Des einen Rückzug ist des anderen Exklusivstory. »Es galt als gesetzt, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im September für die ÖVP wieder antritt. Jetzt kommt alles jedoch anders.« Am 5. Juni 2024 berichtet Kurier-Chefredakteur Martin Gebhart als Erster, dass Wolfgang Sobotka bei der kommenden Nationalratswahl nicht mehr antreten wird.
»Das hat er nach einem Gespräch mit seiner Familie entschieden«, weiß Gebhart. Der Artikel zeichnet ein schmeichelhaftes Bild von Sobotka: »Wenn es um den politischen Gegenwind geht, dann hätte er schon früher das Handtuch werfen müssen«, schreibt Gebhart. »Ich war nie das Fähnchen im Wind, ich war immer ein Mast«, zitiert er den »Vollblutpolitiker«.
Nur um im nächsten Absatz zu verkünden: »Es wäre aber nicht Wolfgang Sobotka, wenn er nicht wenige Tage vor seinem endgültigen Ausstieg noch einen Paukenschlag setzen würde. Er macht das mit einer großen, europäischen Parlamentskonferenz in Wien.«
Dass Kurier-Chefredakteur Gebhart als Erster von Sobotkas Entscheidung erfährt, ist eher kein Zufall. Der Artikel steht beispielhaft für eine polit-mediale Zweckbeziehung, die Jahrzehnte zuvor in Niederösterreich begann. Gebhart und Sobotka werden in einer Medienlandschaft geprägt, in der sich mächtige Politiker·innen und willfährige Journalist·innen zu nahe kommen.
In der exklusive Information gegen einseitige Berichterstattung getauscht wird. In der kritische Redakteur·innen beruflich und sogar privat gemaßregelt werden. Wo journalistische Verhaltensregeln nicht gelten. Und wo einflussreiche Unternehmen mitbestimmen, wer Journalist·in werden kann und wer nicht. Größte Nutznießerin des Systems: die ÖVP Niederösterreich.
Blau-gelbe Geschichten
Gebhart ist einer der längstdienenden journalistischen Wegbegleiter Sobotkas – ab Mitte der 1980er-Jahre ist er zunächst Redaktionsleiter, später Chefredakteur der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN). Die Wochenzeitung ist in Niederösterreich ein Leitmedium, schließlich hat das größte Bundesland Österreichs keine eigene Tageszeitung.
So versorgt die NÖN mit einer Bundesland-Ausgabe und 28 Lokalausgaben wöchentlich die Niederösterreicher·innen mit Neuigkeiten – vom Feuerwehrfest bis zur Landtagssitzung.
Für die Politik ist die NÖN – neben dem ORF Niederösterreich – die erste Adresse. Und vice versa: Die Landespolitik ist für die NÖN unentbehrlicher Nachrichtenlieferant. »Man hat ja als einziges Thema nur Niederösterreich«, sagt Gebhart gegenüber DOSSIER. Im Lokaljournalismus sei es wichtig zu wissen, dass man den Menschen, über die man schreibt, »am nächsten Tag auf der Straße wieder persönlich begegnen« wird – so lautet einer der Grundsätze Gebharts.
Soll heißen: Überleg dir, mit wem du es dir verscherzt – du könntest es bereuen. Von der Kehrseite dieser exklusiven Beziehung berichten aktive und ehemalige NÖN-Redakteur·innen, mit denen DOSSIER im Zuge der Recherche gesprochen hat. Nach einem kritischen Bericht habe ein Bürgermeister dafür gesorgt, dass er »ein Jahr lang keine Informationen mehr aus der Gemeinde bekommen« habe, erzählt etwa ein Journalist.
Die Vergeltungsmaßnahmen rabiater Ortskaiser sollen sogar in den privaten Bereich gegangen sein. Betroffene Journalist·innen berichten DOSSIER von all dem nur unter dem Schutz der Vertraulichkeit. Sie fürchten weitere Racheaktionen der mächtigen Lokal- und Regionalpolitiker – schließlich leben sie nach wie vor in Niederösterreich.
