Text: Julia Herrnböck
Daten: Markus Hametner
Visualisierung: Fabian Lang
Ein Post über eine »Mordende Transgender-Veganer-Sekte«, unlautere Werbung für trinkbares Gold und vor allem viel Weltpolitik: So präsentiert sich der Telegram-Kanal von Auf 1 am 11. März 2025. Da geht es um Israels Machtinteressen im Syrien-Konflikt, um angebliche ukrainische Cyberangriffe gegen Elon Musks Plattform X oder den »Kriegskurs« der EU gegen Russland.
Und es geht um die Pandemie – oder darum, was davon noch übrig ist. Denn obwohl die Corona-Krise vorbei ist, sind die radikalen Netzwerke von damals auf Telegram nach wie vor aktiv. Das Muster ist gleich geblieben – die Themen haben sich verschoben.
»Telegram war und bleibt die wichtigste Plattform für Verschwörungserzählungen«, sagt Ulrike Schiesser, die Leiterin der Bundesstelle für Sektenfragen, zu DOSSIER. Vor rund einem Jahr veröffentlichte die Beratungs- und Informationsstelle – eine weisungsfreie, selbstständige Anstalt öffentlichen Rechts – erstmals ihren Monitoringbericht Das Telegram-Netzwerk der österreichischen Covid-19-Protestbewegung und die Verbreitung von Verschwörungstheorien.
Es ist ein Zeugnis der Verbreitung von Desinformation und Propaganda mithilfe des Messengerdienstes. Von den zehn am häufigsten geteilten Kanälen in der Untersuchung »verbreiten alle Verschwörungserzählungen«, so Schiesser.
Dass sich ausgerechnet die Bundesstelle für Sektenfragen mit Telegram-Kanälen wie jenem von Auf 1 befasst, ist eine direkte Folge der Anfragenflut, die während der Pandemie bei ihr einging. Kein anderes Thema sorgte damals für mehr Kontaktaufnahmen als die Verbreitung von Verschwörungserzählungen im Zuge der Covid-19-Protestbewegung.
Auch Telegram wurde in diesem Zusammenhang häufig von Betroffenen genannt. Was mit besorgten Nachfragen begann, entwickelte sich rasch zu einer umfassenden Untersuchung über Desinformationsnetzwerke, die bis heute hunderttausende Menschen in Österreich erreichen.
Für seinen Bericht nahm Schiessers Team rund 1,3 Millionen Nachrichten unter die Lupe, die auf reichweitenstarken öffentlichen Kanälen der Covid-19-Protestbewegung veröffentlicht worden waren. An der Untersuchung beteiligt war auch Felix Lippe, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesstelle.
Gemeinsam mit dem Datenanalysten Arash Bakhtiari und dem Politikwissenschaftler Philipp Pflegerl arbeitet Lippe derzeit an der Fortsetzung, dem zweiten Bericht, der im Juni 2025 erscheinen soll. DOSSIER konnte exklusiv Einblick in die neuen Daten und Entwicklungen nehmen.
Zunächst zum Erwartbaren: Die Views in den meisten Kanälen der Maßnahmengegner·innen haben sich zwischen Jänner 2022 und Jänner 2023 halbiert. Anders verhält es sich jedoch bei den Kanälen sogenannter alternativer Medien – ihre Reichweite blieb stabil, oder sie wuchs. Seit dem ersten Bericht im April 2024 ist beispielsweise die Zahl der Abonnent·innen von auf1tv um 17 Prozent gestiegen.
Mittlerweile folgen dem Medium auf Telegram mehr als 305.000 Menschen. Damit zählt der Kanal nicht nur in Österreich, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum zu den zentralen Drehscheiben für Desinformation und Propaganda. Auch andere Kanäle wie tkp_news und report24news tauchen in unserer Netzwerkanalyse als dominierende Akteur·innen auf.
Seit 2023 beobachtet die Bundesstelle für Sektenfragen Telegram-Kanäle der heimischen Covid-19-Protestbewegung. Aktuell stehen 330 Kanäle im Fokus, die mindestens einen Beitrag mit einer Verschwörungserzählung weitergeleitet haben. Die Erhebung geht zurück bis ins Jahr 2020. Auf DOSSIER-Anfrage durchsuchte die Bundesstelle für Sektenfragen ihren Datensatz – über 1,3 Millionen Nachrichten – nach den Schlagwörtern Big Pharma, Chlordioxid, Ivermectin, Turbokrebs und WHO-Diktatur.
Diese Begriffe tauchen immer wieder in Zusammenhang mit fragwürdigen Gesundheitstipps auf – etwa bei der gefährlichen Empfehlung, Chlordioxid, also Chlorbleiche, zur Selbstbehandlung von Krebs zu verwenden. Je größer ein Punkt in der Grafik, desto öfter wurde ein Beitrag mit mindestens einem dieser Begriffe von dem entsprechenden Kanal verbreitet. Der größte Fisch im Netz ist der rechtsextreme Sender Auf 1 – der Haus-und-Hof-Kanal der FPÖ, dem Herbert Kickl nach seinem Wahlsieg im September 2024 sein erstes Interview gegeben hat.
Dahinter folgen weitere radikale »alternative Medien« wie Report 24 oder der pseudowissenschaftliche Blog TKP. In der Grafik haben wir diese Kanäle mit Verschwörungstendenzen als »Hyperpartisan, Alternative and Conspiracy Media«, kurz HAC, markiert. Auch parteinahe Akteur·innen und ihre Verbündeten sind hervorgehoben – etwa Gerold Beneder, von Beruf Rechtsanwalt, der 2021 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Herbert Kickl auftrat. Auch Beneder zählt zu den zentralen Akteur·innen, die in Österreich medizinische Desinformation über Telegram verbreiten.
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