Wolfgang der Erste

Vom Lehrer zum Bürgermeister: In Waidhofen an der Ybbs gelingt dem jungen Wolfgang Sobotka der Sprung in die Politik. Eine Reise in die Vergangenheit mit überraschenden Einblicken.

Text: Georg Eckelsberger, Sahel Zarinfard; Artwork: Gerhard Haderer

Wolfgang Sobotkas Schule der Macht16.9.2024 

Wolfgang Sobotka kann sich kaum bewegen. Ärzte und Krankenschwestern haben ihn auf einer Trage fixiert und transportieren ihn durch die ­Waidhofner Innenstadt in Richtung Apotheke. Unter Zwang wird ihm dort »Medizin« verabreicht, die ihm gar nicht schmeckt. »Die Apothekerin hat ihm trichtermäßig etwas eingeflößt. Aber er trank damals gar keinen Alkohol«, erinnert sich Günther Pöchhacker, langjähriger Angestellter der Stadt Waidhofen an der Ybbs, an den denkwürdigen Faschingsdienstag im Jahr 1998.

Sobotka ist damals seit zwei ­Jahren Bürgermeister in Waidhofen – doch die rauen Faschingssitten in Österreichs ländlichen Regionen kennen kein Ansehen der Person: Auch der Bürgermeister kommt zum Handkuss. »Wir haben ihn auf dieser Liege an den Stadtturm gelehnt und gesagt: Wolfgang, jetzt musst du ein bisschen warten. Wir machen jetzt eine kleine Pause und kommen vielleicht wieder«, sagt Pöchhacker und lacht.

Der 75-Jährige kennt die niederösterreichische Stadt Waidhofen an der Ybbs wie kaum ein Zweiter. Pöchhacker hat in der Stadtverwaltung gearbeitet, war für die ÖVP im Gemeinderat und ist bis heute in seiner Heimatstadt als Stadtführer aktiv. Spricht man ihn auf den wohl bekanntesten »Sohn« der Gemeinde an, hat er viele Anekdoten in petto: Seit 40 Jahren kennt er »den Wolfgang«, der bis heute in Waidhofen lebt.

»Er wohnt gleich da hinten, fünf Häuser weiter«, sagt Pöchhacker und zeigt mit dem Finger auf das wild verwachsene Ufer der Ybbs, wo man Sobotkas Haus hinter Bäumen nur erahnen kann. Einmal habe er einer Reisegruppe stolz erzählt: »In unserer Stadt wohnt der Nationalratspräsident Sobotka.« Doch von der Reaktion war Pöchhacker enttäuscht, einige hätten geschimpft und negativ über ihn geredet: »Dann habe ich gefragt: Kennen Sie ihn? Wie können Sie einen Menschen beurteilen, den Sie nur im Fernsehen gesehen haben?« Keine unberechtigte Frage. 

Wer Wolfgang Sobotka als Mensch und als Politiker kennenlernen will, kommt an einer Reise in seine Heimatstadt Waidhofen nicht vorbei. Der Nationalratspräsident ist zwar einer der berühmtesten Politiker Österreichs, allerdings auch berüchtigt: Sobotka ist unbeliebt, bei politischen Widersachern und dem Volk. Im sogenannten Vertrauensindex liegt er seit Jahren auf dem letzten Platz. Seine politischen Wegbegleiter in ­Waidhofen können das nicht verstehen.

Sie erzählen von einem humorvollen, engagierten und volksnahen Bürgermeister, der Sobotka von 1996 bis 1998 in seiner Heimatstadt war. »Waidhofen schätzt ihn«, sagt Pöchhacker. Und umgekehrt auch – wofür Sobotka, wie einst am Faschingsdienstag, persönliche Opfer bringe: »Er hängt unheimlich an der Stadt. Er war bei allen Sachen dabei. Er ist zu den Zeltfesten gegangen und hat Bier­anstiche gemacht. Wobei Letzteres nicht unbedingt seine Sache war, aber er war dabei«, sagt er. 

Sobotkas politische Karriere beginnt im Jahr 1982. Damals wird der 26-jährige Gymnasiallehrer unverhofft zum jüngsten Gemeinderat seiner Stadt. Ein Konflikt mit dem Turnwart der Schule war sein Sprungbrett in die Gemeindepolitik, wie Sobotka 2016 in einem Falter-Interview erzählt: »Als ich als Lehrer versucht habe, den Turnsaal für meine Basketballmannschaft am Samstag gegen den Willen des Turnwarts zu bekommen und beim Bürgermeister vorgesprochen habe, rekrutierte mich die ÖVP.«

Der damalige Ortschef, ÖVP-Politiker Erich Vetter (2014 verstorben), bei dem der junge Sobotka vorstellig wird, erkannte wohl das Polittalent, das in dem jungen Lehrer schlummerte. Dass er an diesem Tag den nächsten Bürgermeister von Waidhofen vor sich hatte, konnte Vetter jedoch nicht ahnen. Und schon gar nicht, welch steile Karriere Sobotka noch hinlegen würde. Denn das Waidhofner Rathaus ist nur ein Zwischenstopp, der ihn über die Landes-, dann Bundespolitik bis hinauf ins zweithöchste Amt der Republik führen wird. 

Schatten der Vergangenheit

Sobotkas politische Laufbahn war in seinem Elternhaus nicht angelegt – wiewohl er früh politisch geprägt wird. Wolfgang Sobotka, geboren am 5. Jänner 1956, wächst als jüngeres von zwei Kindern einer Schneiderin und eines Musikhochschullehrers in Waidhofen an der Ybbs  auf – beruflich wird der Sohn später zunächst in die Fußstapfen des Vaters treten.

Dieser hat im Zweiten Weltkrieg gekämpft und kehrte schwerverletzt und traumatisiert heim. Er sei ein entschiedener Gegner totalitärer Ideologien gewesen, erinnert sich Sobotka. Das habe sich auch in seiner Erziehung niedergeschlagen, sagt er 2018 in einem Interview mit dem Standard: »Ich durfte nicht zu den Pfadfindern, weil sie eine Uniform hatten. Ich durfte keiner Organisation beitreten, die irgendwas Politisches hatte. Ich durfte keine Spielzeugpistole, keinen Panzer haben. Es war alles verboten, was nur irgendwie mit dieser Zeit zu tun hatte.«

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