24. Dezember 2020, Österreich steuert auf einen neuen Lockdown zu. Da sorgt Dietrich Mateschitz für eine kleine publizistische Überraschung. Er gibt dem Sportmagazin laola1.at ein Interview – und wird sogar persönlich. Er fachsimpelt über seine Formel-1-Piloten und Fußballklubs. Zum Schluss geht es ums Geschäft. »Wir sind mit dem Unternehmen kontrolliert und ohne wirklichen Schaden zu nehmen durch dieses Jahr gekommen«, sagt Mateschitz. »Wirtschaftlich passt es also.«
Und wie geht es ihm selbst? »Meine privaten Befindlichkeiten? Bitte fragen Sie mich nicht! Ich weiß nicht, soll ich lachen, weinen, es ist teilweise unerträglich. Man muss nicht mehr alles verstehen …« Worauf spielt er an? Was ist es, das er nicht mehr versteht? Er lässt es im Dunkeln.
Wer sich mit Red Bull und Mateschitz beschäftigt, dem fallen mehrere Antworten ein. Ganz vorne liegen wohl die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung. Dass die Gastronomie geschlossen und Live-Events verboten wurden, muss die Welt von Red Bull gehörig erschüttert haben.
Der Red-Bull-Sender Servus TV bläst seit Monaten zum Angriff auf die Regierung. Dort wird den Mächtigen indirekt sogar vorgeworfen, die Pandemie geplant zu haben. Doch die »Plandemie« – ein von Servus-TV-Chef Ferdinand Wegscheider strapaziertes Kunstwort – ist nicht das einzige Thema, mit dem sich der 76-jährige Mateschitz aktuell schwertut und das Red Bull zu schaffen macht.
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Neue Zeiten, alte Muster
Dreißig Jahre lang fuhr Marketinggenie Mateschitz gut damit, einen Bogen um die Politik zu machen. Selbst die Medien des Konzerns hatten strikte Order: keine Tagespolitik! Diese eiserne Regel brach der Boss schließlich selbst, als er der Kleinen Zeitung im April 2017 ein kontrovers diskutiertes Interview gab. Seither kann man Mateschitz – und wegen seiner dominanten Führungsrolle auch die Marke Red Bull – erstmals politisch verorten. Aus Sicht der Dose gab es dadurch nichts zu gewinnen. Viele rätseln noch heute, was den Firmenboss damals geritten hat.
Die Zeiten haben sich geändert. Von großen Unternehmen wird heute zunehmend gefordert, zu Themen wie sozialer Gerechtigkeit Stellung zu beziehen. Dabei stehen sie unter Beobachtung einer weltweit vernetzten, jungen Generation, die soziale Medien besser beherrscht als hochbezahlte PR-Leute. Das bekam Red Bull 2020 zu spüren. Das Thema: Rassismus.
Zunächst ist es eine Weltkarte mit beleidigenden Stereotypen, die für Wirbel sorgt: »Wir sind die Nummer eins« stand auf dem Gebiet der USA, »Zootiere kommen von hier« auf dem Kontinent Afrika und im Nahen Osten »Bombs go here«. Florian Klaass, der Chef des Red-Bull-Culture-Programms, soll die Grafik im Februar 2020 bei einer Präsentation in Detroit gezeigt haben. Drei Monate später bestimmt das Thema Rassismus plötzlich die Medien.
Am 25. Mai 2020 tötet ein US-Polizist den Afroamerikaner George Floyd bei einer brutalen Festnahme auf offener Straße. Die Folge sind Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt. Die Belegschaft von Red Bull North America ist bereits wegen der Weltkarte sensibilisiert – nun fordern 300 US-Angestellte, der Konzern solle sich öffentlich und klar gegen Rassismus positionieren.
Wie reagiert Mateschitz? Mit einem Rundumschlag: Er feuert Klaass und schließt die Culture-Abteilung. Gleichzeitig wirft er jene zwei US-Führungskräfte hinaus, die mehr Engagement gegen Rassismus gefordert haben. Welche Botschaft wollte Mateschitz damit senden?
