Alarmstufe Rot im Gemeindebau

Sanierungsfall Wiener Wohnen: Wie die Stadtpolitik Missstände im Gemeindebau herunterspielt.

Wohnen25.2.2017 

Teaser-Foto: Christian Kadluba, flickr
Montage: DOSSIER

Ein Skandal wie jener, der zu Beginn der Woche die Gemeindebauhausverwaltung Wiener Wohnen erschütterte, würde viele Politiker aus der Ruhe bringen – nicht so Michael Ludwig. Der Wohnbaustadtrat wirkt in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme ruhig und gefasst. Ob er Versäumnisse bei der eigenen Person sehe, fragt der Ö1-Journalist vorsichtig. "Aber ganz im Gegenteil", sagt Ludwig bestimmt.

Die Reaktion ist beeindruckend, wenn man bedenkt, was sich im Verantwortungsbereich des Stadtrats abgespielt haben soll: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen 32 Mitarbeiter von Wiener Wohnen. Der Verdacht: Bestechlichkeit. Im Austausch für Tank- und Einkaufsgutscheine und Autobahnvignetten sollen Mitarbeiter bei der Kontrolle von Handwerkeraufträgen beide Augen zugedrückt haben. Sofern die Kontrolle überhaupt stattfand.

Bei Sanierungen von Gemeindewohnungen sei zum Beispiel für drei Wandanstriche bezahlt worden, ausgemalt wurde tatsächlich nur einmal. Im Einzelnen betrachtet klingt das nach einer Bagatelle. Doch Wiener Wohnen verwaltet 220.000 Wohnungen – in wie vielen davon gepfuscht wurde, ist unklar. Ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe steht im Raum.

Trotz der Dimension der Vorwürfe sind die Verantwortlichen bemüht, den Skandal herunterzuspielen. Die betroffenen Mitarbeiter seien allesamt nur "operativ tätig" gewesen, hieß es etwa gegenüber dem Standard. Führungskräfte seien nicht darunter. Schon vor Jahren habe man eine Innenrevision, ein Vier- bzw. Sechsaugenprinzip und ein Rotationssystem für Mitarbeiter eingerichtet. Und überhaupt habe Wiener Wohnen selbst die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Alles halb so schlimm? Mitnichten.

Alle Jahre wieder

Auch wenn das aktuelle Ausmaß einzigartig ist, handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Seit Jahren steht die städtische Hausverwaltung immer wieder in der Kritik. Wie etwa 2015, als eine Mitarbeiterin des Tochterunternehmens Wiener Wohnen Haus- und Außenbetreuung GmbH wegen des Verdachts der Untreue entlassen wird.

Oder 2011, als das Nachrichtenmagazin "Profil" über ein angebliches Installateurkartell berichtet, das seine Angebote bei einer Ausschreibung abgestimmt haben soll. Es kam schließlich nur deshalb zu keiner Strafe durch die Wettbewerbsbehörde, weil der Auftragswert nach Ansicht des Kartellgerichts unter der damaligen Bagatellgrenze von 200 Millionen Euro lag. Konsequenzen gab es hingegen im Jahr 2009: Damals musste der Geschäftsführer der Wiener Wohnen Hausbetreuung GmbH gehen, als bekannt wurde, dass er seinen Schwager mit Aufträgen versorgt hatte.

Immer wieder weisen auch die Prüfer des Stadtrechnungshofes in ihren Berichten auf Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben durch Wiener Wohnen hin. Etwa Anfang 2015, als der Stadtrechnungshof aufdeckte, dass die Hausverwaltung zahlreiche Glaserarbeiten direkt vergeben hatte.

20 Verträge mit Unternehmen waren damals ausgelaufen. Anstatt erneut Rahmenverträge auszuschreiben, wurden die Aufträge einfach direkt verlängert. Als "nicht wettbewerbsfördernd" bezeichneten das die Prüfer diplomatisch. Bei Wiener Wohnen beteuerte man, diese Verträge künftig wieder auszuschreiben. Wiener Wohnen ist nicht irgendeine Hausverwaltung, es ist die größte Europas. Knapp eine Milliarde Euro Umsatz macht die Unternehmung im Jahr – bei dieser Größenordnung passieren unweigerlich Fehler. Doch in dieser Häufigkeit und Schwere?

Intransparente Struktur

Ein Grund für die Anfälligkeit von Wiener Wohnen liegt in seiner intransparenten Struktur: Bis 1999 ist die Verwaltung der Wiener Gemeindebauten noch als Magistratsabteilung organisiert. Unter der damaligen rot-schwarzen Stadtregierung wird Wiener Wohnen als eine Unternehmung der Stadt ausgegliedert – aber nicht so richtig. Genau wie der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), eine andere Baustelle der Stadt, die mit Skandalen immer wieder auf sich aufmerksam macht, hat auch Wiener Wohnen keine Rechtspersönlichkeit.

