Prolog

Völlig losgelöst

Red Bull gibt Milliarden aus, um die eigene Welt in blau-silbernem Glanz erstrahlen zu lassen. Zeit für eine kritische Betrachtung. Aber darf man das überhaupt?

Text: Georg Eckelsberger; Illustration: Titas Antanas Vilkaitis

Red Bull12.2.2021 

Sie ist bekannter als der Donauwalzer, verkauft sich besser als die Sachertorte und kommt mehr in der Welt herum als die Wiener Sängerknaben. Sie ist wertvoller als Swarovski, wagemutiger als Ski­legende Hermann Maier und überragt den Großglockner. Und das, obwohl sie selbst nur 135 Millimeter hoch ist. Wir schreiben das Jahr 1984: Im Radio läuft Fürstenfeld von S.T.S., im Kino Terminator. Nach 13 Jahren Amtszeit von Bundeskanzler Bruno Kreisky regiert in Österreich Fred Sinowatz (beide SPÖ) mit der FPÖ. In der Hainburger Au demonstrieren damals tausende Umweltschützer, verhindern erfolgreich den Bau eines Donaukraftwerks. Im selben Jahr kündigt ein 41-jähriger Steirer seinen Job und schreibt die ersten Zeilen der größten unternehmerischen Erfolgsgeschichte, die Österreich bisher gesehen hat.

Ein Jahr später gründet Dietrich Mateschitz seine eigene Firma, die Red Bull Trading GmbH. 1987 bringt er seinen Energydrink in Österreich auf den Markt und erobert damit bald die Welt. Heute ist Red Bull Österreichs wertvollste Marke und das erfolgreichste Exportprodukt. Wenn es nach Bekanntheit und Image ginge, müsste der Adler als Österreichs Wappentier durch die zwei roten Bullen vor der gelben Sonne ersetzt werden. Die blau-silberne Dose und ihr Schöpfer  sind zu Ikonen geworden. Sie stehen für Wagemut, für Inspiration, für Erfolg. »DM«, wie er intern genannt wird, ist mit einem vom Magazin Forbes geschätzten Vermögen von 23 Milliarden Euro der reichste Mensch Österreichs und weltweit zurzeit auf Platz 57. Was ihn von manch anderen Vermögenden unterscheidet: Sein Reichtum löst kaum Misstrauen oder gar Missgunst aus. Der lässige Selfmademilliardär gilt trotz eigener Flugzeugflotte und Privatinsel als bescheiden und wird bewundert.

Als wir uns entschieden, Red Bull ein Heft zu widmen, setzte rasch Gegenwind ein: »Warum Red Bull?« »Was gibt es da zu kritisieren?« »Wir alle können froh sein, einen wie Mateschitz zu haben!« Dazu wurden passende Argumente geliefert: »Red Bull ist ein harm­loses Produkt!« »Mateschitz hat sich alles selbst aufgebaut.« »Red Bull bezahlt seine Steuern in Österreich!« Also, warum gerade Red Bull? Zum einen: weil die Welt von Red Bull faszinierend ist. Sie ist riesig, reicht um den Globus – und seit die Firma 2012 den Extremsportler Felix Baumgartner in die Stratosphäre aufsteigen ließ, auch darüber hinaus. In dieser Welt ist nichts unmöglich. Sie ist bevölkert von Teufelskerle­n, die den Tod nicht fürchten. Es ist eine Welt, in der Geld keine Rolle spielt. Gleichzeitig geht es um nichts anderes.

DOSSIER und die Dose

Wir kennen diese Faszination aus der Nähe, weil wir mit dieser Welt bereits in Berührung gekommen sind – genauer gesagt mit Servus TV, dem Fernsehsender des Konzerns. 2013 drehten wir gemeinsam eine Dokumentation über die Unterbringung von Asylsuchenden in Österreich. Wir lernten tolle Menschen kennen, die etwas bewegen wollten, bekamen eine Idee von den Möglichkeiten, die ein schier unerschöpfliches Budget und ein riesiges Netzwerk bieten. Dann kam auch noch der Erfolg: Gemeinsam wurden wir mit einer der angesehensten Journalismus-Auszeichnungen des Landes gewürdigt, dem Robert-Hochner-Preis. In der Folge führten wir für Red Bull Workshops durch, etwa zum Thema Storytelling. Kurzum, auch wir verdienten dank der Dose Geld.

