»Systemmedien«

Herbert Kickls Mär von der »gelenkten Presse«, die gekauft sei und die Bevölkerung ­belügen würde, ist jahrhundertealt. Bis heute verbreiten ­rechte bis rechtsextreme Parteien diese Erzählung.

Text: Sahel Zarinfard

Propaganda17.4.2025 

Foto: Alex Halada / AFP / picturedesk.com

»Die Systemmedien werden uns nicht aufhalten können«, sagt FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer gut besuchten Wahlkampfveranstaltung der FPÖ in Wels kurz vor der Nationalratswahl im ­September 2024. »Ihr wisst ja, die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen. Das ist wie bei siamesischen Zwillingen. Zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die einen, die Politiker, die lügen wie gedruckt. Und die anderen, die drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System.«

Kickl, der Rhetoriker, samt einem seiner beliebtesten Narrative, jenem von der gesteuerten Presse, den »Systemmedien«. Doch was heißt das überhaupt? Und woher kommt die Verschwörungserzählung, die Kickl und seine Mitstreiter·innen so gern und oft bedienen? Antworten liefern das Zeitungs­archiv und ein Blick in die Geschichte.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Mär von einer »gelenkten Presse« so alt wie der Buchdruck ist. Mitte des 15. Jahrhunderts war es erstmals möglich, Informationen massenhaft zu verbreiten – gedruckt statt nur mündlich. ­Schlichen sich in diese Texte Fehler ein, wurden daraus eben gedruckte Lügen. Eine Redensart, die heute noch im Sprachgebrauch verankert ist.

Über die Jahrhunderte verfestigte sich die Bezeichnung »Lügen­presse« in Deutschland. Insbesondere nach der Märzrevolution 1848 war sie in aller Munde. Nicht allen gefiel die neue Ausrichtung der gesellschaftlichen Ordnung, die als Meilenstein der deutschen Demokratie und Ausgangspunkt für die Verfassung der Weimarer Republik gilt.

Gegner·innen des Liberalismus bezichtigten vor allem Jüd·innen, gemeinsam mit der »Lügenpresse« eine neue Weltordnung anzustreben. ­Insbesondere die Bezeichnung »System« wurde ab 1918 als Diffamierung der Weimarer Republik sowie später im Nationalsozialismus verächtlich für alle politischen Kontrahent·innen ­verwendet – darunter die ­Begriffe »Systempartei« und ­»Systempresse«.

Dieses Narrativ wurde schließlich ein Kernelement der ­nationalsozialistischen Ideologie.

50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg griffen »alte und neue Nazis« den Begriff »Systempresse« wieder auf, wie die Deutsche Presseagentur (dpa) 1995 in einem Text festhielt. Das ­Zeitalter des Internets hatte damals gerade begonnen. Prompt verbreiten deutsche Neonazis rechts­extreme ­Propaganda über elektronische Mailboxen – »als ›Gegenöffentlichkeit‹ zur ›System­presse‹, von der sie sich nicht ausreichend oder nur ­negativ beachtet fühlen«, so die dpa.

Etwa zur selben Zeit erlebt in Österreich der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider politische Höhen­flüge. Seine rechten und radikalen Parolen waren nicht selten an die Nazi-Diktion angelehnt, darunter die Bezeichnung »Systemparteien«.

Von dieser Rhetorik sind die Freiheitlichen bis heute nicht abgekommen. Im Gegenteil: Ihre Strategie der Provokation mit und der Normalisierung von rechtsextremen Begriffen lässt sich im Zeitungsarchiv nachvollziehen.

Exklusiv für Mitglieder

Werden Sie Mitglied und unterstützen Sie unabhängigen Journalismus!

Sie erhalten die DOSSIER-Magazine des kommenden Jahres und sofort Online-Zugang zu exklusiven Geschichten.

Mehr erfahren

Mitglied werdenund alle Artikel lesen