Aber die Kinder!

Jugendschützer·innen wollen alle Pornoplattformen sperren, die für Minderjährige zugänglich sind. Im Kern geht es um eine größere Frage: ­Wie schützen wir Jugendliche, ohne gleichzeitig von Kindheit an ihre Sexualität zu problematisieren?

Text: Christoph Schattleitner; Illustration: Ūla Šveikauskaitė

Porno17.6.2022 

»Wir haben heute bewiesen, dass wir den Schutz von Kindern durchsetzen, unabhängig davon, wie aufwendig es ist«, verkündete Tobias Schmid Anfang März 2022 stolz. Schmid ist der Chef der Landesmedienanstalt von Nordrhein-Westfalen, die für die Kontrolle von privaten Radio- und Fernsehsendern in Deutschland gegründet worden ist. Mittlerweile kümmert sie sich auch um Jugendschutz im Internet. Deshalb hat Schmid jahre­lang an einem Projekt gearbeitet, das im März geglückt ist: X-Hamster, die beliebteste Pornoseite der Deutschen, wurde in der Bundes­republik gesperrt. Für alle. Der Grund: X-Hamster hat – wie fast jedes Pornoportal im Internet – keinen effektiven Jugendschutz.

Der Sperre war ein jahrelanger juristischer Streit vorausgegangen. Die Pornoportale sitzen meist im Ausland, so auch X-Hamster mit Hauptsitz in Zypern. Das macht die Sache rechtlich kompliziert, denn innerhalb der EU gibt es kein Abkommen zum Vollstrecken von Jugendmedien­schutzauflagen. Die einzige Möglichkeit, die Schmids Landesmedienanstalt gefunden hat, um trotzdem etwas gegen die riesige Website zu machen: Die großen deutschen Internetanbieter·innen wurden gezwungen, die Domain de.xhamster.com zu sperren, wenn sie aus Deutschland angesteuert wird. Das hielt aber – falls überhaupt – nur ein paar Stunden. X-­Hamster hat nach der Sperre sofort eine neue Domain eingerichtet (deu.xhamster.com), die von der Sperre nicht betroffen ist. Die Domains xhamster2.com, xhamster3.com und einige andere wurden zur Sicherheit auch gehamstert.

Schmids Kampf gegen Pornoseiten ohne effektiven Jugendschutz ist wie ein Kampf gegen Windmühlen – doch nicht nur das. Es ist auch ein Kampf, der grundsätzliche Fragen aufwirft. Noch nie war Pornogucken einfacher. Im Internet braucht man weder Geld noch einen Ausweis, um an Pornos zu kommen. Wer Pornos konsumieren will, muss nur mit einem Klick seine Volljährigkeit bestätigen – das geht so einfach wie Cookie-Hinweise wegzuklicken. Das ist ein Problem. Aber mit welchen Maßnahmen soll die Gesellschaft reagieren: Sollen demokratische Staaten groß­flächig Websites sperren? Was genau gefährdet die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eigentlich, und wovor muss man sie schützen? Wie schafft man es, sie zu schützen, ohne ihnen zu vermitteln, dass ihre Auseinandersetzung mit ihrem Körper, dass ihre Selbstbefriedigung etwas Schlechtes und Verbotenes sei, das man – wenn – nur heimlich machen darf? Wie sollen sie eine gesunde Beziehung zu ihrer Sexualität entwickeln, wenn das Thema von Kindheit an mit Schuld und Scham assoziiert wird? Und wie wird ihnen der Umgang mit neuen Medien­inhalten wie Onlinepornos eigentlich beigebracht?

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