Prolog

Zehn Jahre DOSSIER: Zurück in die Inseraten-Zukunft

Vor zehn Jahren haben wir DOSSIER gegründet. Der erste Schwerpunkt: Inserate. An den Missständen in Österreichs Medienpolitik und -branche hat sich seither wenig geändert. Schnallen Sie sich an und drehen Sie mit uns eine Runde in der Inseraten-Zeitschleife.

Text: Georg Eckelsberger, Florian Skrabal; Illustration: Jörg Vogeltanz

Politik und Medien17.10.2022 

Plus ça change, plus c'est la même chose«
(Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich

Jean-Baptiste Alphonse Karr, 1849

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Keine Sorge, das ist kein Bewerbungsgespräch. Stellen Sie es sich bloß für einen Moment vor: Wie wird Ihr Leben in zehn Jahren aussehen? Wird alles anders als heute sein oder vieles gleich?

Geht es nach dem französischen Journalisten und Satiriker Jean-Baptiste ­Alphonse Karr, kann paradoxerweise beides passieren: Alles kann sich ändern und dabei gleich bleiben. Und nun, weil wir ja in keinem Bewerbungsgespräch sind, versetzen Sie sich zehn Jahre zurück. Ins Jahr 2012.

Kleine Erinnerungsstütze: Der Arabische Frühling bestimmt die Schlagzeilen, der Song Gangnam Style die Musikcharts und Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) Österreichs Innenpolitik.

Vielleicht fühlt sich Ihre Reise in der Erinnerung ähnlich an wie unsere: wie in ein anderes Leben – und gleichzeitig, als ob es gestern gewesen wäre. Wenn wir auf den 17. Oktober 2012, den Gründungstag von DOSSIER, zurückblicken, dann lässt sich Karrs Ausspruch schon etwas abgewinnen. Viel hat sich für uns seither geändert. Zum Glück, muss man sagen.

Statt in WG-Zimmern arbeiten wir in einer eigenen Redaktion. Statt sporadischer und dürftiger Honorarauszahlungen sind wir kollektivvertraglich angestellt. Anderes hat sich seit 2012 kaum verändert. Zum Glück, muss man sagen.

Die hohen Ansprüche, die wir an die Arbeit stellen, das Verantwortungsgefühl unseren Leser·innen gegenüber und vor allem der Drang, mit DOSSIER einen Beitrag zur Demokratie zu leisten. Wir wollen hinschauen, wo es andere nicht können, weil ihnen Ressourcen fehlen: Zeit, Geld oder Unabhängigkeit.

Denn noch etwas hat sich seit 2012 kaum verändert: die Missstände in Österreichs Medienpolitik. Pech, kann man sagen.

Dass DOSSIER just am 17. Oktober 2012 erstmals online ging, hatte einen Grund. Tags zuvor war der Untersuchungsausschuss »Zur Klärung von Korruptionsvorwürfen« zu Ende gegangen. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP hatten ihn einfach abgedreht. Damit fand ein brisantes Thema sein vorzeitiges Ende: die zwielichtigen ­Inseratengeschäfte einer Reihe hochrangiger Regierungsmitglieder.

Die im U-Ausschuss thematisierten Vorgänge waren Symptome eines größeren Problems, »das in den vergangenen Jahren zwischen Österreichs Politik und seinen (Boulevard-)Medien gewachsen ist«, schrieben wir damals in unserer ersten Story.

Und weiter: »Im Kern geht es um die Verschwendung von Steuergeldern, Verzerrungen am Zeitungsmarkt, um die positive Selbstdarstellung einzelner Politikerinnen und Politiker und darum, über Inserate gute Presse zu kaufen – oder zumindest schlechte Presse zu verhindern.«

Unter den Übeltätern anno dazumal: Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) mit seinen Werbeschaltungen in der Bauernzeitung und Bundeskanzler Werner Faymann respektive seine rechte Hand, Staatssekretär Josef Ostermayer (beide SPÖ), mit ihren ÖBB-Asfinag-Krone-­Österreich-Heute-und-so-weiter-Inseraten-Deals.

