Foto: Alex Halada / picturedesk.com
Nationalratspräsident·in ist kein Job für Freigeister. Im zweithöchsten Amt im Staat ist man zwar Hausherr·in im Parlament und leitet die Sitzungen des Nationalrats – doch dabei ist einem fast jedes Wort vorgegeben: Croquis heißt die Mappe, die die Parlamentsdirektion zu Beginn jeder Sitzung auf den Tisch der oder des Vorsitzenden legt.
Wie in einem Drehbuch ist darin jedes Wort vorformuliert. Mit einer Ausnahme: den Ordnungsrufen. Wenn es darum geht, Abgeordnete zu maßregeln, kann sich ein·e Nationalratspräsident·in entfalten – insbesondere ein wortgewaltiger wie Wolfgang Sobotka.
»Wir sprechen einen Minister in Österreich nicht als Fußballmaus an, bitte«, ruft Sobotka etwa die FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst am 4. Juli 2024 zur Ordnung, nachdem sich diese wegen eines Social-Media-Videos über Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Johannes Rauch (beide Grüne) lustig gemacht hat.
In solchen Momenten freut sich der Nationalratspräsident sichtlich über seine gelungene Formulierung. Und tatsächlich: Er schafft es damit in die Medien, obwohl Sobotka hier im Nationalrat eigentlich nur noch eine Nebenrolle spielt. Seit Dezember 2017 sitzt Sobotka im Nationalratssaal als Präsident an höchster Stelle. Formell gesehen ist er fast ganz oben angelangt, nur noch Bundespräsident Alexander Van der Bellen steht über ihm.
Politisch ist Sobotka damit aber in die zweite Reihe gerückt, denn als Nationalratspräsident heißt es Verwalten statt Gestalten. Das war Sobotka in seiner Karriere aber immer anders gewohnt: Als Landeshauptmannstellvertreter und Finanzlandesrat in Niederösterreich konnte er überall mitmischen – von der Gemeinde bis in den Bund.
Als Innenminister stand er einem gewaltigen Apparat von mehr als 39.000 Beamt·innen vor und spielte gleichzeitig im innenpolitischen Machtpoker eine Rolle. Auch wenn er als Mann fürs Grobe sein Image dabei nachhaltig beschädigte: Die Aufmerksamkeit war ihm sicher.
Seine Beförderung zum Nationalratspräsidenten war daher für Sobotka im Alter von 61 Jahren ein herber Rückschritt: Schließlich hat der Nationalratspräsident kaum Mitarbeiter·innen und vor allem formale und repräsentative Funktionen. Doch der Machtpolitiker Sobotka gab sich damit nicht zufrieden: Er schuf sich im Parlament selbst eine Bühne und fand Wege, politisch aufzufallen.
Auch wenn er dadurch das Amt in Mitleidenschaft zog und nach Meinung mancher gar die Demokratie beschädigte.
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