Sicherstellung der oben angeführten elektronischen Geräte (...) ist aus Beweisgründen (...) erforderlich«, heißt es in der DOSSIER vorliegenden »Anordnung der Sicherstellung« vom 15. Februar 2023, »weil die Beschuldigten diese elektronischen Geräte zur Begehung der Straftaten verwendet haben« könnten.

Die Ermittlungsmaßnahme könnte den Ärztekammer-Präsidenten Johannes Steinhart in Erklärungsnot bringen. »Insbesondere Korrespondenz zwischen den drei Beschuldigten sowie Klaus Brinkmann (Name des Ärztekammer-Mitarbeiters geändert, Anm.) und Präsident OMR Dr. Johannes Steinhart« interessiert die Ermittler laut Anordnung. »Zumal dem Bericht (...) vom 19. Jänner 2023 zu entnehmen ist, dass die drei Beschuldigten auch behaupten, die Tathandlungen seien auf Weisung bzw. Genehmigung des Präsidenten OMR Dr. Steinhart zustande gekommen.« Gemeint ist der Bericht über die juristische Sonderprüfung der Equip4Ordi.

»Die behaupteten Weisungen durch mich hat es nie gegeben«, schreibt Steinhart in einem Newsletter vom 3. März 2023 an Fraktionskolleg·innen und zitiert einen Rechtskonsulenten damit, dass »Steinhart für überhaupt nichts haftbar und verantwortlich ist«. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, wie der Rechtskonsulent in einer E-Mail vom 13. Februar 2023 festhält: »Es sei denn, er (Steinhart, Anm.) hätte sich ‘eingemischt’ und dadurch irgendeinen Zustimmungsanschein erzeugt, der das Handeln der Gesellschaft negativ beeinflusst hätte.« Fakt ist: Über die ominösen Equip4Ordi-Provisionen war Steinhart informiert worden, wie aus einer Aktennotiz hervorgeht, wie DOSSIER berichtete.

Die Ermittlungen gegen Klaus Brinkmann wurden nun ausgeweitet. Ursprünglich war der Ärztekammer-Mitarbeiter wegen des Verdachts der Begünstigung angezeigt worden. Laut Sicherstellungsanordnung wird er nun verdächtigt, das »Verbrechen der Untreue« begangen zu haben. Die Beschlagnahme war gut überlegt: »Die Verhältnismäßigkeit erschließt sich aus der Schwere des Tatvorwurfs. Gelindere Mittel stehen zur Erreichung der Sicherstellungszwecke nicht zur Verfügung.« Im nächsten Schritt sollen die Laptops und Handys auf verdächtige Chats und E-Mails hin forensisch ausgewertet werden.

 

Es ist eine Premiere. Die Magistratsabteilung 40 (MA 40) der Stadt Wien prüft die Ärztekammer für Wien (ÄKW) wegen eines Wirtschaftskrimis. Die MA-40-Fachgruppe Gesundheitsrecht unter der Leitung von Maria Berthou untersucht nun die mutmaßlichen Malversationen in der ÄrzteEinkaufsService – Equip4Ordi GmbH (E4O), einer Gesellschaft der Kurie der niedergelassenen Ärzt·innen der ÄKW. Berthou und Co sind wegen eines DOSSIER-Berichts aktiv geworden. 

»Aus Medienberichten sind Vorwürfe schwerer Pflichtverletzungen in der Kammertochter Equip4Ordi bekannt geworden«, heißt es im DOSSIER exklusiv vorliegenden MA-40-Schreiben vom 26. Jänner 2023: »Es wird um Übermittlung einer umfassenden Sachverhaltsdarstellung sämtlicher der ÄKW bekannten Vorgänge im Zusammenhang mit Unregelmäßigkeiten mit der Equip4Ordi GmbH, der ÄrzteEinkaufsService – Equip4Ordi GmbH, der Equip4Ordi BeteiligungsgmbH und allenfalls weiterer mit Equip4Ordi in Verbindung stehender Gesellschaften ersucht.« 

Die Equip4Ordi Beteiligungsgmbh wurde im September 2020 in »ärztliche Not- und Bereitschaftsdienst ErrichtungsgesmbH« (ÄNBEG) umbenannt. Sie steht im 100-Prozent-Eigentum der Kurie der niedergelassenen Ärzt·innen und fungiert als Holding. Die ÄNBEG hält 100 Prozent an der auf den Handel mit medizinischen Bedarfsartikeln spezialisierten E4O und an der Ärztefunkdienst – gemeinnützige BetriebsgmbH. Der Ärztefunkdienst (ÄFD) kümmert sich um die Gesundheitsversorgung der Wiener·innen an Wochenenden, in der Nacht und an Feiertagen. In der Pandemie verdiente der ÄFD als Betreiber der sogenannten »Schnupfenboxen« ein Vermögen.

Untersuchungsausschuss eingesetzt

»Wir haben einen Untersuchungsausschuss durchgesetzt« , sagt Ärztekammerfunktionär Andreas Schindl mit Verweis auf die außerordentliche Kuriensitzung vergangenen Montag. Als Mitglied der kritischen Oppositionsfraktion »Kammer light«  forderte der Wiener Hautarzt bereits 2020 einen U-Ausschuss - ohne Erfolg. Denn das Kammeramt killte das Vorhaben mit Verweis auf die MA 40.  

»Die Darstellung, dass die MA 40 angeordnet hat, die Equip4Ordi nicht zu prüfen, ist falsch«, heißt es in einer schriftlichen MA-40-Stellungnahme gegenüber DOSSIER zu den Ereignissen aus dem Jahr 2020. »Die MA 40 wurde zur Klärung einer Rechtsfrage kontaktiert, welche keinerlei inhaltlichen Verdachtsmomente lieferte um eine aufsichtsbehördliche Prüfung nach dem Ärztegesetz einzuleiten.«

Die Verdachtslage müsse nun neu bewertet werden.