Das Budget wird zwar dem Wiener Gemeinderat vorgelegt und von diesem beschlossen, darüber hinaus ist der Zugang zu Informationen für die Opposition beschränkt. Wegen dieser Konstruktion entziehe sich Wiener Wohnen weitgehend der politischen Kontrolle, wie Politiker aller Oppositionsparteien unisono sagen. Das zeigte sich auch beim Bau der neuen Firmenzentrale gleich neben den Gasometern im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Zentrale nach Wunsch

Vor zweieinhalb Jahren bezog die städtische Hausverwaltung ihre neue Bleibe. Für den 105-Millionen-Euro-Bau sei keine Ausschreibung nötig gewesen, sagt Wiener Wohnen. Denn: Man miete die Immobilie nur.

Trotzdem waren die Entscheidungsträger der Hausverwaltung früh und intensiv in Planung und Bauausführung eingebunden. Man hatte sogar einen Standortwettbewerb durchgeführt und dazu Bauträger eingeladen. Eine "mieterseitige Begleitung" des Bauvorhabens wurde eingerichtet, die Zentrale war schließlich maßgeschneidert auf die Bedürfnisse von Wiener Wohnen – alles Indizien für einen bestellten Bau, wie Vergabejuristen sagen.

All das passiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit: die Entscheidung, eine neue Zentrale zu beziehen, der Standortwettbewerb, die Aufträge an externe Firmen zur Bauüberwachung. In den Jahresabschlüssen von Wiener Wohnen findet man keine Hinweise darauf. Kurz vor dem Spatenstich im Herbst 2012 gibt es erstmals Medienberichte. In den Protokollen des Gemeinderates findet sich die erste Erwähnung erst zwei Jahre später: als Einladung zur Eröffnungsfeier. An sonstige Gespräche über die neue Zentrale können sich selbst damalige Mitglieder des Wohnbauausschusses auf Anfrage nicht erinnern.

Stadtrat Ludwig: Kein Nachteil für Mieter

Doch nicht nur gegenüber der Opposition und der Öffentlichkeit gibt sich Wiener Wohnen verschlossen – selbst die eigenen Mieter haben es oft schwer, ein offenes Ohr bei ihrer Hausverwaltung zu finden. Insbesondere wenn Dinge nicht so rund laufen. So betont Stadtrat Ludwig im aktuellen Fall, dass den Mietern durch die nicht sachgemäß ausgeführten Arbeiten kein Nachteil entstanden sei. Das stimmt nicht.

Es gibt Mieter, denen nicht sachgemäße Sanierungen beim Bezug ihrer Wohnungen auffielen – und die dies der Hausverwaltung auch meldeten. Etwa im Reumannhof im fünften Wiener Gemeindebezirk: Die Wände wurden nicht ordentlich ausgemalt, der Boden nicht ordentlich verlegt. Als der betroffene Mieter sich an Wiener Wohnen wandte, bekam er zur Antwort: Die Warteliste sei lang, er könne die Wohnung in diesem Zustand nehmen oder eben nicht. Auf Anfrage verweist Wiener Wohnen darauf, auf pauschale Vorwürfe nicht reagieren zu können. Sollte sich der Fall so zugetragen haben, "entspricht das nicht dem Selbstverständnis des Unternehmens als moderner Dienstleister", schreibt eine Sprecherin.

Hohe Betriebskosten

Ein anderes Beispiel sind die ungewöhnlich hohen Betriebskosten im Gemeindebau. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" – mit diesem Spruch ruft der stets auf sein Image bedachte Michael Ludwig die Mieter zwar selbst in den Medien dazu auf, die jährlichen Abrechnungen zu kontrollieren. Als 2012 die Prüfer des Rechnungshofes der städtischen Hausverwaltung aber empfehlen, "der Frage nachzugehen, warum im Vergleich zum privaten Bereich in einigen Positionen eklatante Unterschiede der einzelnen Betriebskosten bestehen", bleibt die Antwort von Wiener Wohnen einsilbig: Ein solcher Vergleich werde mangels Vergleichbarkeit "nicht als zweckmäßig" erachtet.

Wenn Mieter der Empfehlung des Stadtrats nachkommen und ihre Betriebskostenabrechnungen kontrollieren, Fehler entdecken und Geld zurückfordern, kann das in einen Kampf David gegen Goliath ausarten. So geschehen im Streit um die Kosten für die Grünflächenpflege: Sechs Millionen Quadratmeter Grünfläche liegen zwischen den Wohnhäusern der Gemeinde Wien.

Die Pflege der Wiesen und Sträucher bezahlen die Bewohner jährlich in ihren Betriebskosten mit. Im Jahr 2007 beschließt Wiener Wohnen, Teile der Grünflächenpflege nicht mehr auszuschreiben und an private Gärtner zu vergeben. Nach und nach bekommt eine Tochterfirma, die Wiener Wohnen Haus- und Außenbetreuung GmbH, den Zuschlag. Zuerst 25, dann 50 Prozent der Flächen.