In ihren NÖN-Redaktionen hätten sie hingegen wenig Rückhalt bekommen. Kritische Passagen in Artikeln seien abgeschwächt, belanglose Medientermine mit Landespolitikern angeordnet worden. Insbesondere kritische Berichterstattung über ÖVP-Politiker·innen sei unerwünscht gewesen und auch sanktioniert worden.
Daraus habe sich ein vorauseilender Gehorsam entwickelt: Dass die Kritik gegenüber der Landesregierung bei der NÖN enge Grenzen hat, ist unter Redakteur·innen ein offenes Geheimnis. »Kritischen Journalismus lernst du in Niederösterreich nicht«, sagt eine ehemalige NÖN-Redakteurin schmunzelnd zu DOSSIER. »Es ist ein Geben und Nehmen, die möglichst friedliche Koexistenz«, sagt ein anderer.
»Es ist klar, wenn ich eine Landeszeitung bin in einem Land, wo eine Partei absolut herrscht, ist es immer schwierig. Das hat meiner Meinung nach nicht direkt mit der ÖVP zu tun«, sagt Gebhart. »Ich war bei der NÖN undgleichzeitig auch Chefredakteur der Burgenländischen Volkszeitung, dort war die SPÖ dominierend.«
Erzählungen, dass zum Beispiel Landesrat Sobotka laut werden konnte, wenn ihm ein Bericht nicht gefiel, kann der Kurier-Chef bestätigen. »Es hat schon öfters gekracht, sicher. Andererseits muss man sagen: Das ist halt ein Mensch, da kracht᾽s, und dann geht es wieder normal weiter. Für mich war entscheidend, dass nicht irgendwelche roten Linien überschritten werden.«
Krumme Deals
Im Alltag treibt die Abhängigkeit zwischen Landeszeitung und Landespolitik Blüten, die sich mit journalistischer Ethik und Verhaltensregeln nicht vereinbaren lassen: »Exklusivstory gegen einseitige Berichterstattung«, könnte man eine davon nennen.
Gegenüber DOSSIER beschreiben NÖN-Mitarbeiter·innen folgende Praxis: Politiker »geben« der NÖN eine Exklusivstory, im Gegenzug verpflichtet sich die Zeitung, keine Reaktionen der Opposition einzuholen. Erst in der darauffolgenden Woche werden diese – möglicherweise kritischen – Stimmen nachgeliefert. Ein Redakteur beschreibt die Vorteile für die NÖN: »Dadurch hast du zwei Geschichten, und du spürst die Kraft der Zeitung ganz anders.«
In erster Linie profitieren von den krummen Deals die regierenden Politiker·innen – und die gehören in Niederösterreich meistens zur ÖVP. »Das war auch ganz bestimmt ein Wunsch von denen«, sagt der Journalist.
Bei wöchentlichen oder monatlichen Jour-fixe-Treffen mit ÖVP-Politiker·innen, -Parteimanager·innen oder -Pressesprecher·innen machen Chefredakteur·in oder Redaktionsleiter·in aus, welche Geschichten man wann »spielt«.
»Das hat natürlich Sinn gemacht für die NÖN, weil man der Zeitung da lauter gute Geschichten geliefert hat«, so ein Redakteur. Den anderen Parteien habe man derartige Jours fixes auch angeboten, aber: »Die anderen Parteien haben es alle nicht gemacht. Die waren nicht so professionell strukturiert«, so der Journalist.
Pröll-Solo beim Sommergespräch
Auch Daniel Lohninger, einer der beiden aktuellen NÖN-Chefredakteure, hat in der Vergangenheit Unsitten erlebt: »Als ich 2002 die Leitung meiner ersten Lokalausgabe übernommen habe, bin ich draufgekommen, dass meine Vorgängerin dem Bürgermeister die Artikel immer vorher zum Lesen geschickt hat«, sagt Lohninger zu DOSSIER. »Das musste ich abstellen – sonst hätte der Bürgermeister geglaubt, das geht so weiter.«
Ende 2017 übernahm Lohninger gemeinsam mit Walter Fahrnberger die Chefredaktion der NÖN: »Unser Ziel war es, viel, viel unabhängiger zu werden«, sagt Fahrnberger. Ein Herausgeber·innen-Wechsel bei der NÖN habe frischen Wind gebracht, gleichzeitig sei in der Landespolitik eine neue Zeit angebrochen: »Auch der Wechsel von Pröll zu Mikl-Leitner war eine Möglichkeit, das neu auf die Beine zu stellen«, so Fahrnberger.
