»Jetzt muss ich dem Josef Pröll sagen, wir hatten Materialprobleme. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass ich einen Redakteur habe, der so deppert ist, dass er nicht einmal das richtige Material zu einer Geschichte auf Sendung bringt. Der fragt mich ja, warum ich den nicht kündige.« Robert Ziegler ist sauer. Und wenn Ziegler sauer ist, kann er als Chefredakteur, später als Direktor des ORF-Landesstudios Niederösterreich, untergriffig werden.
Wie im November 2017, als ein Redakteur einen Beitrag für die Nachrichtensendung Niederösterreich heute über eine Veranstaltung des Landesjagdverbands gestaltete. An dessen Spitze: Landesjägermeister Josef Pröll, von 2008 bis 2011 Vizekanzler der Republik und Neffe von Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll (beide ÖVP).
Der Redakteur verwendete für die Kurzmeldung nicht vor Ort gedrehtes Material, er bediente sich im Archiv. Nur war darauf nicht der passionierte Jäger Pröll, sondern auf Tannenzweigen gebettete erlegte Hirsche zu sehen. Am nächsten Tag stellt Ziegler den Redakteur zur Rede und fragt, ob der »hochbezahlte« Mitarbeiter »überfordert« sei.
Am Tag der Rüge geht in NÖ heute erneut ein Beitrag über dieselbe Veranstaltung on air. Die »News« von gestern als Nachrichten von heute, jetzt aber richtig: mit Josef Pröll im Bild.
»Die Äußerung von Robert Ziegler, wonach er sich gegenüber Josef Pröll verantworten müsse, legt die Annahme nahe, er habe nicht auf eigene Initiative gehandelt, sondern wollte Pröll einen Gefallen tun.« Zu diesem Schluss kommt eine ORF-interne Kommission, die den Vorfall untersucht und beurteilt hat. Es war aber bei weitem nicht der einzige Fehltritt Zieglers.
Im Dezember 2022 berichten Spiegel, Standard und Presse über ein anonymes Dossier, das auch uns vorliegt: Robert Ziegler soll als ranghohe Führungskraft des ORF-Landesstudios in Sankt Pölten jahrelang die Berichterstattung zugunsten der ÖVP Niederösterreich beeinflusst haben. Ein Super-GAU, der für den Öffentlich-Rechtlichen und die Partei zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt kommt.
Die Frage der Finanzierung des ORF ist damals noch ungelöst, die Haushaltsabgabe noch nicht beschlossen, zugleich stehen der niederösterreichischen ÖVP Landtagswahlen ins Haus – und dann ein Skandal dieser Tragweite?
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) versucht sich aus der Affäre zu ziehen. Gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal nennt sie die Causa eine »interne Angelegenheit des ORF«, die man dort belassen solle. Auch ORF-Generaldirektor Roland Weißmann ist um Schadensbegrenzung bemüht. Er setzt eine siebenköpfige Evaluierungskommission ein, die die Vorwürfe untersuchen soll.
Zwischen 9. und 26. Jänner 2023 werden am Küniglberg 50 ORF Mitarbeiter·innen ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Wahrnehmungen im Landesstudio schildern. Der 51. Mitarbeiter ist Robert Ziegler selbst. Er wird an zwei Tagen je acht Stunden lang zu den Vorwürfen befragt.
Manches streitet er ab oder antwortet ausweichend und räumt die Vorwürfe nach mehrmaligem Nachfragen doch ein. An anderes kann »er sich dunkel« erinnern und nimmt die Schilderungen seiner einstigen Redaktion schlicht »zur Kenntnis«.
Drei Tage nach der letzten Befragung fährt Mikl-Leitner bei der Landtagswahl am 29. Jänner 2023 das historisch schlechteste Ergebnis für die ÖVP in Niederösterreich ein. Sie verliert die Absolute im schwarzen Kernland. Und dann geht es schnell.
Die Kommission schreibt ihren Bericht und übergibt ihn Anfang Februar an Roland Weißmann. Wäre Ziegler daraufhin nicht »freiwillig« zurückgetreten, hätte der ORF wohl erstmals in seiner 68-jährigen Geschichte einen Landesdirektor abgesetzt. In einer Aussendung zollt Generaldirektor Weißmann Ziegler »Respekt« für dessen »verantwortungsvollen Schritt«.
Auch Ziegler kommt darin ausführlich zu Wort: »Das Band des Vertrauens ist gerissen – einer Reihe von Mitarbeiter·innen mir gegenüber und umgekehrt.« Und weiter: »Hier wurden offensichtlich schon über Jahre Informationen gesammelt, um sie zu gegebener Zeit gegen mich zu verwenden. Hier wurde Vertrauen missbraucht«, so Ziegler, der nach seinem Rücktritt den ORF aber nicht verlässt, sondern einen neuen Job am Küniglberg bekommt. Alles ein Komplott? Eine Racheaktion, wie Ziegler hinter vorgehaltener Hand verbreitete?
Nein, stellt die Kommission fest: Es widerspreche »jeglicher Lebenserfahrung, dass sich mehrere Dutzend Personen zum Nachteil eines Dritten verabreden. Dies mag bei drei oder vier möglich sein, aber nicht bei einer so großen Anzahl von Auskunftspersonen, die ein deutliches Licht auf das ›System Ziegler‹ warfen.«
Im Bericht sind Zieglers Fehlverhalten und seine pflichtwidrigen Verstöße genau dokumentiert, doch darüber soll nicht mehr gesprochen werden. Weißmann hat das Dokument verräumt und hält es unter Verschluss. Für die ORF-Führungsetage ist die Causa erledigt.