Die Aufsichtsbehörde geht jetzt konsequent vor und hat sich in erster Linie auf Johannes Steinhart eingeschossen. Er ist aktuell Präsident der ÄKW und der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Die E4O-Malversationen ereigneten sich zur Zeit, als Steinhart noch Kurienobmann war. Sein Nachfolger Erik Randall Huber deckte die Missstände auf.

»Weiters wird um Übermittlung einer umfassenden Stellungnahme ersucht, welche Maßnahmen zur Unterbindung und Aufklärung von Fehlverhalten seitens der Ärztekammer für Wien bereits gesetzt wurden und welche Schritte noch gesetzt werden«, fordert die MA 40. Der E4O-Plan wurde mit ÄKW-Geld verwirklicht. Welche Rolle spielte Ex-ÄKW-Präsidenten Thomas Szekeres bei der Darlehenvergabe im Jahr 2019? Berthou und ihr Team wollen »sämtliche Beschlussprotokolle« von Kurie und ÄKW-Präsidium, die »sich auf Gesellschaften der Equip4Ordi beziehen«, sowie »sämtliche Gesellschaftsverträge der Equip4Ordi-Gesellschaften«.  

Offenbar hat die Aufsicht aktuell Bedenken an der Funktionsfähigkeit der ÄKW und der Rolle des Präsidenten. Steinhart habe bisher keinen Beitrag zur Aufklärung der E4O-Affäre geleistet, berichtete das Ö1-Morgenjournal vergangenen Freitag. 

In einem Untersuchungsbericht des Wiener Anwalts Matthias Cerha steht laut Ö1, dass die beschuldigten E4O-Geschäftsführer und ein verdächtiger Ärztekammer-Mitarbeiter übereinstimmend versucht haben, »ihre pflichtwidrigen Geschäftsführungshandlungen damit zu rechtfertigen, dass sie sich auf Weisungen beziehen bzw. Genehmigungen (...) von Johannes Steinhart berufen«. 

Der schweigende Präsident

Zu diesen Behauptungen hat Steinhart bis dato jede Stellungnahme verweigert. Die Lage hat sich seit Freitag zugespitzt: Steinhart liegt im Spital. Bei Anfragen wird auf seine Anwältin Monika Ploier verwiesen, die jedoch für eine Stellungnahme gegenüber DOSSIER bisher nicht erreichbar war. Unbeantwortet bleibt deshalb die Frage, ob Steinhart sein Präsidentenamt aus gesundheitlichen Gründen zurücklegen wird.

Steinharts Schweigen nährt den Verdacht, dass er in die Deals der (mittlerweile entlassenen) E4O-Geschäftsführer eingeweiht war. Wie DOSSIER berichtete, wusste er von den dubiosen Provisionszahlungen in der Höhe von 564.000 Euro. Erschwerend für Steinhart: Sein langjähriger Mitarbeiter war der E4O-Strippenzieher. Der Steinhart-Vertraute beziehungsweise sein Anwalt Michael Rami wollen gegenüber DOSSIER keine Stellungnahme abgeben.  

In der Stadt Wien nimmt man die E4O-Affäre jedenfalls ernst. Mit der »Einleitung eines aufsichtsbehördlichen Prüfverfahrens gemäß Paragrafen 195 Absatz 3 und 195b Ärztegesetz« wurde sogar die juristische Keule ausgepackt. Denn der Paragraf 195b regelt die »Amtsenthebung der Organe der Ärztekammern in den Bundesländern«:

Wenn Organe der Ärztekammer (1.) Befugnisse überschreiten oder (2.) Aufgaben vernachlässigen oder (3.) beschlussunfähig werden und die Ärztekammer im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten nicht selbst die gebotenen Maßnahmen ergreift, hat die örtlich zuständige Landesregierung diese Organe ihres Amtes zu entheben, sofern ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt und kein anderes von der örtlich zuständigen Landesregierung ergreifbares Mittel zur Herstellung des gebotenen Zustands ausreicht.

Die ÄKW hat nun bis 20. Februar 2023 Zeit, die behördlichen Auflagen zu erfüllen. Und wie geht es danach weiter? »Kein Kommentar«, sagt MA-40-Pressesprecher Andreas Fleckl gegenüber DOSSIER und verweist auf das laufende Verfahren. 

Prüfauftrag wird ausgeweitet

Das Prüfverfahren wird jedenfalls noch länger dauern, wie aus dem MA-40-Papier hervorgeht: »Abschließend ergeht die Anfrage, welche Gesellschaften des Privatrechts im Eigentum von Organen der Ärztekammer für Wien bzw. der Ärztekammer für Wien es gibt. Dazu wird um Übermittlung sämtlicher Gründungsbeschlüsse der zuständigen Organe ersucht.« 

Offenbar interessiert sich die Behörde auch für den Ärztefunkdienst. Neben der Equip4Ordi ist das die zweite operative Gesellschaft der Kurie. Die MA-40-Prüfer fragen sich: Warum existiert neben der gemeinnützigen ÄFD GmbH eine gewinnorientierte Ärztefunkdienst-Dienstleistungs GmbH, die obendrein eine 100-Prozent-Tochter der E4O ist? Kurienobmann Erik Randall Huber gegenüber DOSSIER: »Der Ärztefunkdienst wird von einer externen Prüfkanzlei als Nächstes untersucht.« Das Ergebnis wird von der MA 40 mit Spannung erwartet.