Das neue NÖN-Duo brach mit Traditionen. »Wir haben eine gewisse Selbstverständlichkeit bei gewissen ÖVP-Politikern gespürt, die geglaubt haben, es geht alles so weiter wie bisher«, erzählt Fahrnberger. »Wir haben zum Beispiel Sommergespräche mit allen Parteien eingeführt. Davor hatten wir immer nur Erwin Pröll, auf zweimal vier Seiten: einmal über Innenpolitik, einmal Landespolitik«, sagt Lohninger.
Mit der NÖN-Akademie gibt es seit 2019 zudem ein Weiterbildungsangebot für die Redakteur·innen: »Wichtig ist das Mindset. Zu wissen, dass ich mir als kleiner Journalist nicht alles gefallen lassen muss«, sagt Lohninger. Man müsse mit Druck von Politiker·innen umgehen können, aber auch mit zu viel Zuwendung. »Sonst schickt wieder irgendwer vorher dem Bürgermeister etwas, und es fällt auf die ganze NÖN zurück«, sagt Lohninger.
Blattkritik auf dem Golfplatz
Gebharts Karriere geht beim Kurier weiter. 2017 verlässt er die NÖN und beginnt 2018 bei Österreichs drittgrößter Kauftageszeitung – zunächst als Teamleiter der Niederösterreich-Chronik. Gebhart folgt damit auch Wolfgang Sobotka nach Wien, der bereits im April 2016 vom Landesrat zum Innenminister wird.
Im Februar 2024 wird Gebhart schließlich Kurier-Chefredakteur. Bei seinem Antrittsinterview nennt er ein weiteres Berufsmotto: »Keine Angst vor Nähe, wenn gute Info daraus kommt.« Das Entscheidende sei, diese Info für die Leser·innen einzuordnen. DOSSIER-Recherchen zeigen, dass Gebhart den guten Draht nach Niederösterreich auch beim Kurier aufrechterhält – und in Sachen Nähe wirklich furchtlos ist.
Mit dem ÖVP-Generalsekretär und Wiener Neustädter Vizebürgermeister Christian Stocker ist Gebhart bestens befreundet. Er trifft Stocker und Klaus Schneeberger, den Wiener Neustädter Bürgermeister und Ex-ÖVP-Klubobmann in Niederösterreich, am Wochenende zu privaten Golfrunden. Das Trio spielt im – vom Land Niederösterreich und landesnahen Unternehmen geförderten – Golfklub Föhrenwald nahe Wiener Neustadt, dessen Präsident Schneeberger ist.
Die Männer haben aber auch schon auf exotischeren Anlagen gegolft: Gemeinsam verbrachten Gebhart, Stocker und Schneeberger einen Golfurlaub in Südafrika. »Jeder zahlt selber«, sagt Gebhart auf DOSSIER-Nachfrage. Und: »Seit Stocker ÖVP-Generalsekretär geworden ist, machen andere die Recherchen und Termine, die ihn betreffen, und nicht ich.«
Auch Schneeberger – als Klubobmann im Landtag war er zwischen 2000 und 2023 nach Erwin Pröll der zweitmächtigste Mann in der ÖVP Niederösterreich – hat keine Angst vor Nähe. »Wenn du viel zusammenkommst, gibt es ein freundschaftliches Verhältnis. Das ist gar nicht zu verhindern bei Veranstaltungen. Dann trinkst du was miteinander, und dann merkst du, du hast dasselbe Hobby. Es darf halt nur nicht zu amikal werden«, sagt Schneeberger.
