Kampf gegen Bildlawinen

Immer wieder landen Nacktaufnahmen von Frauen gegen ihren Willen auf Porno­seiten. Opferschützer·innen fordern deshalb strengere Vorgaben für die ­Betreiber·innen solcher Plattformen. Politisch wurde das Thema lange vernachlässigt. Die Regulierung ist ­ein netz­politischer Balanceakt.

Text: Eja Kapeller; Illustration: Ilona Schadauer

Porno17.6.2022 

»Wir wurden heimlich gefilmt, in Saunen oder auf Festivals, unsere Clouds wurden von unbekannten Tätern gehackt oder wir waren in einer Beziehung mit jemandem, der unsere Bilder gestohlen hat. Jetzt fürchten wir um unsere Sicherheit, wir leiden unter Kündigungen und/oder kämpfen mit schweren psychischen Erkrankungen.«

Am 24. September 2021 wenden sich elf Frauen aus Dänemark, Frankreich, Deutschland, Irland und Portugal in einem offenen Brief an das Europäische Parlament, den Rat der Europäischen Union und die EU-Kommission. Sie teilen ein Schicksal: Aufnahmen von ihnen waren auf pornografischen Websites gelandet, ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen, tausende Male aufgerufen.

»Als ich die Aufnahmen sah, hatte ich kurz das Gefühl, mein ganzes Leben fällt wie ein Kartenhaus zusammen«, sagt Anna zu DOSSIER. Anna heißt in Wirklichkeit anders. Sie ist eine der elf Frauen, die den Brief unterzeichnet haben. Vor drei Jahren entdeckt die damals 27-jährige Deutsche Videos und Fotos von sich auf unzähligen Pornoseiten, darunter X-Hamster, eine der meistbesuchten Pornoseiten weltweit.

Einige Fotos zeigen Anna beim Feiern in Clubs. Auf anderen sind ihre Brüste oder ihr nackter Körper zu sehen. Sie hatte die Aufnahmen auf ihrem Laptop gespeichert. Bis heute weiß Anna nicht, wer sie ins Netz gestellt hat. Sie vermutet, dass die Aufnahmen gestohlen wurden, als jemand ihre Dropbox gehackt hat.

Für das Veröffentlichen von intimen Aufnahmen im Netz gibt es einen Fachbegriff: bildbasierte sexualisierte Gewalt. Dabei kann es sich um Deepfakes oder Spannervideos handeln. Aber auch um Nacktaufnahmen, die zwar einvernehmlich aufgenommen, aber ohne Zustimmung veröffentlicht werden – etwa von Ehemännern oder Ex-Freunden. Die Täter können, wie wohl in Annas Fall, aber genauso Unbekannte sein, die Fotos aus digitalen Clouds stehlen. Im Extremfall geht es um Videos, die sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen zeigen.

Nur selten gibt es in solchen Fällen rechtliche Konsequenzen – weder für jene, die das Material hochladen noch für die Plattformen, auf denen die Inhalte veröffentlicht werden. »Man hat hier lange nicht hingeschaut«, sagt Anna, die sich heute als Aktivistin gegen bildbasierte sexualisierte Gewalt engagiert und unter dem Namen »Anna Nackt« eine Informations­website für Betroffene betreibt.

Als die Frauen den Brief veröffentlichen, finden im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments Verhandlungen zum Digital Services Act (DSA) statt. Das Gesetz wird die über 20 Jahre alte E-Commerce-Richtlinie ergänzen, die EU will digitale Dienste damit stärker zur Verantwortung ziehen. Inzwischen ist das Gesetz fertig verhandelt, bis Redaktionsschluss Ende Mai war es jedoch nur in Grundzügen veröffentlicht.

Onlineplattformen werden darin erstmals weitreichende Pflichten auferlegt: Sie müssen etwa transparente Meldewege einrichten, über die Nutzer·innen illegale Inhalte melden können – und diese zeitnah löschen. Auch werden sie verpflichtet sein, die Meldungen von sogenannten Trusted Flaggers, etwa NGOs, vorrangig zu bearbeiten. In jährlichen Transparenzberichten müssen Plattformen Auskunft darüber geben, wie viele Meldungen eingehen und wie sie darauf reagieren. Tun sie das nicht, drohen Strafen. Das gilt auch für die Betreiber·innen von Pornoplattformen.

Opfervertreter·innen geht das Gesetz aber nicht weit genug. »Natürlich bringt der DSA Verbesserungen für Betroffene von bildbasierter sexualisierter Gewalt. Man hat aber eine Chance versäumt«, sagt die Juristin Josephine Ballon von der deutschen NGO Hate Aid, die Opfer digitaler Gewalt berät. Gemeinsam mit »Anna Nackt« forderte Hate Aid strengere Regeln für Pornoseiten.

Ein Änderungsantrag, den die deutsche Europa­parlamentsabgeordnete Alexandra Geese (Grüne) in Abstimmung mit den beiden Organisationen einbrachte, sah vor, Uploads auf Pornoseiten nur noch nach einer Registrierung mit Mailadresse und Telefonnummer zu erlauben. Plattformen sollten zudem dazu verpflichtet werden, speziell ausgebildete Content-Moderator·innen einzusetzen und Aufnahmen nach einer Meldung durch Betroffene sofort zu sperren, wenn ihre Identität »augenscheinlich« belegt ist.

Das EU-Parlament hatte den Antrag in der Plenarabstimmung mehrheitlich angenommen, während der Verhandlungen mit dem Rat wurde er aber verworfen. »Das ist eine herbe Niederlage«, sagt Geese zu ­DOSSIER. »Wir haben es nicht geschafft, konkrete Mittel zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt auf ­Onlineplattformen zu verankern.«

Lange waren pornografische Plattformen nicht auf dem Radar von europäischen Gesetzgeber·innen. Das Thema ist komplex. Es geht um Anonymität und Meinungsfreiheit im Internet. Um die heikle Abwägung, ob es legitim ist, sie einzuschränken, um Missbrauch zu verhindern. Und nicht zuletzt geht es auch darum, wie man mit Plattformen umgehen soll, auf die viele angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, deren Funktionsweisen aber großes Missbrauchspotenzial aufweisen.

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