Titelbild: Foto: R. Newald / picturedesk.com | Artwork: T. Linecker
Die Kutsche sorgt immer wieder für Aufsehen. Gezogen von zwei kräftigen Rappen, deren Hufe im gleichmäßigen Takt klappern, rollt Heinrich Pecina über Kieswege, Forststraßen und Flüsterasphalt. Auf feudale Art begutachtet er seine Latifundien im Bezirk Bruck an der Leitha. »Früher ist er selbst ausgeritten, heute wird er kutschiert«, heißt es beim DOSSIER-Lokalaugenschein in Haslau-Maria Ellend. In der 2.000-Einwohner·innen-Gemeinde sind die Pecinas eine große Nummer – und zwar seit mehr als hundert Jahren.
Der 74-jährige Investmentbanker Heinrich Pecina ist der Enkel von Ludwig Pecina, dem Gutsverwalter des Thronfolgers von Österreich-Ungarn, Franz Ferdinand. Noch heute pilgern Monarchist·innen zum Ellender Hof der Familie Pecina, um einen Hauch Habsburg zu inhalieren.1
1 Die Rechtsvertretung von Heinrich Pecina legt Wert auf die Feststellung, dass weder der Ellender Hof noch die dortige Kapelle im Eigentum von Heinrich Pecina stehen.
Der öffentlichkeitsscheue Heinrich Pecina geriet immer wieder ins mediale Scheinwerferlicht: In den Panama Papers tauchte sein Name ebenso auf wie beim Skandal rund um die Kärntner Hypo Group Alpe-Adria. Und durch das legendäre Ibiza-Video wurde er als jener Mann berühmt, der Viktor Orbán bei der Einschränkung der Medienfreiheit in Ungarn unterstützte.

Steinreich in Niederösterreich
Heinrich Pecina blickt auf eine mustergültige Bankerkarriere zurück: In den Achtzigerjahren war er bei der Girozentrale und Bank der österreichischen Sparkassen (Giro) und wechselte später zur Creditanstalt (CA). Beide Geldhäuser existieren heute nicht mehr.
Die Giro ging schließlich in der Erste Group auf und die CA in der Unicredit Group. Beide galten als Kaderschmieden des heimischen Geldadels – und Pecina war der Star im Investmentbanking.
Doch als die »rote« Bank Austria die »schwarze« CA 1997 übernahm, war Pecina eines der ersten Opfer. Aus der Not heraus gründete er 1998 die Investmentboutique Vienna Capital Partners (VCP), die ihn über die Jahre steinreich machen sollte. Die profitablen Deals in Polen, Ungarn und anderen Ländern ermöglichten ihm Investments in seinem Heimatort – und seinen Grundbesitz in Niederösterreich auszubauen.
Im tiefschwarzen Haslau-Maria Ellend – 72,81 Prozent wählten bei der Gemeinderatswahl im Jänner 2025 die ÖVP – und in den angrenzenden Gemeinden wird er als strenger Gutsherr respektiert. Seine Collegia Forst und Jagd Bewirtschaftungs GmbH gilt als wichtiger Arbeit- und Pachtgeber in der Region. Für Collegia werden Ackerböden bestellt, Wald- und Wildbestand überwacht oder opulente Jagdgesellschaften organisiert.
Viele Bäuer·innen, Förster·innen und Jäger·inner sowie deren Familien sind von Collegia abhängig. »Der Pecina ist knallhart, aber fair«, sagt einer von ihnen. »Ich möchte ihn nicht zum Feind haben«, sagt ein anderer. Darum wollen die DOSSIER-Gesprächspartner·innen anonym bleiben – eine unachtsame Äußerung könnte seinen Unmut hervorrufen, befürchten sie.
Hundert Kilometer weiter östlich sorgt der Name Pecina mitunter für Angst und Schrecken. In Ungarn sehen ihn viele als apokalyptischen Reiter, der zum schleichenden Demokratieabbau im Land maßgeblich beigetragen hat. »Orbánisierer aus Österreich« nennen ihn Kritiker·innen mit Bezug auf seine zweifelhafte Rolle bei der Zerstörung der magyarischen Medienlandschaft.
Binnen weniger Jahre hat Pecina viele Zeitungen gekauft, um sie Schritt für Schritt an Oligarchen weiterzureichen, die dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán nahestehen.
Wie lief die Orbánisierung der Medien ab und was war Pecinas Rolle? Ab 2014 erwarb seine VCP über die Zwischenholding Mediaworks viele Regionalmedien und die regierungskritische Tageszeitung Népszabadság (deutsch: »Volksfreiheit«). »Das war nicht irgendeine Zeitung, sie war vergleichbar mit dem Standard in Österreich«, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Krisztina Rozgonyi.
Pecina übernahm das Blatt und avancierte zum größten Verleger Ungarns, was ihm viel Respekt und noch mehr Misstrauen entgegenbrachte. Bald machten Gerüchte die Runde, er sei ein Strohmann mit üblem Auftrag: Die von ihm kontrollierten Medien seien auf Regierungslinie zu bringen, bis zur Übernahme durch Orbán-Getreue zu verwalten oder zum richtigen Zeitpunkt zuzusperren.
Der medienpolitische Worst Case trat rasch ein: Im Oktober 2016 gab Mediaworks den Verkauf ihres Zeitungsportfolios an die Optimus-Gruppe bekannt. Optimus hat wiederum eine Verbindung zum Orbán-Freund und Oligarchen Lőrinc Mészáros. 2017 ging es im selben Tempo weiter: Im Sommer kaufte Pecina dem Vorarlberger Verleger Eugen Russ drei ungarische Regionalzeitungen ab.
»Im Nachhinein sieht man, dass Pecina Medien von ausländischen Investoren aufgekauft und an die Propagandamaschine Orbáns weitergereicht hat«, schreibt Márton Gergely 2019 im Falter. Gergely ist heute Chefredakteur der ungarischen Wochenzeitung HVG und war bis 2016 stellvertretender Chefredakteur von Népszabadság.
Am Ende habe Pecina »15 der 18 regionalen Blätter auf Regierungskurs« gebracht. Oder wie Heinz-Christian Strache (damals FPÖ) es im berühmt-berüchtigten Ibiza-Video ausdrückte: »Er hat dem Orbán alle ungarischen Medien der letzten 15 Jahre aufgekauft und für ihn aufbereitet.«