»Ich gehe auch mit Richard Grasl Golf spielen (»Kurier«-Geschäftsführer, ehem. Chefredakteur des ORF Niederösterreich, Anm.). Martin Gebhart ist ein Neustädter, einer der besten Freunde von Christian Stocker. Und da soll er jetzt sagen: Nein, jetzt bin ich es nicht mehr? Vielleicht bin ich da ein Altpolitiker«, so der 74-jährige Schneeberger. »Ich sage, die menschliche Note darf nie verlorengehen.«
Schneeberger nutzt die privaten Golfrunden auch zur Kritik bei unangenehmer Berichterstattung: »Wenn er mich fehlgeleitet durch Falschinformation in die Pfanne haut und ich ihm dann sage, in Wahrheit war das nicht so, eigentlich könnte man das so schreiben, wie es war, dann finde ich nichts dabei.«
Beeinflusst er damit die Kurier-Chefs, positiv über die ÖVP zu berichten? »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Journalist, ob das der Ritschi (Richard Grasl, Anm.) war oder der Gebhart, bewusst etwas Falsches schreibt aus Freundschaftsgründen. Das glaube ich nicht«, sagt Schneeberger. »Die Optik ist eine schlechte, ja, ist halt so.«
»Wenn wir im Schnitt einmal pro Jahr gespielt haben, ist das viel. Und wenn wir gespielt haben, nutzte ich das, um Hintergrunde aus der Politik zu erfahren«, schreibt Richard Grasl an DOSSIER. Doch auch wenn Grasl, Gebhart und Schneeberger Nähe nicht fürchten, für die Redaktion kann derartige Verhaberung zwischen Vorgesetzten und Spitzenpolitiker·innen sehr wohl abschreckend wirken.
Sie kann dazu führen, dass eine kritische Frage bei der Pressekonferenz nicht gestellt oder eine Artikelidee in der Redaktionssitzung gar nicht erst vorgeschlagen wird: »Mit dem Wissen, dass leitende Redakteure gute Beziehungen zu Politikern haben, weiß man auch, dass die Rückendeckung in der Redaktion nicht gegeben ist«, sagt ein Journalist, der bei mehreren niederösterreichischen Medien tätig war.
Mediale Kontrolle
NÖN und Kurier, Gebharts ehemaliger und aktueller Arbeitgeber, haben nicht nur ihren kurzen Draht zur ÖVP Niederösterreich gemeinsam. Sie sind auch durch ihre Eigentümerstruktur miteinander verbunden und in Niederösterreich verankert. Mehrheitlich gehört die NÖN der Kirche, genauer gesagt dem Bistum St. Pölten.
Dort hat Bischof Alois Schwarz das Sagen, der nach Korruptionsvorwürfen aus Kärnten nach Niederösterreich versetzt wurde. 20 Prozent an der NÖN hält der Raiffeisen-Konzern, der wiederum auch 33,7 Prozent des Kurier besitzt.
Insider vermuten, dass die ÖVP-nahe Raiffeisen ein wichtiges Werkzeug ist, mit dem die ÖVP Niederösterreich Einfluss bei NÖN und Kurier ausübt – Spitzenpositionen besetzt beziehungsweise renitenten Redakteur·innen das Leben schwermacht. Bei Raiffeisen streitet man das auf Anfrage ab. »Das war vor 20 Jahren möglich. Aber die Zeiten sind heute vorbei«, sagt ÖVP-Politiker Schneeberger.
Unter dem Schutz der Anonymität beschreibt ein Medienmanager aus Niederösterreich gegenüber DOSSIER, wie die »mediale Kontrolle« der ÖVP Niederösterreich funktioniert: »Es gibt einerseits die Inserate. Dann gibt es Gespräche auf Eigentümerebene. Dann wird man von Informationen ausgeschlossen«, sagt er. »Das ist ein durchdachtes System: die Schule ÖVP Niederösterreich.«
Und was lernen Politiker·innen in dieser Schule? »Macht zur Schau tragen, Überlegenheit demonstrieren, die Schalthebel nützen«, so der Manager.

Inserate statt Presseförderung
Im Jahr 2010 verlängert der damalige Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka den Inseratenhebel in Niederösterreich: Die Landespresseförderung wird eingestellt, im Jahr zuvor waren noch 423.000 Euro »zur Aufrechterhaltung der Meinungsvielfalt und zur Sicherung zahlreicher Arbeitsplätze« ausgeschüttet worden.