Der Kanzler blieb dem U-Ausschuss fern, aber ­Josef Ostermayer stellte sich den Fragen der Abgeordneten. Und der Politprofi wusste, wie er Parlament und Presse umgarnen musste. Vor seinem Auftritt im Ausschuss begrüßte er die Journalist·innen, schüttelte Hände, nahm im Sitzungssaal VI Platz und wartete auf seinen Aufruf.

Ja, von seinem Recht, ein einleitendes Statement abzugeben, mache er Gebrauch:

Inserieren – und das möchte ich wirklich betonen – heißt nicht, Zeitungen und Journalisten zu kaufen. Wenn jedes Inserat öffentliche oder veröffentlichte Meinung kauft, müsste ein generelles Inseratenverbot beschlossen und erlassen werden. Das belegt die Absurdität dieses Vorwurfs und ist eine besondere Respektlosigkeit gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Ich weise daher den pauschalen Vorwurf der sogenannten Inseratenkorruption, der manchmal erhoben wird, auf das Schärfste zurück. Als Medienstaatssekretär, der ich jetzt bin, sage ich noch dazu: Da sich Medien zu einem beträchtlichen Teil durch Inserate finanzieren, würden ein Verbot und eine Kriminalisierung zu einer Gefährdung der Medien führen.

Ostermayer kannte das Geschäft in- und auswendig. Hier sprach ein Politiker, der jahrelang Inseratengeschäfte eingefädelt hatte. Mehr noch: Gemeinsam mit seinem Boss Faymann hatte er die mittlerweile berühmten Medienkooperationen erfunden – und sich Berichterstattung mit Steuergeld erkauft.

Bereits in Ostermayers Aussage findet sich die Argumentationslinie, mit der Politiker·innen bis heute der Kritik an krummen Inseraten­geschäften begegnen. Mit Zuckerbrot und Peitsche nämlich.

Zuerst kommt das Zuckerbrot, adressiert an die Journaille: Bitte keine pauschale Verurteilung, das wäre respektlos gegenüber Journalist·innen – diese sind nicht käuflich!

Dann kommt die Peitsche, ebenfalls an die Journaille adressiert. ­Obacht, wenn an den Vorwürfen wirklich etwas dran wäre, müsste man Inserate »generell« verbieten, was »zu einer Gefährdung der Medien führen« würde. So geht Double Binding à la Ostermayer.

Der ehemalige Staatssekretär und Minister kannte sich mit der Finanzierung von Medien jedenfalls bestens aus: Sein Name tauchte 2004 in Unterlagen einer Stiftung auf, der kurz eine Firma gehörte, die die Gratiszeitung Heute gegründet hatte. Mit Inseraten hatten Faymann und er ­Heute zu einem fliegenden Start verholfen.

All das schadete seiner Karriere nicht. Auch weil es Ostermayer immer wieder schaffte, sich aus der Affäre zu ziehen. Der Gefahr, dass das Thema Inserate nach dem vorzeitigen Ende des U-Ausschusses von der öffentlichen Bildfläche verschwindet, wollten wir am 17. Oktober 2012 etwas entgegensetzen.

Wir veröffentlichten das erste Dossier über die Inseratenwelt der Gratiszeitung Heute.

Zehn Jahre später hat das Medienressort politisch die Farbe gewechselt – heute sitzt dort die ÖVP. Obwohl öffentliche Inserate vom Orchideenthema zur Staatsaffäre geworden sind – schließlich musste Sebastian Kurz (ÖVP) wegen seiner Inseratenaffäre als Bundeskanzler abdanken –, ist die abwiegelnde Botschaft der Politik im Kern gleich geblieben.

