Soziale Härtefälle und verschleppte Sanierungen

Bei Erhöhung der Mieten zur Finanzierung von Sanierungen spielt soziale Verträglichkeit keine Rolle, Mietzinsbegrenzungen gelten nicht. Trotz erhöhter Mieten kann es mitunter Jahre dauern, bis die Sanierungen beginnen.

Wohnen28.6.2016 

Es ist das Jahr 2011. Mehr als hundert Bewohner zweier Wiener Gemeindebauten protestieren mit ihren Unterschriften gegen eine Sanierung ihrer Häuser. Nicht weil die Häuser etwa nicht sanierungsbedürftig wären, sondern weil die städtische Hausverwaltung Wiener Wohnen die Mieter und Mieterinnen zur Kassa bitten will. Obwohl Wiener Wohnen falsche Angaben zu den Rücklagen gemacht hatte, durften die Mieten in den Gemeindebauten Negerlegasse und Gredlerstraße in Wien-Leopoldstadt erhöht werden.

Im Antrag für die Mietzinserhöhung hieß es, der Gemeindebau habe ein Minus von fast 130.000 Euro. Die Schlichtungsstelle MA 50 stellte fest, dass die Wohnhausanlage bei korrekter Rechnung über knapp eine halbe Million Euro an Reserven verfügte. Der Antrag wurde trotzdem genehmigt, die Mieten teils massiv erhöht: Ein Schock für die Bewohnerinnen und Bewohner. „Bei uns im Haus wohnen viele alte Menschen und viele alleinstehende Frauen. Da reichen die Pensionen nicht, um zu sagen, wir schlucken das“, sagt Mieterbeirätin Johanna Stephan. Sie selbst zahlte vor der Erhöhung einen Hauptmietzins von weniger als 200 Euro, danach 480,97 - das ist eine Steigerung von knapp 250 Prozent. 

"Keine soziale Staffelung"

Stephan und eine weitere Mieterbeirätin, Gertraude Stampfl, sind Nachbarinnen und kämpfen gemeinsam gegen das Vorgehen der städtischen Unternehmung an. Vor fünf Jahren erfahren sie bei einer Mieterversammlung, dass ihre beiden Bauten saniert werden sollen. Betroffen sind 92 Wohnungen in der Gredlerstraße und 50 Wohnungen in der Negerlegasse. „Wir waren geschockt. Ich wohne seit 1961 in diesem Bau, Wiener Wohnen hat in all den Jahren nie Geld für eine Sanierung ausgegeben, und jetzt sollen wir plötzlich dafür bezahlen“, sagt die 74-jährige Stampfl.

Die beiden beginnen Unterschriften gegen die Paragraf-18-Sanierung zu sammeln. „Wir wollten Wiener Wohnen darauf aufmerksam machen, dass so eine Mieterhöhung für viele der Bewohner nicht so einfach zu bewältigen ist", sagt Stephan. Sie schicken Briefe an den zuständigen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) und an Wiener Wohnen. Zu diesem Zeitpunkt wissen sie nicht, um wie viel ihre Mieten steigen werden. Sie machen sich Sorgen und erkundigen sich bei der Schlichtungsstelle, ob es Obergrenzen für die Erhöhungen gibt und ob auf ihre besondere Lage Rücksicht genommen wird. Die Schlichtungsstelle antwortet: „Das Gesetz sieht keine soziale oder sonstige einkommensmäßige Staffelung für die § 18 MRG-Erhöhung vor.“

Zwar gibt es Beihilfen für solche Fälle, viele der älteren Bewohnerinnen und Bewohner wüssten darüber aber nicht Bescheid. Stephan zeigt die Entscheidung der Schlichtungsstelle: Auf der vorletzten Seite findet sich ein Verweis auf die Möglichkeit, Mietzinsbeihilfe beim Finanzamt zu beantragen. Es gab Aushänge im Haus, wirkliche Unterstützung in Form von Beratung vor Ort erfolgte nicht.

Die sozialen Auswirkungen von Mieterhöhungen bei Paragraf-18-Sanierungen wurden bislang kaum diskutiert. Die Frage, wie Mieterhöhungen sozial verträglich gestaltet werden können, ist schwer zu beantworten. In der Negerlegasse und der Gredlerstraße ist der Fall mittlerweile abgeschlossen.

Seit Anfang 2014 gelten die erhöhten Mieten, die Sanierungsarbeiten haben – bis auf den Einbau des Lifts – jedoch immer noch nicht begonnen. Der Baubeginn wird per Aushang für das letzte Quartal 2016 angekündigt. „Wir wissen aber, dass auch dieser Termin nicht möglich ist“, sagt Stephan. Nach der Ausschreibung hätten die Bewerber vier Wochen Zeit, und dann könnte Wiener Wohnen die Angebote sechs Monate lang prüfen. „Ich weiß nicht, ob Wiener Wohnen das absichtlich macht. Aber wieso wir für etwas zahlen müssen, das wir nicht bekommen, verstehe ich nicht“, sagt Stampfl.

„Wieso muss ich Wiener Wohnen Geld vorstrecken?“

Paul Steiner kennt das Problem. Der 72-jährige Pensionist wohnt seit mehr als 45 Jahren mit seiner Frau in der Hauptstraße 105 in einem Wiener Gemeindebau im 14. Wiener Gemeindebezirk. Auch hier standen Sanierungsarbeiten an: Tausch der Fenster und Eingangstüren, Wärmedämmung, Instandsetzung von Stiegenhaus und Gängen. Am 12.6.2013 entschied die Schlichtungsstelle der MA 50, dass Wiener Wohnen die Mieten erhöhen darf, um die Sanierung zu finanzieren – unter einer Bedingung: Wiener Wohnen verpflichtet sich, die Arbeiten bis 30.6.2015 durchzuführen.

Seit 1.1.2014 bezahlt Steiner den erhöhten Mietzins – doch die Sanierungsarbeiten verzögern sich. Im Juli 2015 – zu diesem Zeitpunkt hätte die Sanierung bereits abgeschlossen sein müssen – bekommen die Bewohnerinnen und Bewohner schließlich einen Brief vom zuständigen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und Josef Neumayer, dem Direktor von Wiener Wohnen: "Wir dürfen Sie darüber informieren, dass der Start zur Sanierung Ihres Gemeindebaus im Rahmen der Sanierungsoffensive der städtischen Wohnhausanlagen in den kommenden Monaten erfolgen wird."

Steiner will das nicht auf sich sitzen lassen. „Mir gehen 3.500 oder 4.000 Euro ab. Ich bin alt, ich sehe nicht ein, wieso ich Wiener Wohnen Geld vorstrecken muss“, sagt der Pensionist. Er zieht vor Gericht und bekommt in erster Instanz Recht: Wiener Wohnen müsste die Mieterhöhung zurückzahlen, weil die Sanierung nicht im vorgegebenen Zeitraum durchgeführt wurde. Doch die Hausverwaltung hält dagegen und geht in die zweite Instanz, wo das Verfahren derzeit anhängig ist.

Selbst wenn Steiner erneut gewinnt, bekäme nur er sein Geld zurück – die anderen Mieterinnen und Mieter gingen leer aus. In der Hauptstraße 105 haben die Sanierungsarbeiten im Winter begonnen. In der Negerlegasse und der Gredlerstraße warten die Bewohnerinnen und Bewohner bis heute darauf – trotz erhöhter Mieten.