Fakt vs. Fiktion

In „Supernaked“ lassen wir einen realen und bis heute ungeklärten Kriminalfall in einer Comicwelt spielen. So sind wir dabei mit Fakten und Fiktion umgegangen.

Supernaked12.12.2017 

15 Beschuldigte, 700 Einvernahmen, 206 Aktenbände: Die Buwog-Affäre ist eine der spektakulärsten Korruptionsaffären der Zweiten Republik. Sie ist auch eine der umfangreichsten. 156 Terabyte Daten haben die Ermittler zu dem Fall gesammelt – sechzig Mal mehr Daten als beim bisher größten von Journalisten ausgewertetem Datenleck, den Panama Papers.

Für den Kurzfilm „Supernaked“ haben DOSSIER und Falter die Ereignisse aus 17 Jahren, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft und die Verteidigung der Beschuldigten in einem knapp zwölfminütigen Kurzfilm komprimiert. Dabei haben wir Geschehnisse gewichtet, Handlungsstränge verdichtet und andere weggelassen. Hier lesen Sie, wie wir vorgegangen sind und wo „Supernaked“ von den harten Fakten abweicht.

Die Sicht des Staatsanwalts

In „Supernaked“ nimmt der Staatsanwalt die Rolle des Erzählers ein. Er berichtet von seinen Ermittlungen in der Causa Buwog. Die Figur und das Aussehen des Staatsanwalts sind fiktiv: Tatsächlich ermittelten mehrere Staatsanwälte in dem Fall. Die Aussagen des fiktiven Staatsanwalts im Film sind von Ermittlungsunterlagen abgeleitet, es handelt sich jedoch um keine tatsächlichen Zitate der wirklichen Staatsanwälte.

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Die Thesen der Staatsanwaltschaft sind der rote Faden von „Supernaked“. So haben sich die Ereignisse aus Sicht der Ermittler zugetragen. Die Thesen müssen sich in der Verhandlung erst als wahr oder falsch erweisen. Nur wenn das Schöffengericht die Anklage „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ für wahr hält, darf es die Beschuldigten verurteilen. Einstweilen gilt die Unschuldsvermutung.

In „Supernaked“ haben wir uns deshalb weitgehend darauf beschränkt, mit Dokumenten beweisbare Ereignisse abzubilden. Doch wie geht man mit Handlungssträngen um, bei denen die Versionen von Anklage und Verteidigung auseinandergehen, die aber essenziell für die Handlung sind?

Wer sagt die Wahrheit?

Genau diese Frage stellte sich etwa bei jener Szene, in der Karl-Heinz Grassers Kabinettsmitarbeiter Michael Ramprecht und der Immobilienberater Ernst Karl Plech im Finanzministerium aufeinandertreffen. Die Szene beruht auf Aussagen, die Ramprecht gegenüber Ermittlern und dem Nachrichtenmagazin profil gemacht hat. Plech habe demnach Druck ausgeübt: Er habe gewollt, dass Ramprecht die Entscheidung der Vergabekommission, welche Bank die Buwog-Auktion durchführen soll, beeinflusse. „Der Minister will Lehman“, soll Plech gesagt haben. Er habe zudem später eine Belohnung in Aussicht gestellt und gedroht.

Ramprecht gibt an, der Anweisung gefolgt zu sein. Indirekt gestützt wird seine Aussage durch eine schriftliche Beschwerde, die damals an das Büro des Finanzministers ging: Darin kritisiert ein weiteres Kommissionsmitglied, dass Ramprecht in den Sitzungen „eine umfassende Entscheidungsbefugnis für sich reklamiert“ und behaupte, der Finanzminister habe ihm die „Federführung“ verliehen. 

Plech und Grasser hingegen bestreiten die Einflussnahme im Allgemeinen und den Vorfall im Speziellen. Was sich tatsächlich zugetragen hat, lässt sich mit heutigem Wissensstand nicht mit Sicherheit sagen. Im Film wird darauf hingewiesen. 

Fakt ist: Lehman Brothers bekam den Zuschlag. Aus Sicht der Ermittler war dies ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung des Tatplans der Beschuldigten.

Das verratene Konkurrenzangebot

Im Zentrum der Buwog-Causa steht der Verkauf der 60.000 Bundeswohnungen: Die Staatsanwaltschaft vertritt die These, dass die Wohnungen dem Österreich-Konsortium, bestehend unter anderem aus Raiffeisen Landesbank Oberösterreich und Immofinanz, zugeschanzt wurden. Der Bieter, der schlussendlich zum Zug kam, habe im Vorfeld von dem geheimen Gebot des Konkurrenten erfahren – Wissen, das laut Anklage nur der Finanzminister selbst haben konnte.

Die Anklage will beweisen, dass Grasser die Information an Walter Meischberger, Peter Hochegger und Ernst Karl Plech weitergegeben hat. In „Supernaked“ zeigen wir ein Treffen zwischen diesen drei Männern im Hotel Intercontinental, wo Hochegger sein Büro hatte. 

Die Szene beruht unter anderem auf einer Aussage von Hochegger selbst – ebenso die im Film dargestellte Diskussion über den Anteil Hocheggers an der Buwog-Provision. Der genaue Wortlaut der Unterhaltung ist nicht verbrieft, die Dialoge sind fiktiv.

