Ein Politiker liefert mitunter filmreife Momente. Im Juni 2008 hat Wolfgang Sobotka einen solchen, als in Tulln an der Donau zwei seiner großen Leidenschaften zu einem dramaturgischen Höhepunkt verschmelzen: das Garteln und die Musik. Um 11 Uhr vormittags tritt der damalige Landesrat bei der Gartenmesse in Tulln als Dirigent vor das Kammerorchester Waidhofen an der Ybbs.
Er hebt den Taktstock, das Ensemble setzt ein und versprüht einen Hauch Hollywood in Niederösterreich: Filmmusik aus Kevin Costners Der mit dem Wolf tanzt, die Forrest Gump Suite und die symphonische Suite aus dem weltweiten Kassenschlager Herr der Ringe hat das Orchester im Repertoire – bei solchen Hits aus Blockbustern lässt das Medienecho nicht lange auf sich warten.
»Wie sollte es falsch klingen, wenn ein ›studierter‹ Musiker auch als Landesrat, Schutzherr der Garten Tulln und Gründer der ›Aktion Natur im Garten‹ in Niederösterreich den Takt angibt?«, überschlagen sich die Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN) wenige Tage nach dem Konzert mit Lob für Sobotkas »fulminantes Konzert«.
Hollywood hätte das Drehbuch nicht besser schreiben können: ein Sonntag, die Sonne scheint, die Blumen blühen, und der Maestro steht im Rampenlicht. Seit Mitte der 1980er-Jahre gibt Sobotka im Kammerorchester seiner Heimatgemeinde Waidhofen an der Ybbs musikalisch den Takt an – bis heute. Sein Berufsweg führt ihn in die Politik, doch den Dirigentenstab hat er immer dabei.
Mal schwingt er ihn in kleineren Orten wie in Grafenwörth, mal in der Landeshauptstadt, wo Sobotka im Schnitt jedes zweite Jahr ein Neujahrskonzert dirigiert, zuletzt 2024. Dort treffen sich Politprominenz und betuchte Sponsoren, die der ÖVP Niederösterreich nahestehen. Sobotka hatte es früh verstanden, die Musik für seine Zwecke einzusetzen.
Etwa im Jahr 1996: Damals widmete der designierte Waidhofner Bürgermeister Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) ein Stück – den »fast in Vergessenheit geratenen Walzer von Eduard Strauß mit dem beziehungsvollen Namen Landeskinder«, wie es in einer Aussendung zu dem von Raiffeisen gesponserten Neujahrskonzert heißt.
Ein musikalischer Knicks vor dem Landesvater, bezahlt von der Hausbank, die wie das Land Niederösterreich bis heute als Sponsor des Kammerorchesters auf dessen Website gelistet ist. Das Amateurorchester Waidhofen spielt aber nicht nur in Österreich groß auf.
2000 – Sobotka ist bereits Finanzlandesrat – gehen Dirigent und Ensemble auf China-Tournee. Von »frenetischem Applaus in Rotchina« und »Standing Ovations« berichtet die NÖN über das erste Konzert in Peking. Die Oberösterreichischen Nachrichten sehen darin sogar eine Art »Musikdiplomatie«, einen »Türöffner für Wirtschaftsbeziehungen« zwischen dem Reich der Mitte und dem Reich rund um Wien. Und doch erweist sich des Maestros zweite Passion für dessen politische Karriere als weitaus dienlicher: das Garteln.
Der Maestro als Gärtner
Dass dem Landesrat die Landschaftspflege mehr in die Karten spielt, liegt auf der Hand: Ein idyllischer Garten, wo sich Igel wie Bienen zu Hause fühlen, lässt sich dem Volk besser verkaufen als klassische Musik und die Champagner-Polka von Josef Strauß. Und im Garten kennt sich Sobotka genauso gut aus wie mit Partituren.
Er ist über Pflanzen und deren Pflege bestens informiert, gartelt zu Hause in Waidhofen selbst, oft spätnachts mit einer Stirnlampe. »Als er einmal mit auf dem Golfplatz war, hat ihn das Golfen überhaupt nicht interessiert. Aber er hat sofort alle Pflanzen erkannt«, sagt der langjährige Klubobmann der ÖVP Niederösterreich Klaus Schneeberger.
Doch es wäre nicht Wolfgang Sobotka, würde er seine Hingabe und sein Wissen nicht politisch instrumentalisieren.
Als Sobotka 2008 Hollywood musikalisch nach Tulln bringt, ist er seit zehn Jahren Landesrat. Es ist sein wohl erfolgreichstes Jahr in Niederösterreich. Im März 2008 hatte Landeshauptmann Erwin Pröll abermals die Landtagswahl gewonnen und mit 54,4 Prozent der Stimmen sogar die absolute Mehrheit erreicht. Es sollte das beste Ergebnis unter Pröll bleiben, der Niederösterreich bis 2017 ein Vierteljahrhundert lang regierte.
Auch für Wolfgang Sobotka ist es ein gutes Jahr: Ende April wird die Landesgartenschau in Tulln eröffnet. Die »Garten Tulln« ist sein Projekt und dient ihm als Bühne – nicht nur in seiner Rolle als Dirigent. Doch schon bald ziehen über Sobotka dunkle Wolken auf.
Wenige Wochen nach seinem großem Auftritt beginnt der Landesrechnungshof (LRH) die finanzielle Gebarung der Gartenschau zu prüfen – insbesondere die üppig vergebenen öffentlichen Förderungen. Ein Jahr später wird der LRH einen kritischen Bericht vorlegen, der für nationale Schlagzeilen sorgt: Die Kosten des Projekts hatten sich mehr als vervierfacht, mehr als 21 Millionen Euro waren für die »Garten Tulln« ausgegeben worden.
In einem Fall vergab Sobotka satte 2,5 Millionen Euro an Förderung entgegen geltenden Regeln einfach freihändig, also ohne Zustimmung der Landesregierung. Auch die Konstruktion hinter dem Projekt sei undurchsichtig, so der Landesrechnungshof. Doch auch wenn die »Garten Tulln« in einem »Finanzdesaster« endet, wie es die Tageszeitung Die Presse nennt: Sobotkas Karriere schadet das ebenso wenig wie der Skandal um die Milliardenspekulation mit Wohnbaubeiträgen, der zur selben Zeit für Furore sorgt.
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