Aufmacherbild: DOSSIER, Fotos: SPÖ Presse und Kommunikation, Bwag, Russischer Pressedienst (CC BY-SA 2.0)
Plötzlich ist das Thema überall. Zeitungen berichten, der Öffentlich-Rechtliche strahlt Sendung nach Sendung aus: „Inseratenkorruption“ ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die im Oktober bekanntgewordenen Vorwürfe wiegen schwer.
Mit Steuergeld sollen geschönte Umfragen und wohlwollende Berichterstattung in Wolfgang Fellners Mediengruppe Österreich gekauft worden sein. Der Verdacht: Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt.
Im Parlament steht demnächst ein Untersuchungsausschuss auf der Tagesordnung. Das Problem reicht über die strafrechtlichen Ermittlungen der Justiz hinaus.
Es geht um die Verschwendung von Steuergeld. In einer Dimension, die den Medienmarkt des Landes seit Jahren verzerrt. Es geht um Abhängigkeiten und Gefälligkeiten zwischen Politik und Medien – und um die Geschäfte im Hintergrund, um Schleichwerbung, die gezielte Täuschung des Publikums.
Was erschwerend hinzukommt: Der Medienmarkt in Österreich ist so konzentriert wie in fast keinem anderen EU-Land. Drei Boulevardzeitungen geben den Ton an – bei ihnen funktioniert die Käuflichkeit der Berichterstattung am besten.
Genau das nützen beide Seiten, Politik und Medien, seit Jahren aus. Das Problem ist inzwischen so groß geworden, dass sich eine demokratiepolitische Frage aufdrängt: Wie fair sind Wahlen in Österreich überhaupt?
Der Faymann-Effekt
Im Zentrum der aktuellen Affäre: Inserate und die Geschäftsbeziehungen zwischen Politik und Medien. Ermittlungen der Justiz gegen einen Kanzler? Eine Untersuchung der Inseratenaffäre im Hohen Haus? Das gab es schon, vor knapp zehn Jahren.
Es war die Geburtsstunde von DOSSIER. Am 17. Oktober 2012, einen Tag nachdem der damalige U-Ausschuss mit den Stimmen der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP vorzeitig abgedreht worden war, ging DOSSIER online.
Schon in unserer ersten Story berichteten wir 2012 über Inseratensummen, die von der Stadt Wien an die Gratiszeitung Heute flossen und Zeitung wie Geldgeber, allen voran dem einstigen Wiener Wohnbaustadt Werner Faymann (SPÖ), zum Erfolg verhalfen.
Monatelang waren wir in der Bibliothek gesessen, hatten sämtliche Inserate im Zeitraum 2004 bis 2011 händisch gezählt. Medientransparenz steckte noch in den Kinderschuhen. Damals dokumentierten wir aber nicht nur die Millionen Euro an Steuergeld, die Wien samt stadteigenen Firmen zum größten Anzeigenkunden in Heute machten.
Wir fanden heraus, dass Heute ihren Journalistinnen und Journalisten einst sogar per Arbeitsvertrag vorgeschrieben hatte, auf Anzeigenkunden „tunlichst Rücksicht zu nehmen“. Denn wohlwollende PR-Berichterstattung über Inserenten sei für den Erfolg „unerlässlich“.
Auch den Zusammenhang zwischen Anzeigenvolumina und positiver Berichterstattung in Heute und Österreich zeigten wir auf: Dieser war für den Nationalratswahlkampf 2008 sogar wissenschaftlich bewiesen worden, als etwa die SPÖ in beiden Gratiszeitungen besonders viel inserierte und ihr Spitzenkandidat, der spätere Bundeskanzler Werner Faymann, genau dort besonders gut weggekommen war.
Berichterstattung vs. Anzeigenvolumen im Wahlkampf 2008
Was einst für Faymann funktionierte, ist für Sebastian Kurz (ÖVP) und dessen engstes politisches Umfeld später ein Leichtes. 2017 mausert sich Kurz zum publizistischen Liebkind vieler Zeitungen, insbesondere jedoch von Wolfgang Fellners Mediengruppe Österreich. Das Prinzip hatte sich nicht verändert: Geld für Stimmung.
Das dritte Quartal
Inserate sind dabei das bevorzugte Zahlungsmittel. Anders als für manipulierte Umfragen braucht es für Inserate nicht einmal Scheinrechnungen – irgendein Kommunikationszweck lässt sich stets argumentieren; etwa dass das Bundesministerium für Finanzen (BMF) 2017 die Bevölkerung über die „antraglose Arbeitnehmerveranlagung“ informieren muss, obwohl ohnehin Informationsschreiben direkt an die Bevölkerung verschickt werden.
Schon schießen die Werbeausgaben des BMF im dritten Quartal 2017, also in den drei Monaten vor der Nationalratswahl 2017, in die Höhe: 1,36 Millionen Euro gab das BMF damals für Eigenwerbung aus, mehr als 2,6 Mal so viel wie im Vergleichsquartal des Vorjahres. Dahinter steckt mehr, als nur die Absicht zu kommunizieren.