»Die Begründung war: Wir inserieren ja eh so viel, wir inserieren halt noch mehr«, erinnert sich der Medienmanager. »Dadurch ist eine große Abhängigkeit entstanden. In Wirklichkeit hast du seither keine Chance mehr.«
Der Inseratenhebel sei genutzt worden, um Medienhäuser bei kritischer Berichterstattung zu maßregeln – bis zu Prölls Abgang im Jahr 2017 mitunter direkt von seinem Pressesprecher Peter Kirchweger, der zwanzig Jahre lang gleichzeitig der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Landes war. Im Juli 2023 ging Kirchweger in Pension – in einer Aussendung nannte ihn das Land »eine Legende der Öffentlichkeitsarbeit«.
»Kirchweger war einer der mächtigsten Menschen in Niederösterreich«, erinnert sich der Medienmanager. »Und wenn du dir etwas geleistet hast, dann hat er gesagt: Wir inserieren nicht mehr – und dann haben alle nicht mehr inseriert, auch der Wolfgang (Sobotka, Anm.).«
Am hart umkämpften Werbemarkt können die Medienhäuser damals wie heute auf die öffentliche Werbung nur schwer verzichten: Im Jahr 2023 schaltete das Land Niederösterreich mit landeseigenen Unternehmen 728.000 Euro im Kurier und 1.557.000 Euro in der NÖN. Im Fall der NÖN sind das mehr als fünf Prozent des Umsatzes und knapp das Dreifache des Jahresgewinns.
Die Gunst der »Familie«
Die landeseigenen und landesnahen Unternehmen Niederösterreichs spielen in Niederösterreichs Medienlandschaft eine besondere Rolle: Die »Familie« soll Prölls mächtiger Pressesprecher Kirchweger sie einst salopp genannt haben.
Denn Hypo Niederösterreich, EVN, Niederösterreichische Versicherung, Novomatic und so weiter tauchen immer dann auf, wenn es im ÖVP-nahen Bereich etwas zu sponsern, zu fördern oder zu inserieren gibt – etwa bei Wolfgang Sobotkas Alois-Mock-Institut.
Die Unternehmen haben nicht nur durch Inseratenvergabe eine wichtige Funktion in der Medienbranche. Sie wirken auch bei der Auswahl und Ausbildung der Journalist·innen von morgen mit.
Der »Verein zur Förderung des Journalismus in Niederösterreich« vergibt seit 2008 jährlich vier bis sechs Stipendien für angehende Journalist·innen und einen Journalismuspreis. Das einjährige Praktikum gilt als wichtiges Sprungbrett, um es in Niederösterreich als Journalist·in zu schaffen. Neun ehemalige Stipendiat·innen arbeiten etwa aktuell beim ORF-Landesstudio Niederösterreich – darunter NÖ heute-Moderatorin Katharina Sunk.
Mit NÖN,Kurier und ORF NÖ sind im Verein die wichtigsten Medienhäuser des Bundeslandes versammelt – zusätzlich acht der einflussreichsten Unternehmen des Landes.
Die Sponsorenliste liest sich wie das Who᾽s who der niederösterreichischen Wirtschaft: EVN, Flughafen Wien, Hypo Niederösterreich, Raiffeisen – dazu kommen die Industriellenvereinigung Niederösterreich, die Wirtschaftskammer Niederösterreich sowie die Konzerne Spar und Agrana – bis vor wenigen Jahren war auch noch Novomatic mit von der Partie.
»Landeseigene und landesnahe Unternehmen und solche, die vom Land etwas wollen«, fasst es ein ehemaliger Teilnehmer zusammen, der den Journalismusverein mittlerweile kritisch sieht. Denn die Firmen finanzieren nicht nur den Verein, sie mischen auch bei der Auswahl und Ausbildung mit.

Verleihung des »NÖ Journalistenpreises 2018« durch den »Verein zur Förderung des Journalismus in Niederösterreich«: Robert Ziegler (ORF), Raiffeisen-Chef Erwin Hameseder, Preisträgerin Katharina Sunk (ORF), Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Martin Gebhart (»Kurier«)
Eine der Teilnehmerinnen erzählt DOSSIER von ihrem Bewerbungsgespräch vor einigen Jahren – sie sei erst einmal erschrocken: »Ich habe ein normales Gespräch erwartet, vielleicht mit einer kleinen Kommission, aber ich betrat den Raum und stand plötzlich vor zehn Männern in Anzügen.« Neben den Chefredakteuren von NÖN,Kurier und ORF Niederösterreich sitzen dort die Pressesprecher von Raiffeisen bis Novomatic und begutachten die angehenden Journalist·innen.