Nicht nur beim Thema Rassismus ist Schweigen ein No-Go geworden, auch beim Thema Nachhaltigkeit. Red Bull hat zwar eine Abteilung dafür eingerichtet, die sachbezogene Fragen aber nicht beantwortet, geschweige denn bei Kritik Stellung bezieht. Dabei gäbe es viel zu klären, etwa die widersprüchliche Umweltbilanz, die wir in diesem Heft erörtern.
Es ist nachvollziehbar, dass sich eine Firma, die Aludosen abfüllt und in die ganze Welt verschifft, mit dem Thema Klimaschutz schwertut. Dem umwelt- und gesundheitsbewussten Nachwuchs serviert man einstweilen die Bio-Produktlinie »Organics by Red Bull«, samt neuem Claim: »Talent comes naturally«. Red Bull setzt, einfallsreich wie immer, nun voll auf Kreativität. Nur, wie glaubwürdig ist das, wenn der Konzern kritische Künstlerinnen und Künstler nach Gutsherrenart abserviert?
Mateschitz’ Sparschwein
Besonders ungern lassen sich Red Bull und Dietrich Mateschitz in die finanziellen Karten blicken. Trotz gesetzlicher Offenlegungspflicht veröffentlichte man bislang keine Konzern-, sondern lediglich Jahresabschlüsse zu den einzelnen Firmen. Eine Gesamtbetrachtung von außen war daher lange nicht möglich. Im Laufe der Recherche gelang es dennoch, einiges ans Tageslicht zu bringen.
Durch DOSSIER-Anträge beim Firmenbuchgericht in Salzburg wurden die Red Bull GmbH und die im Mateschitz-Eigentum befindliche Distribution & Marketing GmbH (D&M) aufgefordert, ihre Konzernabschlüsse offenzulegen. Mehr als 30 Jahre Geheimniskrämerei sind nun beendet. Die Öffentlichkeit erhält erstmals Einblick in beide Firmengruppen und in den immensen Reichtum des Dietrich Mateschitz.
Diesen verwaltet er über die D&M, sein persönliches Sparschwein. Hier hat sich Mateschitz ein Leben außerhalb des Bullenkonzerns aufgebaut. Das Vermögen reicht längst aus, um von heute auf morgen auszusteigen. Neben 49 Prozent an der Red Bull GmbH besaß die D&M zum Stichtag 31. Dezember 2019 noch rund 860 Millionen Euro an Wertpapieren sowie um die 356 Millionen am Bankkonto. Von 2016 bis 2019 wurden rund 2,3 Milliarden Euro an Dividenden an die Red-Bull-Gesellschafter ausbezahlt. Mehr als die Hälfte davon landete via D&M bei Dietrich Mateschitz.
Über die Jahre wuchs die D&M zur ansehnlichen Firmengruppe mit insgesamt 456 Beschäftigten, eigenem Markenportfolio und 2,7 Milliarden Euro Eigenkapital sowie Immobilien, Wäldern und Wasserquellen. Die operative Geschäftstätigkeit ist laut D&M-Konzernabschluss 2019 der »Verkauf von Dienstleistungen in den Bereichen Motorsport und Gastronomie, die Produktion und der Vertrieb von Getränken, die Ausübung des Baumeistergewerbes sowie die Führung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben«.
Über die D&M-Tochter Projekt Spielberg engagiert sich Mateschitz rund um den steirischen Formel-1-Standort. Und unter der Dachmarke »Tauroa« werden immobile Schmuckstücke wie das Schloss Gabelhofen, das Steirerschlössl oder das G’Schlössl Murtal sowie Hotels (Winterstellgut, Seehotel Grundlsee) und Restaurants (Gasthaus Krenn, Seewiese Altaussee) verwaltet.