Diese Welt gefiel uns – so sehr, dass wir im Jahr 2016 einen Schritt weiter gingen: Auf der Suche nach möglichen Mäzenen, die unserem jungen Medium Starthilfe geben könnten, schrieben wir einen Brief an Dietrich Mateschitz. Hätte der Red-Bull-Gründer, der im Medienbereich große Ambitionen zeigte, Interesse daran, DOSSIER Flügel zu verleihen? Die Antwort kam schneller als erwartet. Herr Mateschitz schätze unsere Arbeit, ließ uns seine Assistentin per E-Mail wissen. Er wolle jedoch die Unabhängigkeit von DOSSIER nicht gefährden und werde uns deshalb nicht unterstützen. Aus heutiger Sicht war das wohl besser so – für beide Seiten. Denn die Prinzipien von DOSSIER hätten nicht in die Welt von Red Bull gepasst. 

Wir versprechen unserem Publikum Journalismus ohne blinde Flecken. Wir wollen mit tiefgehender Recherche helfen, die Welt besser zu verstehen. Das bedeutet auch, sich mit ihren Schattenseiten zu beschäftigen. Nur – diese gibt es in der Welt von Red Bull nicht, oder besser: Es darf sie nicht geben. Red Bull verkauft nur vordergründig Getränkedosen, tatsächlich verkauft das Unternehmen Geschichten – zuallererst die eigene: »Die Vermarktung der Marke Red Bull« ist laut Gesellschaftsvertrag der Unternehmenszweck der Firma. Auf diesem Gebiet leistet Red Bull ganze Arbeit: 1,8 Milliarden Euro gab man 2019 für Marketing aus, Geld, mit dem »die Dose aufgeladen« wird, wie es in der Firma heißt. So hat es Mateschitz geschafft, einen koffein- und zuckerhaltigen Softdrink in ein Lebensgefühl zu verwandeln. Gleichzeitig wurden aus Konzern wie Chef lupenreine Erfolgsgeschichten. Wer daran rüttelt, sollte sich besser Flügel wachsen lassen.

Die Hörner des Bullen

Was bis heute über Red Bull bekannt ist, sind vor allem jene Geschichten, die der Konzern selbst verbreitet. Auf zwei erwähnenswerte Bücher (Die Red-Bull-Story, Wolfgang Fürweger, 2008; No bull, André Persson, 2014) zu dem weltweit agierenden Großkonzern sind wir in der Recherche gestoßen. Die kritische Dokumentation Die dunkle Seite von Red Bull des TV-Senders ARD beschäftigte sich 2013 mit verunglückten Red-Bull-Sportlern. Abseits sporadischer kritischer Medienartikel bleibt das Feld meist der Red-Bull-Marketingabteilung überlassen: Wohl deshalb kann man tausendfach nachlesen, wie Mateschitz den Drink einst in Südostasien entdeckte und die Milliardenidee hatte, diesen in die Welt zu exportieren. Von dieser Geschichte gibt es gleich mehrere Versionen.

Andere Evergreens: wie Mateschitz skeptische Marktforscher eines Besseren belehrte, die Red Bull nicht einmal eine Chance eingeräumt hätten. Wie Mateschitz die Formel 1 aufmischt. Wie Mateschitz wohltätige Zwecke unterstützt, das aber lieber geheim halten will. Die sportlichen Erfolge seiner Athletinnen und Athleten verbreitet der Konzern auf allen Kanälen, vierundzwanzig Stunden am Tag. Wenn man jedoch etwas über den Konzern herausfinden will, verstummt der Bulle. Kommt jemand mit kritischen Fragen, rückt die Herde eng zusammen. Wer hartnäckig bleibt, wird auf die Hörner genommen.

»Solange eine Kniescheibe in Moskau 500 Dollar kostet, werden Sie nicht sicher sein!« Einst bedrohte Mateschitz den Profil-Journalisten Michael Nikbakhsh im Mafiastil, als dieser für eine Biografie über den Red-Bull-Gründer recherchierte. Solch ein Ausrutscher ist Mateschitz seither nicht mehr passiert. Doch an der tief sitzenden Abneigung gegenüber dem Blick der Öffentlichkeit hat sich nichts geändert. Bis heute schafft es Mateschitz auch weitgehend, die Veröffentlichung von Tonaufnahmen seiner Stimme zu verhindern. Nichts soll ihn so sehr auf die Palme bringen, als wenn ungewollt Informationen nach außen dringen. Weder der Chef noch sonst jemand von Red Bull war bereit, uns offiziell ein Interview zu geben. Nur unter dem Deckmantel der Anonymität entscheiden sich viele ehemalige und aktive Red-Bull-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit DOSSIER zu sprechen. Nervosität ist immer dabei. 

