Text: Florian Skrabal
Mitarbeit: Sahel Zarinfard
Visualisierung: Fabian Lang, Jakob Listabarth
»Profis wetten nicht auf Mannschaften, sondern auf Quoten«, sagt Joachim Marnitz. Er muss es wissen. Seit mehr als zehn Jahren sind Sportwetten sein Brotberuf. Um die zehn Millionen Euro Umsatz mache er im Jahr. Drei Prozent Gewinn, also 300.000 Euro, abzüglich Steuern bleiben ihm, sagt er im Gespräch mit DOSSIER. Details darüber, wie er wettet, will Marnitz nicht verraten. Geschäftsgeheimnis.
Im Kern funktioniert sein Geschäftsmodell aber so: »Ich erstelle eine Schätzung, wie die Quoten für ein gegebenes Spiel und für eine abgegebene Wette aussehen sollten. Dann gleiche ich das mit der Einschätzung des gesamten Marktes ab, die ich an den Wettquoten der Buchmacher sehe.« Je näher der Start eines Spiels rücke, desto genauer stehe der endgültige Preis fest.
»Das Resultat aus dem, was die unterschiedlichen Markteinschätzungen hergeben, hat Geldgewicht«, so Marnitz. Geld verdiene man, wenn die eigene Einschätzung besser sei als die der Buchmacher·innen, »aber nicht bei einem Spiel, sondern bei vielen tausend Spielen«. 1.000, 2.000 oder gar 3.000 platzierte Wetten seien nötig, um zu sehen, ob das eigene Modell etwas taugt oder nicht. Das erfordert Zeit und Know-how.
Letzteres hat Marnitz seinem Soziologiestudium beziehungsweise der empirischen Sozialforschung zu verdanken: »Da habe ich den Zusammenhang zwischen Statistik und Sportwetten gesehen und dass man damit etwas machen kann«, sagt er. Bevor sich Marnitz selbstständig macht, arbeitet er eine Zeitlang für ein sogenanntes Wettsyndikat. Das hat nichts mit der Mafia zu tun, sondern ist ein Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsam professionell Wetten abgeben – mitunter sehr erfolgreich.
»Ich habe nicht die Berechnung der Wetten für das Syndikat gemacht, sondern die Wetten platziert. Das heißt, die Wette wurde anvisiert, und mein Job war es, möglichst viel Geld zu den passenden Quoten unterzubringen.« Pro Wette ging es da nicht um ein paar Hundert, sondern mitunter um ein paar Hunderttausend Euro.
Klingt riskant und kompliziert – ist es für die meisten Menschen auch, wenn sie nicht wie Joachim Marnitz auf Vorhersagemodelle bauen und die richtige Wette zum richtigen Zeitpunkt und beim richtigen Wettanbieter platzieren.
Erst mit dem Sammeln von riesigen Mengen an Einzeltipps, penibler Dokumentation und genauen Berechnungen drehen Wettprofis Glück zu Geschick und treten auf Augenhöhe gegen Wettanbieter an. Das sehen diese aber nicht so gern – und sperren professionelle Spieler·innen, wie das Forschungsprojekt »Beating the bookies with their own numbers« (Die Buchmacher·innen mit ihren eigenen Zahlen schlagen) der Universität Tokio im Jahr 2017 deutlich machte.
»Unsere Strategie brachte nachhaltige Gewinne bei simulierten Wetten mit historischen Daten und bei Wetten mit echtem Geld ein«, schreiben die Autoren. Ihre Ergebnisse legten nahe, dass der Wettmarkt im Fußball zum einen ineffizient sei, zum anderen aber auch, dass Buchmacher·innen diese Schwächen ausgleichen würden: »Einige Wochen nachdem wir begonnen hatten, mit echtem Geld zu handeln, begannen einige Buchmacher·innen, unsere Konten stark einzuschränken, was uns zwang, unsere Wettstrategie einzustellen.«
»Wenn der Kunde zu viel Geld verdient, dann wird er eben limitiert oder rausgeworfen«, sagt auch Joachim Marnitz. Das sei insbesondere bei Wettunternehmen in Europa der Fall. Deshalb wettet er bei asiatischen Anbietern und bei Pinnacle, nach Unternehmensangaben der weltweit »führende internationale Sportwettenanbieter«.
Profis zu sperren könnte man eine Art Risikomanagement nennen. Ist es Wettanbietern sogar am liebsten, wenn nur Spieler·innen wetten, die von mathematischen Formeln und Statistiken wenig oder keine Ahnung haben, dennoch aber zu wissen glauben, wie ein Spiel ausgeht?
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