Die meisten Firmen sind Defizitbetriebe, darunter marode Schlösser, die er aufwendig renovieren lässt. Laut D&M-Bilanzen wurden von 2016 bis 2019 operative Verluste von 169 Millionen Euro angehäuft. Das Minus wird durch die hohen Red-Bull-Dividenden ausgeglichen.
Und dann?
2018 steigen die Ausschüttungen an die D&M exorbitant an. Das widerspricht der langjährigen Red-Bull-Praxis, Gewinne überwiegend in die Dose zu reinvestieren – und es gibt Anlass für Spekulationen: Mateschitz könnte bald aussteigen. »Er lässt langsam los«, sagt ein Insider. Die hohen Dividenden interpretiert er als eine Art Vorauszahlung für den Ausstieg: »Warum sollten ihm die Thais hunderte Millionen freiwillig schenken?«
Falls Mateschitz seine Anteile an die Thais verkaufe, könnten die Dividenden auf den Kaufpreis angerechnet werden, meint er. Immerhin griff sich Mateschitz mehr vom Gewinnkuchen, als ihm laut seinem 49-Prozent-Anteil zustehen würde. Möglich wurden diese sogenannten »alinearen Dividendenausschüttungen« durch eine erst im November 2018 beschlossene Änderung im Red-Bull-Gesellschaftsvertrag. Aus dem Vertrag geht außerdem hervor, dass Mateschitz nicht gegen seinen Willen als Geschäftsführer der Red Bull GmbH abberufen werden kann.
Dafür ist ein 75-Prozent-Votum nötig, mit seinen 49 Prozent sitzt er also fest im Sattel. Freiwillig könnte er jederzeit zurücktreten. Mit 76 Jahren hat er das Pensionsalter längst erreicht. Und wenn er abtritt, wer folgt ihm dann nach? Sein Sohn Mark wohl eher nicht. Der 28-Jährige arbeitet zwar in der D&M-Gruppe. So wie seine Mutter, die die von Mateschitz errichtete Wings-for-Life-Stiftung für Rückenmarkforschung leitet, übt er aber keine operative Rolle in der Red Bull GmbH aus.
Schwer vorstellbar, dass der Jungmanager ohne Stallgeruch die Herde anführen soll. Die Thais würden das wohl nicht erlauben, immerhin gehört ihnen die Mehrheit an Red Bull. Letztlich wird der Yoovidhya-Clan bestimmen, wer die Geschäfte des roten Stiers weiterführt. Tritt Mateschitz ab, haben sie freie Bahn.
Die Thais kennen das Geschäft wie ihre Westentasche. Der Name, das Logo, der Ursaft samt seinen unverkennbaren Aromen – all das wurde einst in Thailand erfunden. Manche Familienmitglieder teilen außerdem die Faszination für Geschwindigkeit und Technik. Immer wieder sind sie etwa bei Formel-1-Rennen zu Gast.
Dennoch würde mit einem Wechsel an der Red-Bull-Spitze wohl ein neuer Stil einkehren. Das Familienoberhaupt der Thais, Chaleo Yoovidhya, mit dem sich Mateschitz einst zusammentat, um Red Bull in die Welt zu bringen, verstarb 2012. Die nächste Generation stellt international den Führungsanspruch und zettelte in China einen regelrechten Dosenkrieg mit dem dortigen Lizenznehmer an.
Abseits des Geschäftlichen sorgte ein Familienmitglied für einen ausgewachsenen Skandal: Nach Vorayuth Yoovidhya, Chaleos Enkelsohn, wurde jahrelang per Interpol-Haftbefehl gefahndet. Mit seinem Ferrari hatte er 2012 einen Polizisten in Bangkok erfasst, hundert Meter mitgeschleift und tot zurückgelassen. Ein Gerichtsverfahren? Gab es bisher nicht. Die Menschen in Thailand protestierten. Weltweit schreiben Medien von einer Zweiklassenjustiz, die den reichen Jungen schützte. Vorayuth flüchtete im Privatjet. Red Bull verleiht eben Flügel.