Die verborgene Welt von Red Bull

Dank dieser Hintergrundgespräche können wir Ihnen Einblick in die verborgene Welt von Red Bull gewähren. Sie erfahren, wie Mateschitz die Zauberformel entwickelt hat, mit der man koffeinhaltiges Zuckerwasser in Unmengen Geld verwandeln kann.

Und Sie erfahren, wie es sich sein Konzern mit Geld richten kann – und das auch tut. Sie lesen, wie Red Bull weltweit lobbyiert, um etwa Warnhinweise auf Dosen oder Einschränkungen des Verkaufs an Kinder zu unterbinden.

Oder Studien finanziert, um bei Diskussionen über gesundheitliche Risiken von Energydrinks die richtigen Argumente parat zu haben.

Sie erfahren, wie Red Bull Anwälte engagiert, zur Abwehr und zum Angriff – etwa auf Konkurrenten.

Mit viel Geld kann man Verfahren auch einfach aus der Welt schaffen. So ist es wohl in New York beim Fall des 2011 verstorbenen Cory Terry passiert. Die Angehörigen zogen gegen Red Bull vor Gericht, zu einem Urteil kam es nie. 

Die Außen­wirkung steht bei Red Bull über allem, insbesondere in der Werbung: Bei DOSSIER erfahren Sie, wie zugeknöpft die Red-Bull-Sportstars sind, wenn man sie fragt, ob sie Energydrinks trinken und es ihren Fans empfehlen würden.

Sie lesen, welche Opfer die halsbrecherischen Extremsportevents von Red Bull bisher gefordert haben.

Sie lesen auch, wie sich die rigorose Nicht-Informationspolitik des Konzerns beim Thema Nachhaltigkeit ad absurdum führt: Wie unsere Recherchen zeigen, veröffentlicht Red Bull zum Thema Umweltschutz zwar Zahlen, doch diese sind widersprüchlich. Nachfragen oder Kritik werden auch hierzu ignoriert.

Die Werte, die Red Bull nach außen repräsentiert – sie sind im Unternehmen mitunter weniger wert: Loyalität etwa verlangt Mateschitz von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – umgekehrt sieht es anders aus. Als etwa bei Servus TV die Idee aufkommt, einen Betriebsrats zu gründen, will Mateschitz die gesamte Belegschaft kündigen. Als Red-Bull-Pilot Hannes Arch bei einem Transportflug mit dem Helikopter abstürzt und tödlich verunglückt, versucht man sich – ebenfalls bei Servus TV – gleich am nächsten Tag von dem Verstorbenen zu distanzieren. Apropos Servus TV: Sie erfahren, wie sich mitten in Mateschitz’ Medienreich eine Misstrauens- und Angstkultur etabliert hat, in der Kritik unerwünscht ist. Das »Meinungsdiktat«, das Mateschitz in einem Zeitungsinterview 2017 in der Gesellschaft vermutete, hat bei Servus TV längst Einzug gehalten.

Gleichzeitig ist der »unabhängige« TV-Sender zum Sprachrohr von Red Bull mutiert: Unsere Interviewanfragen an Dietrich Mateschitz und andere Red-Bull-Manager wurden allesamt abgelehnt. Als wir Fragen und Ergebnisse unserer Recherchen zur Stellungnahme schickten, erhielten wir keine Antwort. Zumindest nicht direkt. Dafür zeigte Servus-TV-Intendant Ferdinand Wegscheider seine Hörner: Anstelle einer Antwort stürmte Wegscheider los und beschuldigte uns in seinem reichweitenstarken TV-Kommentar unter anderem, »gegen Red Bull« zu recherchieren und bei der Recherche illegal vorgegangen zu sein. Zudem hätten wir bei der Recherche gesagt: »Das Positive interessiert uns nicht.« Es ist bemerkenswert, dass der »unabhängige« Sender Servus TV an Red Bull gerichtete Presse­anfragen beantwortet, abgesehen davon sind die Behauptungen falsch. Weil Wegscheider seine Sendung als Satire tarnt, ist es wenig erfolgversprechend, dagegen juristisch vorzugehen – wir antworten lieber publizistisch und offenbaren eine Welt, in der es noch andere Farben gibt als Blau und Silber.