Dass die Information über das Angebot des Konkurrenten an das Österreich-Konsortium verraten wurde, ergibt sich aus Aussagen, unter anderem aus jener Peter Hocheggers. Die Beteiligten bestreiten, dass die Information von Grasser gekommen sei.

Jubel auf der Autofahrt

2004 bekommt das Österreich-Konsortium den Zuschlag: Mit 961 Millionen Euro lag der Gewinner nur rund eine Million Euro über dem zweithöchsten Gebot. In „Supernaked“ erfährt Walter Meischberger das knappe Ergebnis im Auto aus den Nachrichten. Die damalige Meldung des Radiosenders Ö1 ist wortgetreu wiedergegeben, bis auf eine zentrale Information: Wie knapp der Vorsprung des siegreichen Bieters war, wurde erst im Jahr 2009 öffentlich bekannt. Der Umstand, dass Meischberger von dem Ergebnis im Auto erfuhr, wurde der Redaktion aus glaubwürdiger Quelle versichert.

Karl-Heinz Grassers Aufstieg

Die Darstellung des medialen Aufstiegs von Karl-Heinz Grasser beruht auf authentischen Medienberichten und öffentlichen Auftritten. In „Supernaked“ zeigen wir eine Rede, in der Grasser über Leistung, Unternehmertum und seine Vergangenheit in einem „kleinen Mittelbetrieb“ (Das Autohaus seiner Eltern, Anm.) spricht: Es handelt sich um wörtliche Zitate aus einer Rede Grassers im Jahr 2006, die der Falter mitgeschnitten hat.

Die Bilder, die Grasser bei seiner Hochzeit mit Fiona Swarovski im Jahr 2005 in Weißenkirchen in der Wachau (Niederösterreich) zeigen, sind den Originalen nachempfunden. Die Bilder stammen aus der Berichterstattung über das medial inszenierte Ereignis, bei dem zahlreiche Prominente aus Politik und Wirtschaft zu Gast waren.

Laut Berichten soll auch Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz gratuliert haben, indem er von einem Flugzeug aus 12.000 Rosenblätter abwerfen ließ. Ebenso den Originalen nachempfunden sind die Cover und Berichte von Vanity Fair, News und Kronen Zeitung, die Grasser zeigen.

Party über den Dächern der Stadt

Die Partyszene auf der Dachterrasse entspringt zur Gänze der Fantasie unserer Autoren und unseres Zeichners: Lage und Gestaltung der Dachgeschoßwohnung Karl-Heinz Grassers sind zwar der Realität nachempfunden, ob dort derartige Feste veranstaltet wurden, ist nicht bekannt. Die Szene soll die Naheverhältnisse zwischen den Personen zeigen: Walter Meischberger war Karl-Heinz Grassers Trauzeuge, Ernst Karl Plech gilt als väterlicher Freund, Peter Hochegger war ebenfalls Grassers Freund und Geschäftspartner.

Die Finanzkrise 2008

Wie in „Supernaked“ dargestellt, markiert die Finanzkrise 2008 eine Wende in der Buwog-Causa. Nachdem Hinweise auf die Provisionszahlungen bei der Constantia Privatbank gefunden worden sind, erstatten Walter Meischberger und Peter Hochegger 2009 Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung. Dass Karl-Heinz Grasser und Fiona Swarovski die Berichte darüber im Fernsehen sehen, ist jedoch Fiktion. Es ist nicht bekannt, wie Grasser von den Vorgängen erfuhr, allerdings nimmt er bald darauf an Gesprächen und Handlungen teil, die die Staatsanwaltschaft später als Verschleierungshandlungen bezeichnet.

Die Spur des Geldes

Durch Aussagen von Walter Meischberger und Peter Hochegger in Folge ihrer Selbstanzeige sowie durch Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft lassen sich die Geldflüsse der Buwog-Provisionen aus Wien über Zypern und Delaware nach Liechtenstein detailliert nachvollziehen – die Darstellung im Film entspricht der Realität.

Die Abhörprotokolle

Die Darstellung der Ermittlungen der Behörden, insbesondere der Abhörmaßnahmen, beruht auf den Protokollen der Ermittler: Die Zitate wurden unverändert aus den polizeilichen Mitschriften übernommen. Der Satz „Da bin ich jetzt supernackt“ stammt von Walter Meischberger, gefallen ist er im Gespräch mit Karl-Heinz Grasser. Es ging dabei um Zahlungen, die Meischberger von dem Bauunternehmen Porr bekommen hatte. Porr ist unter anderem in die Causa Terminal Tower Linz verstrickt, die ebenfalls Teil der Anklage ist. Der Satz steht heute neben dem Ausspruch „Wo war meine Leistung?“ für ein System von Scheinrechnungen und ungerechtfertigten Provisionszahlungen. Deshalb wählten wir „Supernaked“ als Titel des Films.

Der Showdown 

Der Dialog zwischen dem Staatsanwalt und Karl-Heinz Grasser am Ende des Films ist fiktiv. Die Argumentation der Figur des Karl-Heinz Grasser entspricht jedoch der Realität: Seit Beginn der Ermittlungen verweist Grasser darauf, dass es keine handfesten Beweise gebe und er sich nichts zuschulden kommen lassen habe. Die Szene soll Grassers Standpunkt zu den Vorwürfen wiedergeben.