Orbán zu Besuch
In Maria Ellend ist die Freundschaft zwischen Pecina und Orbán kein Geheimnis. »Den kennen wir«, heißt es. Einprägsam war das Jahr 2018: »Wenn ein Konvoi von schwarzen Limousinen die Hofstraße entlangfährt, dann fällt das auf«, erinnert sich ein Maria Ellender. »Darüber haben alle geredet.«
Fakt ist: Im Jänner 2018 war Orbán auf Staatsbesuch in Österreich. Neben dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Strache soll Ungarns Premier laut Medienberichten damals auch Heinrich Pecina getroffen haben.2
2 Die Rechtsvertretung von Heinrich Pecina legt Wert auf die Feststellung, dass Viktor Orbán Heinrich Pecina im Jahr 2018 nicht besucht habe. Wir haben deshalb die Formulierung »besuchte« auf »soll laut Medienberichten getroffen haben« korrigiert.
Nach Orbáns Österreich-Visite gingen die drei Ex-Russ-Zeitungen von Pecina an Lőrinc Mészáros. Und noch etwas Bemerkenswertes ereignete sich: Im März 2018 wurde bekannt, dass im November 2017 bei Pecina eingebrochen worden war. Noch heute ranken sich Gerüchte um den Einbruch und die zeitliche Nähe zu Orbáns Besuch: Denn damals wurden auch Tresore geknackt, in denen unter anderem vertrauliche Verträge betreffend Ungarn gebunkert gewesen sein sollen, wird spekuliert. Das sei unwahr, sagt der Anwalt von Heinrich Pecina: In den aufgebrochenen Tresoren seien keinerlei Verträge betreffend Ungarn gelagert gewesen.3
3 Diese Stellungnahme wurde auf Wunsch von Heinrich Pecinas Rechtsvertretung nach Veröffentlichung des Artikels ergänzt.
»Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen«, sagt Gudrun Bischof, Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft Korneuburg, zu DOSSIER. 2024 gab es neue Entwicklungen, darunter eine DNA-Spur nach Griechenland. Bischof: »Es gibt ein Rechtshilfeersuchen an die griechischen Behörden, das wir abwarten.« Was geblieben ist: Das Anwesen in Maria Ellend wird seit dem Einbruch großflächig videoüberwacht.
War Pecina ein Handlanger von Orbán und ein Wegbereiter für dessen »illiberale Demokratie«? »Heinrich Pecina ist nicht von Ideologie getrieben«, sagt Ex-ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Er sei ein »Christlich-Konservativer und überzeugter Marktliberaler«. Michael Ikrath, ehemaliger Nationalratsabgeordneter (ÖVP) und Mitinitiator des Antikorruptionsvolksbegehrens, sagt: »Pecina hatte schon immer den Habitus eines britischen Lords.« Ikrath und Pecina arbeiteten zur selben Zeit in der Giro. Laut Ikrath war Pecina eines immer wichtig: »Geldverdienen«.

