Bloßgestellt

Täter nutzen Pornoseiten wie X-Hamster als Plattformen, um heimlich ­aufgenommene Videos und gestohlene Privatfotos von Frauen zu verbreiten. Unsere Autorin hat über mehrere Jahre zwei Betroffene begleitet, die versuchen, sich gegen derartige digitale sexualisierte Gewalt zu wehren.

Text: Patrizia Schlosser; Illustration: Thom Van Dyke

Porno17.6.2022 

Als der Angeklagte R. mit gesenktem Kopf zu seinem Platz im Gerichtssaal schlurft, begrüßt ihn der Vorsitzende Richter Georg Zimmermann mit einem lauten, betont munteren »Guten Morgen!«. R.s ­Gemurmel ist kaum wahrnehmbar. Der Richter beugt sich vor: »Na, Sie haben mich ja gar nicht angeschaut! Ich sagte: Guten Morgen!« R.s massiger, nach vorne hängender Körper strafft sich. Er sagt, jetzt lauter: »Guten Morgen.« Der Richter nickt. So ist es brav. Der Ton ist gesetzt in diesem Prozess am Landgericht Bielefeld im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen.

R. werden mehrere Formen sexueller Gewalt vorgeworfen, unter anderem soll er heimliche Filmaufnahmen von Frauen auf Toiletten gemacht und diese auf einer Pornoseite veröffentlicht haben. Die Frau, die davon besonders stark betroffen ist, ist nicht zum Prozessauftakt im April 2022 gekommen. Sie will R. nie wieder begegnen. Und vor allem will sie nicht, dass er sie noch einmal betrachten kann. »Er hat schon zu viel von mir gesehen«, sagt Simone (Name geändert). Ihre Stimme ist klar und hart.

Seit drei Jahren muss sie damit umgehen, dass hunderttausende Menschen sie beim Toilettengang beobachtet, sie ab dem Bauchnabel abwärts nackt gesehen haben. Sie hat Angst, dass ihr Name für immer damit in Verbindung gebracht wird, mit diesen Videos auf der Pornoseite X-Hamster. Sie fürchtet um ihren Ruf, sie fürchtet um ihren Job. Simones Schicksal ist kein Einzelfall. Weltweit werden Menschen auf Pornoseiten bloßgestellt. Meistens sind Frauen davon betroffen. Täter dringen in ihre Privatsphäre ein, filmen sie heimlich oder stehlen ihre privaten Fotos und Videos. Dann laden sie diese ­illegal auf Pornoseiten hoch. Auch wenn es offiziell gegen die Nutzungsbedingungen der Porno­seiten verstößt, tun die Betreiber dieser Tube-­Sites viel zu wenig dagegen. Täter wie R. bringen ihnen Klicks. Und damit Traffic. Und damit Geld.

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