Für die Öffentlichkeit hingegen ist bis heute unklar, wegen welcher konkreten Fehltritte Ziegler gehen musste und welche Rolle die ÖVP Niederösterreich spielte. Die bisher publik gewordenen Vorwürfe hat der ORF weder bestätigt noch bestritten. Eine transparente Aufklärung, gar ehrliche Fehlerkultur blieb man dem eigenen Publikum bis heute schuldig.
»Der Bericht war als Entscheidungsgrundlage immer ausschließlich für Generaldirektor Weißmann bestimmt«, heißt es damals seitens des ORF auf Anfrage der Kleinen Zeitung. Auch auf DOSSIER-Anfrage winken sowohl die ORF-Pressestelle als auch die Mitglieder der Kommission ab: Der Bericht werde nicht veröffentlicht, für die Mitglieder der Kommission bestehe eine »zeitlich unbefristete Verschwiegenheitsverpflichtung«.
Es war nicht das erste Mal, dass eine Kommission Vorwürfe gegen einen ORF-Chefredakteur untersucht hat. 2006 sagten Mitarbeiter·innen gegen den Chef der Fernsehinformation Werner Mück aus. Ihm wurde vorgehalten, die Berichterstattung zugunsten der FPÖ und des damaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser (zuerst FPÖ, dann parteilos) beeinflusst zu haben. Hinzu kamen Mücks frauenfeindliche und herabwürdigende Bemerkungen, politische Etikettierungen von Mitarbeiter·innen sowie Drohungen mit »Karriereauswirkungen« bei einem nicht von ihm erwünschten Verhalten.
Doch während der Mück-Bericht sogar auf Wikipedia öffentlich zugänglich ist, wird jener über Ziegler wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Warum? Wer schützt hier wen? Antworten liefert der Bericht zur Causa Ziegler, den DOSSIER exklusiv einsehen konnte.
Über jeden Verdacht
Darin werden die bereits bekannten Vorwürfe bestätigt, etwa das »autoritäre und dominante Führungsverhalten« Zieglers, der Redakteur·innen »herabsetzte, demütigte und bloßstellte« und damit ein »Klima der Angst« erzeugte. Der Bericht bestätigt auch Zieglers »vertrauten Umgang mit sowie einen Mangel an professioneller Distanz« gegenüber führenden ÖVP-Politiker·innen.
Doch die Ziegler-Protokolle rücken auch neue Grenzüberschreitungen in den Fokus: »Die Befragungen brachten überdies eine Reihe weiterer Vorwürfe zutage, die Hinweise auf ein Fehlverhalten des früheren Chefredakteurs begründeten, ohne dass diese bereits aufgrund der Medienberichterstattung bekannt gewesen sind«, halten die Kommissionsmitglieder fest.
Das »System Ziegler« sei – darauf wurde von ORF-Redakteur·innen gegenüber der Kommission wiederholt hingewiesen – »keine Schöpfung Robert Zieglers, sondern lediglich eine Fortsetzung des Führungsverhaltens der früheren Chefredakteur·innen gewesen, er habe es bloß auf die Spitze getrieben«.
Ziegler war bereit, für die ÖVP und ihre Funktionär·innen ans Äußerste zu gehen: namentlich Landeshauptfrau Mikl-Leitner, Klubobmann Jochen Danninger, Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (alle ÖVP). Ziegler sorgte nicht nur für ihr mediales Wohlgefallen, er unterdrückte auch kritische Berichte in ihrem Sinne.
»Insbesondere ging es da um investigative Radiobeiträge, die für Ö1, Ö3 und die Landesstudios produziert wurden«, zitiert die Kommission aus einem Schreiben eines Mitarbeiters. »Beispielsweise ging es um Recherchen rund um den Ibiza-Skandal sowie im Vorfeld des ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschusses, um Kritik am damals neuen Bischof Alois Schwarz und um die Erwin-Pröll-Stiftung. Erst wenn das Thema in allen Zeitungen und quasi ›nicht mehr zu halten war‹, haben wir die Beiträge auch gespielt.«
Zieglers Hörigkeit ist die eine Seite. Auf der anderen stehen ÖVP-Politiker·innen und ihre Pressesprecher·innen, die sich Robert Ziegler andienten, ihn beeinflussten und bei ihm intervenierten. Der Kommissionsbericht offenbart ein Bild systematischen Machtmissbrauchs, also Korruption, von der beide Seiten profitieren.
Zumindest von 2015 bis 2021 setzte sich Ziegler über das ORF-Gesetz und die hausinternen Programmrichtlinien hinweg – zum eigenen und zum Vorteil der ÖVP Niederösterreich. Die Partei bekam positive Medienöffentlichkeit, Ziegler eine politisch gestützte Karriere bis hinauf zum Landesdirektor.
Auch Geld ist geflossen: über zahlreiche Moderationsaufträge unmittelbar von öffentlichen Stellen, für die ÖVP-Politiker·innen verantwortlich waren, oder aus dem Umfeld der ÖVP. Für all das finden sich im 25-seitigen Kommissionsbericht Beispiele.
Ihr Wille geschehe
Ein Vorfall trug sich am 7. Februar 2020 zu, als eine Redakteurin einen Beitrag über ein Pflegeheim erstellte, in dem eine ganze Abteilung wegen Personalmangels leer stand.
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