„Für ein Inserat gibt es ein Gegengeschäft“, sagte 2020 Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ausgerechnet in der Sendung Fellner! live. Sobotkas Aussage, die Gastgeber Wolfgang Fellner sofort bejahte, glich einer Offenbarung.
„Ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab. Nämlich Berichterstattung und ein Inserat. Das ist den man bezahlt“, erklärte Sebastian Kurz in der ZiB2 nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Bei Inseraten geht es also um mehr als nur um Sujets in Zeitungen.
Das zeigt nicht nur die Affäre rund um Sebastian Kurz, in der es um wohlwollende Berichte in der Tageszeitung Österreich im Gegenzug für Inserate des BMF geht.
Seit Jahrzehnten greifen Regierungsmitglieder – egal ob auf Bundes- oder Landesebene – für Inserate in die Steuergeldtöpfe der öffentlichen Verwaltung; just dann, wenn sie selbst zur Wahl stehen, verschaffen sie sich so einen undemokratischen Vorteil.
Um auf diese bedenkliche Praxis hinzuweisen, veranstalteten wir vor der Wien-Wahl 2015 und der Nationalratswahl 2017 Inseratenrennen: Wir zählten die Anzeigen der zur Wahl stehenden Parteien in ausgewählten Tageszeitungen – und wir zählten die Anzeigen der Stadt Wien beziehungsweise der Bundesregierung im selben Zeitraum.
Das Ergebnis?
Sowohl die Stadt Wien (2015) als auch der Bund (2017) schalteten in den jeweiligen Wahlkämpfen mehr Inserate als die wahlwerbenden Parteien zusammen. Die Zeche dafür bezahlten die Regierenden nicht aus den Parteikassen, sondern mit Steuergeld aus den Ressorts der Stadt oder der Ministerien.
Inserate dienen aber nicht nur dem Kauf von wohlwollenden Berichten über die Inserenten. Sie finanzieren auch negative Berichte über politische Gegnerinnen und Gegner, mitunter aus den eigenen Reihen. Das traf den einstigen ÖVP-Parteichef, Reinhold Mitterlehner.
„Kurz gewinnt Umfrage-Dreikampf“, titelt Österreich Anfang März 2017 – zu einem Zeitpunkt, zu dem Kurz weder ÖVP-Parteichef war, noch feststand, dass vorzeitig gewählt werden würde. Die damalige Koalition aus SPÖ und ÖVP zerbricht erst zwei Monate später.
Im Wahlkampf – Mitterlehner war schon Geschichte – nehmen schließlich die negativen Berichte über Christian Kern (SPÖ), den Kontrahenten von Sebastian Kurz, zu, während Österreich über Kurz im Verlauf des gesamten Jahres 2017 eher positiv berichtet.
Tonalität der Berichterstattung im Wahljahr 2017 in „Österreich“
Sebastian Kurz
Christian Kern
Der Ludwig-Boost
Ein ähnlich auffälliges Phänomen beobachteten wir Anfang 2018 rund um eine andere Wahl. Michael Häupl (SPÖ), Wiens langjähriger Bürgermeister, leitete damals seine Amtsübergabe ein. Ende Jänner 2018 standen zwei Nachfolger SPÖ-intern zur Wahl: Andreas Schieder und Michael Ludwig, damals Wohnbaustadtrat in Wien.
Wie einst bei Werner Faymann, Ludwigs Vorgänger als Wohnbaustadtrat, stiegen die Werbeausgaben auch unter Ludwig massiv an. Die dem Wohnbauressort zuzurechnende Magistratsabteilung 50 gab dafür im Schnitt rund 11.400 Euro pro Tag aus.
Davon hatten zwei Zeitungen besonders profitiert: Österreich und die Kronen Zeitung.
In den Wochen vor der SPÖ-Kampfabstimmung konnte man eine Präferenz für Ludwig beobachten. Der „hemdsärmlige“ Michael Ludwig habe „Schmäh und Charme“ und „ein offenes Herz“, schrieb Krone-Kolumnist Michael Jeannée im Dezember 2017. Dessen Mitbewerber Andreas Schieder sei „ein klassischer Apparatschik und steinkalter Karrierist“: „Daher: BM (Bürgermeister, Anm.) Michael Ludwig, wer sonst?!“
Auch Fellners Zeitung berichtete im Dezember 2017 auffallend wohlwollend über den Stadtrat: „Ludwig lud Kinder zu Fiakerfahrt ein“, hieß es am 19. Dezember 2017. „Ludwig: 689 Familien vor Delogierung bewahrt“ am Tag vor Weihnachten in Österreich.
Schließlich war Wolfgang Fellner mit Jeannée gar auf selber Linie: „Neustart mit Michael Ludwig – oder Chaos total ...“, kommentierte der Österreich-Chef im Jänner 2018.