
Das hat es noch nie gegeben. Am frühen Morgen des 6. Oktober 2021 fand erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik eine Razzia im Bundeskanzleramt statt. Der Arbeitsplatz des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) als Tatort? Er selbst als mutmaßlicher Täter?
Ermittler·innen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) stellten Beweise sicher – nicht nur im Kanzleramt, auch in der ÖVP-Bundeszentrale sowie bei der Verlagsgruppe Österreich. Eine Aktion, die richterlich genehmigt werden muss und nur bei begründetem Verdacht zulässig ist – und der wiegt in diesem Kriminalfall schwer: Es geht um öffentliche Inserate als Schmiergeld und um manipulierte Umfragen auf Staatskosten.
Der Skandal erschütterte das Land zu einem Zeitpunkt, als die Regierung auch im zweiten Pandemiejahr das Virus nicht im Griff hatte. Insbesondere die FPÖ kritisierte das politische Krisenmanagement und nahm dabei auch die Medien ins Visier. Unkritisch würden sie über die Corona-Maßnahmen berichten: von der Masken- bis zur Impfpflicht.
Dass in dieser Zeit viel Geld in Form von Inseraten von der Politik an Medien geflossen ist, zahlte auch auf das Konto des freiheitlichen Narrativs der »gekauften« und »gelenkten« Medien ein. Die Inseraten- und Umfragenaffäre war Wasser auf die Mühlen der FPÖ.
»Erst die Menschen mit frisierten Umfragen manipulieren, und dann auch noch mit krimineller Energie alles daransetzen, damit nichts an die Öffentlichkeit kommt«, schrieb etwa FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz in einer Aussendung. FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker sprach gar von einer »Medienkauf-Strategie« der Volkspartei.
Auch große Teile der Bevölkerung fühlten sich in ihrer Skepsis gegenüber Medien bestätigt, sagt der Politik- und Medienwissenschaftler Andy Kaltenbrunner zu DOSSIER. Als Herausgeber der Publikationsreihe Journalismus-Report misst er unter anderem das Vertrauen der Menschen in den heimischen Journalismus. Die Inseratenaffäre ist laut Kaltenbrunner ein »Verstärker« für die bereits schwindende Glaubwürdigkeit gewesen.
Wer kann es den Leser·innen bei einer derart haarsträubenden Causa verübeln? Das engste Umfeld von Kurz soll mit seinem Wissen von März 2016 bis August 2021 Umfragen bei der Meinungsforscherin Sabine Beinschab in Auftrag gegeben haben, die sie zugunsten von Kurz manipulierte. Das Motiv: Kurz innerhalb der ÖVP an die Macht zu hieven.
Die Rechnungen für die frisierten Umfragen wickelte der damalige Generalsekretär im Finanzministerium (BMF), Thomas Schmid, über Scheingeschäfte ab, die er aus Mitteln des BMF bezahlt haben soll. Um die staatlich orchestrierte und finanzierte Desinformation großflächig zu streuen, sollen die Brüder Helmuth und Wolfgang Fellner einen Deal angeboten haben: Sie verbreiten über ihre Zeitung Österreich und die Website oe24.at die manipulierten Umfragen und liefern zudem positive Berichte über Kurz.
Im Gegenzug sollte es Inserate regnen. Der strafrechtlich relevante Clou: Nicht die ÖVP, sondern das BMF kam für die Inserate in Höhe von 1,1 Millionen Euro in Österreich auf.
Das Konstrukt aus Manipulation, Machtmissbrauch und Missbrauch von Steuergeld trug intern den nicht besonders originellen Codenamen »Beinschab-Österreich-Tool«. Seit März 2023 werden auch Heute-Herausgeberin Eva Dichand und ihr Ehemann Christoph Dichand, Chefredakteur der Kronen Zeitung, beschuldigt, ebenfalls für Inserate und eine Änderung des Stiftungsrechts positive Berichte angeboten zu haben.
Bis heute ermittelt die Justiz gegen insgesamt elf Personen und drei Verbände wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Kurz und seine engsten Vertrauten sollen die Masterminds hinter dem Tool gewesen sein, seine Erfinder·innen sind sie aber nicht. Sie bedienten sich einer erprobten Methode, die Jahre zuvor den Wiener Wohnbaustadtrat Werner Faymann (SPÖ) zunächst zum Verkehrsminister und später zum Bundeskanzler gemacht hatte.
Einer Methode, deren Aufdeckung die Geburtsstunde von DOSSIER war.

Werner Faymann, Garant für Inserate in »Heute«. Wann immer er das Amt wechselte und die Karriereleiter nach oben kletterte – vom Wiener Wohnbaustadtrat über das Infrastrukturministerium (BMVIT) bis ins Bundeskanzleramt (BKA) –, erhöhten sich die Inseratenausgaben seiner Ressorts in »Heute«
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