Auch Wrabetz kennt Pecina seit 40 Jahren. Von 1984 bis 1987 arbeitete die damalige SPÖ-Nachwuchshoffnung in der Girozentrale im Team Pecina. »Wir haben Handelsfinanzierungen mit exotischen Ländern gemacht.« Sein Chef suchte Deals hinter dem Eisernen Vorhang. Wrabetz: »Wir haben mit Staaten und Währungen gehandelt, die es heute nicht mehr gibt.«
Damals wurden Ungarn-Kontakte geknüpft, von denen früher die Girozentrale profitierte – und ab 1998 Pecinas eigene Firma VCP. Auch der ORF griff auf VCP zurück. Wrabetz: »Das Mandat betraf die Neustrukturierung der Lotterienanteile des ORF. Es war kein Riesenauftrag, aber ein wichtiges Financial-Engineering-Projekt.«
Ein Blick ins Archiv bestätigt die Umtriebigkeit der Vienna Capital Partners: Auffällig sind der Ungarn-Schwerpunkt und die Achse Richtung China. 2001 stieg VCP beim ungarischen Chemieriesen Borsodchem ein. Gemeinsam mit Partnern wurden die Anteile 2010 an die chinesische Wanhua Industrial Group verkauft. 2008 stieg VCP mit einem Minderheitsanteil bei der ungarischen Hypothekenbank FHB ein und stieg 2016 als größter Einzelaktionär aus.
Im selben Jahr tauchte Pecinas Name in den Panama Papers auf. Demnach soll er rund um eine gescheiterte Übernahme des ungarischen Ölriesen MOL durch die OMV AG im Sommer 2007 viel Geld verdient haben. »Die OMV wollte die MOL übernehmen, die Ungarn wehrten sich mit Händen und Füßen gegen die geplante Übernahme«, berichtete der ORF. »Pecina witterte offenbar eine Chance, Geld zu verdienen, beteiligte sich an den Geschäften und landete einen Coup.« Durch den rechtzeitigen Kauf und Verkauf von MOL-Aktien soll er ein Vermögen verdient haben. Den Verdacht des Insiderhandels wies er gegenüber dem Falter 2016 zurück.

Für medialen Wirbel sorgten nicht nur Deals wie jene mit Borsodchem oder MOL, sondern auch ein illustrer Geschäftspartner Pecinas: 2011 deckten Investigativjournalist·innen auf, dass der damalige EU-Parlamentarier und frühere Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) bereit war, sich für die Beeinflussung von EU-Gesetzen schmieren zu lassen. Plötzlich standen Strassers Beratungsmandate auf dem Prüfstand, darunter seine Tätigkeit für VCP. Strasser bescherte Pecina 2012 eine Ladung vor den parlamentarischen Korruptionsuntersuchungsausschuss.
Unangenehmer als die Ladung ins Parlament war vier Jahre später ein Gerichtstermin in Klagenfurt. 2016 ging es um einen Nebenschauplatz bei der Aufarbeitung des Kriminalfalls rund um die Kärntner Landesbank Hypo Group Alpe-Adria. Zur Erinnerung: Im Jahr 2007 verkaufte das Land Kärnten seine Hypo-Anteile an die Bayerische Landesbank. Weil der Deal politisch umstritten war, benötigte das Land eine sogenannte Fairness-Opinion, also ein Gutachten, das den Kaufpreis als angemessen qualifizierte.
Wie sich im Zuge der Hypo-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt herausstellte, wurden die 3,8 Millionen Euro fürs Fairness-Gutachten nicht vom Land Kärnten bezahlt, sondern von der Hypo – und zwar verdeckt über Scheinrechnungen. Die Staatsanwaltschaft klagte die Involvierten wegen Untreue an – und Berater Pecina wurde wegen seiner Involvierung rund um die Scheinrechnungen angeklagt. Vor Gericht legte er ein reumütiges Geständnis ab und zahlte der Hypo mehrere Millionen Euro zurück.
Die hohe Schadenswiedergutmachung, die das Gericht als »sehr selten« hervorhob, wirkte strafmildernd. 2021 wurde der Schuldspruch gegen Pecina vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Und 2022 wurden eine bedingte Haftstrafe von zwölf Monaten und eine Geldstrafe von 36.000 Euro vom Oberlandesgericht Graz rechtskräftig festgelegt.

Verflixte Fairness-Opinion
Für Pecina war das ein guter Deal. Er musste im Gegensatz zu den anderen Angeklagten keinen Tag ins Gefängnis. Trotzdem scheint ihn die Causa Hypo bis heute zu wurmen. Laut DOSSIER-Recherchen will er sich die Schadenswiedergutmachung von seinen früheren Anwälten zurückholen. Wegen behaupteter Beratungsfehler rund um das Thema Fairness-Opinion verklagte VCP die Kanzlei DLA Piper vor dem Handelsgericht (HG) Wien. Barbara Rath-Ruggenthaler, Mediensprecherin des HG Wien, bestätigt gegenüber DOSSIER: »Die Verhandlung wurde am 24. April 2025 geschlossen. Die Entscheidung ergeht schriftlich.«
Reden will Pecina über all das nicht: Zu seiner Rolle als Orbánisierer, dem Engagement von Ernst Strasser oder dem Hypo-Strafprozess sei schon alles gesagt worden, stellt er gegenüber DOSSIER fest. Laufende Verfahren wie jenes vor dem Handelsgericht kommentiere er nicht. Ob er zumindest über sein Faible für Pferde, die Jagd, seine Ländereien oder den Raub reden wolle? Heinrich Pecina kontert mit einer Gegenfrage: »Glauben Sie wirklich, dass ich das in der Zeitung lesen möchte? Ich glaube nicht.«