Sie entscheiden auch mit, wer in das Programm aufgenommen wird – schließlich sind sie integraler Teil der Ausbildung: Drei Monate verbringen die Stipendiat·innen bei jedem der Medienhäuser und drei Monate in der Öffentlichkeitsabteilung eines der Unternehmen. In der Jury haben die Unternehmen gegenüber den Medien die Überzahl – ohne Zusicherung eines PR-Praktikumsplatzes gibt es auch kein Stipendium.
DOSSIER hat mit mehreren Absolvent·innen des Programms gesprochen, die Mehrzahl kritisiert das Stipendium rückblickend: »Alleine die Konstellation, die größten Unternehmen mit den größten Medienhäusern, ist problematisch. Dann kennt schon einmal jeder jeden. Wenn du das Stipendium gemacht hast, kennst du zum Beispiel alle Pressesprecher·innen. Es ist genau so hingeschneidert, dass sie den Journalismus so hinbiegen, wie sie ihn brauchen«, sagt eine der Teilnehmer·innen.
Das Netzwerk wird bei Alumni-Treffen gepflegt: Dort werden jährlich erneut Absolvent·innen und Pressesprecher·innen eingeladen – dazu kommen Gäste aus der Landespolitik. Etwa beim Zehnjahresfest des Journalismusvereins im Jahr 2018: Zum Jubiläum feiert Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mit – in den Räumen der Raiffeisen.
Einer der beiden Geschäftsführer des Vereins ist Kurier-Chefredakteur Martin Gebhart – »ehrenamtlich«, wie er betont.
Zieglers Fußstapfen
In der Festschrift zum zehnjährigen Jubiläum im Jahr 2018 beschreibt Gebhart den »besonderen niederösterreichischen Aspekt bei dieser Ausbildung«:
»Sie lernen nicht nur das journalistische Tageshandwerk, sondern auch das Land mit seinen Führungskräften, seinen besonderen Strukturen und Gegebenheiten und mit seinen Menschen kennen und verstehen. Ein entscheidender Punkt, wenn es darum geht, authentische Berichte und Beiträge aus und über ein Bundesland zu verfassen.«
Co-Autor von Gebharts Beitrag ist der damalige Obmann des Journalismusvereins Robert Ziegler – jener ehemalige Landesdirektor des ORF, der wegen der Beeinflussung und Unterdrückung von Berichterstattung im Sinne der niederösterreichischen Volkspartei seinen Spitzenposten räumen musste und nun einen anderen Job am Küniglberg hat.
Wie DOSSIER-Recherchen zeigen, könnte nun noch ein schwerer Vorwurf gegen Ziegler dazukommen: Schließlich hat er auf der einen Seite als Obmann des Journalismusvereins Sponsorengeld von Hypo, Raiffeisen und der Wirtschaftskammer Niederösterreich lukriert und für letztere auch auf eigene Rechnung Moderationen durchgeführt.
Auf der anderen Seite hat er als ORF-Landesdirektor die Berichterstattung über diese in deren Sinne manipuliert. Das geht aus dem vom ORF streng unter Verschluss gehaltenen Bericht der Ziegler-Kommission hervor, den DOSSIER exklusiv einsehen konnte.
Robert Ziegler war in seiner ORF-Funktion Amtsträger. Sollte er sich »für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäfts« – also die Beeinflussung der Berichterstattung – »einen Vorteil für sich oder einen Dritten« haben versprechen lassen, dann könnte laut Expert·innen Paragraf 304 Strafgesetzbuch greifen: Bestechlichkeit.
»Die Kommission enthält sich einer rechtlichen Beurteilung«, heißt es dazu im Ziegler-Bericht. Der ORF weist strafrechtliche Verdachtsmomente gegenüber DOSSIER zurück und betont »die Rechtskonformität der Vorgänge, korrekt abgewickelte Nebenbeschäftigungs-Workflows und das Nichtvorliegen von Unvereinbarkeiten«.
Offenlegung
Der Autor war früher als freier Journalist für die »NÖN« tätig.
DOSSIER hat im Rahmen der »NÖN«-Akademie Workshops gehalten