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DOSSIER: Herr Schalle, haben Sie sich schon vom Schock erholt?
Veit Schalle: Welcher Schock?
Spar ist seit diesem Jahr erstmals Marktführer im Lebensmitteleinzelhandel und hat die Rewe-Gruppe mit Billa, Merkur und Penny vom Stockerl gestoßen.
Ja, das habe ich gehört und gelesen.
Im Jahr 1965 heuerten Sie im Alter von 23 Jahren bei Karl Wlaschek an. Ab 1979 führten sie Wlascheks BML-Holding mit Billa, Bipa, Merkur und Mondo. Und nach Wlascheks Ausstieg 1996 bis zu Ihrer Pension 2005 haben Sie eisern den Spitzenplatz verteidigt. Jetzt ist alles futsch. Als Billa-Urgestein muss Sie das doch tief schmerzen?
Es ist eine Schande. Doch das hat sich leider abgezeichnet.
Wieso?
Die Marktführerschaft bei Bioprodukten hat Rewe ja schon vor längerer Zeit an Spar verloren. Die Übernahme durch Rewe hat Billa viele Vorteile gebracht, etwa beim Einkauf, aber wie der österreichische Markt funktioniert, haben die Deutschen nie wirklich kapiert. Der Herr Drexel (Spar-Chef Gerhard Drexel, Anm.) war sicher selbst überrascht, dass er am Ende seiner Karriere noch Marktführer wird. Meine Nachfolger haben es ihm leider zu leicht gemacht.
Was ist bei Rewe schiefgelaufen?
Der Herr Haraszti (Rewe-Austria-Chef, Anm.) hat nur Jasager unter sich, die alles schönreden und ihn dann auflaufen lassen. Falsche Schwerpunkte werden gesetzt und die falschen Sachen kommuniziert.
Was konkret?
Die interne Reorganisation muss nicht öffentlich gemacht werden. Es interessiert doch niemanden, dass Einheiten zusammengelegt werden. Oder wie kommt man auf die verrückte Idee, anzukündigen, dass weniger Aktionsangebote geplant sind? Wenn Haraszti nichts gesagt hätte, wäre es keinem Kunden aufgefallen. So war das wie Werbung für die Konkurrenz: Geht zu Spar, dort gibt’s Sonderangebote, die sind billiger. Oder in der Corona-Krise: Rewe verlangt Geld für Mund-Nasen-Schutzmasken. Das war auch dumm. Bei Spar gab’s Masken gratis, wie überall zu lesen war. Na klar, das Image und der Umsatz sinken.
Also viele kleine Fehler, die sich in den letzten Jahren angehäuft haben?
Ja. Aber es lief schon früh viel falsch. Österreich war im Vergleich zu Deutschland schon immer ein Hochpreisland. Das haben die Deutschen falsch interpretiert. Die dachten, sie sind im Schlaraffenland, und haben geglaubt, dass sie nix hackeln müssen, sondern nur Gewinne abschöpfen. Bei mir gab’s keinen Deutschen in einer wichtigen Position. Das habe ich nicht zugelassen. Es waren Leute am Werk, die den österreichischen Markt verstanden haben. Alle haben zugepackt. Nach meinem Ausscheiden 2005 hat sich das leider geändert.
Ihr unmittelbarer Nachfolger war der Vorarlberger Industriemanager Martin Lenz, ein Schulkollege von Spar-Chef Gerhard Drexel. Nach 18 Monaten wurde Lenz vom deutschen Rewe-Mann Frank Hensel ersetzt.
Es ist ein Unterschied, ob du Topmanager in einem etablierten Konzern bist oder in einem Wachstumsunternehmen, das vom Eigentümer geführt wird, so wie es Billa zu Wlascheks Zeiten war. Ich rate jungen Leuten, in einer Wachstumsfirma anzufangen. Dort lernst du am meisten, und wenn du gut bist, machst du auch eine steile Karriere.
In Österreich sitzen heute nur noch Befehlsempfänger?
Zumindest denken die wenigsten unternehmerisch. Bei Spar sind Eigentümer am Werk, die für die eigene Sache kämpfen. Das sind halt Kaufleute, denen ein Teil des Unternehmens gehört. Da strengt man sich mehr an. Der Rewe-Vorstand hat nur Manager unter sich, die im Konzern Karriere machen wollen. Die brennen nicht fürs Handelsgeschäft. Die Bedürfnisse der Kunden sind egal, denn sie bekommen so oder so ihr Gehalt.
Das klingt so, als ob Sie im hohen Alter zum Spar-Fan geworden wären.
Überhaupt nicht. Es gibt strukturelle Unterschiede. Darauf wollte ich hinweisen. Die einen tragen Verantwortung und überlegen sich, wen sie an welchen Posten setzen. Andere machen sich weniger Gedanken und sind dann überrascht, wenn etwas nicht hinhaut.
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