Preise gestiegen – Leistung verschlechtert

Es häufen sich die Beschwerden aus Wohnhausanlagen wie etwa dem Adolf-Schärf-Hof in Ottakring: Die Leistung sei schlechter geworden, teilweise gar nicht vorhanden gewesen, dafür seien die Preise deutlich gestiegen.

Auch in Penzing fällt zwei aufmerksamen Mietern dieses Missverhältnis auf: höhere Kosten, schlechtere Leistung. Keine Einzelfälle, wie aus den Jahresberichten von Wiener Wohnen hervorgeht: Der Posten "Grünflächenpflege" verdreifachte sich fast, von rund 2,8 Millionen 2007 auf mehr als acht Millionen Euro im Jahr 2015.

Für jeden einzelnen der rund 500.000 Gemeindebaubewohner geht es hier nicht um viel Geld, vielleicht um ein bis zwei Euro pro Quadratmeter. Doch die Menge macht's: Von 2007 bis 2015 geht es um Mehrkosten von insgesamt rund 26 Millionen Euro. Mietern wie jenem im Adolf-Schärf-Hof, der diesen Kostenanstieg beeinspruchte, kam Wiener Wohnen nicht entgegen. Man sah sich vor Gericht wieder, kein leichter Schritt für einen Mieter. Für die Juristen des Gemeindebauverwalters eine Formalität – und ein Bilanzposten, für den letztlich ohnehin die Mieter aufkommen. Mit ihren Einsprüchen bekamen die Mieter im Adolf-Schärf-Hof und im Hugo-Breitner-Hof in Penzing Recht.

OGH-Urteil ignoriert

Selbst bei Mietrechtsstreitigkeiten, in denen bereits ein Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) vorliegt, lenkt die städtische Hausverwaltung nicht gern ein. Einem Mieter im Reumannhof fiel auf, dass die Garagenflächen in dem Gemeindebau bei der Aufteilung der Betriebskosten nicht eingerechnet wurden. Bereits 1997 hatte der Bau eine Garage erhalten, die auch von Dritten benutzt wurde. Spätestens 2005 hätte die Hausverwaltung handeln müssen: Der OGH entschied damals in einem ähnlichen Fall, dass die Garagenflächen zur Nutzfläche zu zählen sind. Wiener Wohnen war damals beklagte Partei und wusste Bescheid.

Von sich aus wurde die Hausverwaltung im Reumannhof trotzdem nicht tätig. Und als der besagte Mieter im Jahr 2008 die überhöhten Betriebskosten reklamiert, verweist ihn Wiener Wohnen zur Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten, der MA 50, die schließlich entscheidet: Der Mieter bekommt recht. Rund 200.000 Euro bekommen die Bewohner der Wohnhausanlage zurück; jenen Betrag, den sie in den drei Jahren zuvor zu viel bezahlt hatten. Alles davor war verjährt.

Fehler kleinreden

Als Medien Jahre später über den Fall berichten, sagt Wiener Wohnen, man habe allen betroffenen Mietern "aktiv" die zu viel berechneten Betriebskosten zurückbezahlt. Hier wird sichtbar, wie Wiener Wohnen Fehler kleinzureden versucht, für die letztlich die Mieter aufkommen müssen.

So wie beim aktuellen Skandal: Dass Ermittlungen laufen, will Ludwig als Erfolg der internen Revision von Wiener Wohnen verstanden wissen. Bei den 32 verdächtigen Mitarbeitern sahen bisher weder Wiener Wohnen noch der Stadtrat einen Grund zur Kündigung. Es gab nur Versetzungen und Suspendierungen. Die damals wie heute bekanntgewordenen Missstände zeigen, dass die Führung der Hausverwaltung "eine klare Null-Toleranz-Politik gegenüber jeder Form der Korruption fährt", schreibt die Sprecherin. Auch Stadtrat Ludwig sagt: "Wo immer strafrechtliche Tatbestände erfolgen, werde ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die betreffenden Personen mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden."

Die Frage nach der politischen Verantwortung bleibt trotzdem vorerst ungeklärt. Der Zeitpunkt ist für den Stadtrat jedenfalls denkbar ungünstig: Seit zehn Jahren führt Ludwig das mächtige und prestigeträchtige Wohnbauressort. Dass er Michael Häupl gerne als Bürgermeister nachfolgen würde, ist kein Geheimnis.

Schon für seinen Vorgänger Werner Faymann war das Amt des Wohnbaustadtrats ein Sprungbrett nach ganz oben. Wie Faymann eroberte auch Ludwig die Gunst einiger Boulevardmedien über Inserate und Wohnbeilagen und rückte sich dabei vorteilhaft ins Licht. Kaum eine Dachgleiche, kaum ein Spatenstich eines großen Wohnprojekts ohne lächelnden Ludwig. Welches Bild sein Ressort gerade abgibt, ist dem Stadtrat bisher entgangen.

Dieser Artikel ist am 25. Februar 2017 auch in der Tageszeitung Der Standard erschienen.