Es ist kurz vor neun Uhr morgens. Das Telefon läutet. Meine Mutter ist am Apparat. »Wo bist du? Bist du in New York?« Sie ist außer sich, ich verschlafen. Natürlich bin ich nicht in New York, sondern in Florida, an der Universität, die sie bezahlt.
Ich studiere dort Luftfahrt und lerne fliegen. »Schalte den Fernseher ein! Ein Flugzeug ist ins World Trade Center geflogen.« Ich bin wach, sehe den brennenden Turm, sehe das zweite Flugzeug in den anderen einschlagen. Live. Unfassbar.
Dass ein Flugzeug den Nordturm des World Trade Center in New York trifft, ist ungewöhnlich. Aber zwei innerhalb von sechzehneinhalb Minuten, in beide Türme? Das konnte kein Zufall gewesen sein. Es war keiner. Plötzlich war vieles anders.
Die USA zogen in den Krieg. In vielen US-amerikanischen Leitmedien beherrschte Terror die Schlagzeilen. 9/11 wirkte. Das Fliegen verlor seine Faszination. Ich orientierte mich beruflich neu – und landete beim Journalismus. Fast 20 Jahre später: wieder ein Anschlag.
Der Abend des 2. November 2020 hat viele bewegt, auch uns in der DOSSIER-Redaktion. Wir entschieden, die Tat zu untersuchen. Daraus ist ein Magazin mit dem Titel »Politisch motivierte Gewalt« geworden. Terror ist genau das: Gewalt, hinter der sich eine Ideologie, eine Religion oder ein anderer Vorwand verbirgt, um Macht zu erlangen oder sie zu erhalten.
Terror ist kriminell. Und wie jedes Verbrechen wird er sich nie ganz verhindern lassen – aber besser verstehen kann man ihn. Indem man Fehler benennt und jenen zuhört, die am unmittelbarsten betroffen sind. Das hat DOSSIER-Redakteurin Sahel Zarinfard getan.
Seit mehr als sechs Monaten spricht sie mit Hinterbliebenen des Wien-Attentats. Sie trug tausende Seiten an Ermittlungsakten zusammen, interviewte Expertinnen und füllte so fast ein Drittel dieses Magazins. In Kooperation mit dem Radiosender Ö1 produzierte sie außerdem noch eine dreiteilige Podcastserie.
Neun Minuten – die Zeitspanne von der ersten Schussabgabe des Täters bis zu den tödlichen Schüssen durch die Polizei. Sahels Recherchen machen deutlich: Neun Minuten sind eine kurze Zeitspanne – aber hätte es noch schneller gehen müssen? Lesen Sie selbst.
Fortan werden Sie mehr von DOSSIER hören. Wir setzen verstärkt auf Podcasts und haben ausgewählte Storys der Printausgabe transmedial erarbeitet. QR-Codes führen im Magazin und Online zu Audioelementen, die Sie tiefer in Geschichten eintauchen lassen.
Auch unsere Quellen legen wir wie gewohnt mit unserem Transparenztool Sources offen. Natürlich haben wir wieder tolle Menschen um Hilfe gebeten.
Den Historiker Thomas Riegler etwa, der für uns die Geschichte des Terrors auf österreichischem Boden ab den 1960er-Jahren zusammenfasste. Oder Michael Bonvalot, der seit Jahren zu Rechtsextremismus recherchiert und dabei schon mit Morddrohungen konfrontiert war.
Spätestens da merkt man, dass politisch motivierte Gewalt – egal aus welcher Richtung sie kommt und welches Motiv dahinterstecken mag – auch eine persönliche Komponente hat.