Epilog

Fake News, das sind die anderen

Was für den einen der Faktencheck ist, nennt die andere Zensur. Der Kampf um die Wahrheit spaltet die Gesellschaft – bis hin zu den grundlegenden Begriffen. Wie kommen wir da wieder raus? Eine Analyse.

Text: Georg Eckelsberger, Sahel Zarinfard

Propaganda17.4.2025 

Es kann einem schwindlig werden, in der Diskussion um Desinformation. Dabei scheint es zunächst einfach: Fakten und Unwahrheiten – das lässt sich doch klar unterscheiden, oder? So einfach ist es leider nicht. Manipulator·innen setzen raffinierte Strategien ein, um Gerüchte zu verbreiten und die Wahrheitsfindung gezielt zu erschweren. Oder sie treten in Gestalt von ­vermeintlichen ­Expert·innen, Wissenschaftler·innen oder Ärzt·innen auf, um ihren Behauptungen einen ­seriösen Anstrich zu verpassen.

Doch das Problem reicht tiefer: Was ist Wahrheit, und was ist Desinformation? Die Antwort auf diese Frage hängt mittlerweile oft weniger von den ­Fakten ab als vielmehr davon, wen man fragt. Selbst um die grundlegenden Begriffe ist ein hitziger Kampf entbrannt. Ein Beispiel: In diesem Heft nennen wir ­Medien wie Auf 1 oder Info direkt Propagandaplattformen. Aus gutem Grund, wie wir meinen.

Denn sie verbreiten FPÖ- und russlandfreundliche ­Inhalte und tarnen sie als unabhängigen Journalismus – und legen darüber hinaus ihre Finanzierung nicht ­offen. Doch auch die FPÖ nutzt ihrerseits den Begriff der Propaganda. Sie wirft etwa dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk »Klimapropaganda« vor. FPÖ-Chef Herbert Kickl spricht von »Systemmedien«, die die »Lügen« der Politiker·innen drucken würden, und unterstellt etablierten Medien damit implizit, Propaganda zu betreiben. Wer weiß, vielleicht wird auch dieses Magazin bald von der FPÖ als Propaganda abgestempelt.

Ähnlich sehen das die Wähler·innen der FPÖ: Das Medienhaus Wien hat bei einer Umfrage eine bemerkenswerte Spaltung der Gesellschaft festgestellt, die exakt entlang der Parteiaffinität verläuft. Auf die Frage, welche Nachrichtenmedien »Fake News oder Falschinformationen verbreiten«, nennen FPÖ-Wähler·innen am häufigsten den ORF. »Alternativen Onlinemedien« wie Auf 1 und Info direkt vertrauen sie hingegen am meisten. Bei allen anderen Parteien ist es ziemlich genau umgekehrt.

Wer verbreitet aus Sicht welcher Partei-Sympathisant·innen Fake News?

Von der Umfrage zurück zu den Fakten: Ob jemand Fake News, also bewusst gestreute falsche Nachrichten, verbreitet, ist keine Ansichtssache und auch keine Frage der politischen Präferenz, sondern lässt sich nüchtern und sachlich erörtern. Einerseits, wenn man sich die Berichterstattung auf Propagandaplattformen ansieht: etwa irreführende Geschichten über angeblichen »Turbokrebs«. Auch der ORF macht journalistische Fehler, und es gibt schwere Missstände – bis zu Skandalen der politischen Einflussnahme. DOSSIER hat über diese mehrfach kritisch und umfangreich berichtet.

Aber es gibt grundsätzliche Unterschiede: Der ORF verpflichtet sich, in seiner Berichterstattung nach journalistischen Richtlinien und handwerklichen Regeln zu arbeiten. Es gibt einen Redaktionsrat, der die Unabhängigkeit der Redaktionen sicherstellen soll, und mit Ö1-Doublecheck ein eigenes Medienmagazin, das auch über Verfehlungen im eigenen Haus kritisch berichtet.

Der ORF muss die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags öffentlich rechtfertigen und ist nicht zuletzt in den vergangenen Jahren auch deutlich transparenter geworden, etwa im Hinblick auf die Gagen und Nebenbeschäftigungen seiner Moderator·innen und Manager·innen. Der Kritik, die sich da­raus ­ergibt, müssen sich die betreffenden Personen ­öffentlich stellen.

Im Gegensatz dazu halten sich die sogenannten Alternativmedien nicht an journalistische Gebote wie Unabhängigkeit oder Ausgewogenheit. Bei der Finanzierung sind sie intransparent, auf Kritik reagieren sie mit Gegenangriffen. Man könnte die Argumente fortsetzen, sie laufen auf eines hinaus: Es ist möglich, sich anhand von Fakten ein Bild darüber zu machen, wer Fake News verbreitet und wer nicht.

Freiheit und Zensur

Ein weiterer Begriff, bei dem wild um die Deutungshoheit gekämpft wird, ist jener der Meinungsfreiheit. In den USA bedeutet Meinungsfreiheit für das rechte Lager rund um Präsident Donald Trump und Milliardär Elon Musk, dass antisemitische und gewaltverherrlichende Hasskommentare in sozialen Netzwerken ungehemmt verbreitet werden dürfen.

In Europa hingegen herrscht die Überzeugung vor, dass gerade Regeln gegen Hetze und Desinformation den freien Diskurs sowie die persönliche Freiheit und die Menschenrechte schützen. Was in Europa als notwendige Regulierung gilt, bezeichnen Trump und Musk als Zensur.

Die selbsternannten Verteidiger·innen der Meinungsfreiheit verstricken sich aber in Widersprüche: Die ­Regierung von Trump hat laut Recherchen der ­New York Times in US-Behörden rund 200 Begriffe auf eine Art rote Liste setzen lassen. Die Begriffe – darunter etwa »Klimakrise«, »Feminismus« und »Ungleichheit« – sollen von Websites und aus Dokumenten verschwinden und generell weniger oder gar nicht mehr verwendet werden.

Trump schränkt also ganz konkret die Redefreiheit ein, übt selbst Zensur aus. Er verkauft das wiederum als Maßnahme gegen den sogenannten »woke virus«, eine abwertende Bezeichnung für progressive und linke Ideen, Stichwort Political Correctness. Anders ausgedrückt: Weil man heutzutage angeblich nicht mehr sagen darf, was man denkt, ließ Trump hunderte Wörter verbieten.

Wie schon eingangs erwähnt: Es kann einem eben schwindlig werden, in der Diskussion um Desinformation. Das wiederum erschwert Bemühungen, gegen Desinformation und Manipulation vorzugehen. Denn im Kampf um die Deutungshoheit kann auch jede Wissensvermittlung über Medienkompetenz zur Indoktrinierung umgedeutet werden, Aufklärung zur Propaganda und Regulierung zur Zensur werden.