So heißt es auf DOSSIER-Anfrage, wie denn die angekündigte Reform der Inseratenvergabe aussehen wird, aus dem Büro von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP), man habe gemeinsam

mit der Branche und allen Stakeholdern klar herausgearbeitet und festgehalten, dass Einschaltungen im öffentlichen Interesse nichts Anrüchiges sind, sondern den Informationsbedarf der Bevölkerung decken müssen, wie das auch gesetzlich bereits vorgeschrieben ist. Wir können aber noch mehr Nachvollziehbarkeit und Transparenz bei Inseratenkampagnen schaffen. Wir sind hier auf einem guten Weg, die politischen Verhandlungen laufen aber aktuell noch.

Nach zehn Jahren haben die politisch Verantwortlichen immer noch nicht verstanden, dass Inserate, insbesondere jene von Regierungsmitgliedern, ein Spiel mit dem Feuer sind. Die Abhängigkeiten und Gefälligkeiten zwischen Politik und Medien, die Geschäfte im Hintergrund – all das hat sich ausgebreitet.

Detto die Schleichwerbung, die gezielte Täuschung des Publikums. Erschwerend kommen die persönliche Nähe zwischen Akteur·innen und das immer noch existierende Amtsgeheimnis hinzu.

Und nicht zu vergessen: Der Medienmarkt in Österreich ist so konzentriert wie in fast keinem anderen EU-Land. Drei Boulevardzeitungen geben den Ton an.

Bei ihnen funktioniert die Käuflichkeit der Berichterstattung am besten. Und genau das nützen beide Seiten, Politik wie Medien, seit Jahren aus, was zunehmend zum Problem für die Glaubwürdigkeit wird.

Insbesondere wenn Medien Geld von der Politik in Form von Werbung erhalten, entsteht, selbst wenn sie alle Interventionen abwehren und auch sonst keine Gegengeschäfte betreiben, ein fahler Beigeschmack.

Und wenn dann, wie am 6. Oktober 2021, Ermittler·innen zeitgleich in der ÖVP-Bundesparteizentrale, im Finanzministerium, im Bundeskanzleramt und in den Räumen von Wolfgang Fellners Mediengruppe Österreich wegen des Verdachts der Untreue und gekaufter Bericht­erstattung zu Hausdurchsuchungen aufmarschieren, steht, wie schon vor zehn Jahren, eine ganze Branche unter Generalverdacht.

Dann gibt der Verein der Chefredakteure ein Statement ab, in dem man »mit der bis in höchste politische Kreise verbreiteten irrigen Annahme« aufräumen möchte, wonach es für Inserate Gegenleistung in Form von redaktioneller Berichterstattung gebe. Auch wenn einzelne Gratistitel auf Basis dieses Konzepts ihre Geschäftsmodelle und Verlagsimperien aufgebaut haben sollten, gebe es in den meisten Medienhäusern rote Linien und eine strikte Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung. Ja, eh.

Und weiter: »Journalismus mit Respekt vor dem politischen Amt, aber kritischer Distanz. Wir leisten diese Aufgabe unabhängig von politischen oder werblichen Einflüssen. Wir halten Abstand und lassen uns nicht vereinnahmen. Und wir sind davon überzeugt, dass die liberale Demokratie solch unabhängige Medien braucht.«

Das mag alles stimmen, doch das Problem ist: Solange dieses System der Korruption die Tür öffnet, reichen wenige schwarze Schafe, um die Glaubwürdigkeit des Berufsstands und letztlich auch das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben.

Bereits 2012 berichteten wir, dass Heute ihren Journalist·innen einst sogar per Arbeitsvertrag vorgeschrieben hatte, auf Anzeigenkund·innen »tunlichst Rücksicht zu nehmen«. Denn wohlwollende PR-Berichterstattung über Inserent·innen sei für den Erfolg der Gratiszeitung »unerlässlich«.

Dass es bei Heute und Österreich einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Anzeigenvolumina und positiver Berichterstattung gab, war schon für den Nationalratswahlkampf 2008 wissenschaftlich bewiesen worden; damals hatte die SPÖ in den beiden Blättern besonders viel inseriert – just war der Spitzenkandidat, der spätere Bundeskanzler Werner Faymann, genau dort besonders gut weggekommen. So plump klappt es selten.

Natürlich sind Hürden wie Ansprüche bei Qualitätsmedien viel höher. Doch dabei wird eines oft übersehen: Einflussnahme läuft meist subtiler ab, vom persönlichen Kontakt bis zum vo­rauseilenden Gehorsam.

Wenn man also mit dem Pauschalverdacht aufräumen will, alle Medien seien gekauft, muss man auch mit dem pauschalen Freispruch für alle bis auf Heute und Österreich aufräumen.

Denn Fakt ist, dass so gut wie alle Medien in Österreich inzwischen von öffentlicher Werbung abhängig sind. Fakt ist, dass Schleichwerbung viel weiter als bis zu Wolfgang Fellner reicht, von der Ischler Woche bis zur Verlagsgruppe News. Fakt ist, dass es Naheverhältnisse zwischen Politiker·innen und Medienmacher·innen gibt, die toxisch sind.

Das beste Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist wohl Rainer Nowak, Chefredakteur der Presse, der in den Chatprotokollen der aktuellen ÖVP-Affäre auftaucht. Das Statement der Chefredakteure ging übrigens auch in seinem Namen hinaus.

Fakt ist, dass die Inseratenaffäre des Westens – des ÖVP-Wirtschaftsbunds in Vorarlberg, für dessen Magazin mit grenzwertigen, vielleicht jenseits der gesetzlich erlaubten Methoden Inserate gekeilt worden waren – nicht von lokalen Medien aufgedeckt wurde, sondern von der Ö1-Sendung Double­check.

Und Fakt ist, dass Qualitätspresse wie Boulevard an der kurzen Leine gehalten werden, wenn es um Zugang zu Informationen geht. Dem Amtsgeheimnis sei Dank! Es zwingt Journalist·innen förmlich dazu, sich mit der Politik gut zu stellen. Denn Zugang zu offiziellen Dokumenten gibt es auf offiziellem Weg selten.

Umgekehrt können Politiker·innen gezielt auswählen, welche·r Journalist·in zu welchem Zeitpunkt mit Informationen gefüttert wird. Seit Jahren kündigen die Verantwortlichen immer wieder an, das Amtsgeheimnis abzuschaffen – doch wie bei der Reform der Inseratenvergabe, wie bei der Reform der Medienförderung bleibt es auch hier bei Lippenbekenntnissen.

Das wirft Fragen auf.

Wie viele journalistische Enthüllungen hätte es in den vergangenen zehn Jahren geben können? Und welche Storys schlummern in Redaktionen und wurden beziehungsweise werden nicht veröffentlicht? Auch die Gründung von DOSSIER geht darauf zurück, dass die abgeschlossene Recherche zu den Inseraten in der Gratiszeitung Heute einst in der Presse nicht erschienen war.

Letztlich stand der Veröffentlichung ein subtiles Argument entgegen: Man könne nicht nur auf einen Marktteilnehmer losgehen, sondern müsse sich das ganze System und somit auch andere Zeitungen ansehen. Dazu muss man wissen, dass die Presse damals wie heute selbst stark von öffent­lichen Inseraten abhängig ist.

Das muss man hinterfragen, genauso wie die große Nähe und die ­Gefälligkeiten. Es mag sein, dass Österreichs Chefredakteur·innen, wenn es hart auf hart kommt, trotzdem Interventionen abwehren. Und es ist mit Sicherheit so, dass die Mehrzahl der Journalist·innen in diesem Land versucht, einen ordentlichen Job zu machen.

Doch das reicht nicht: Denn längst haben politische Kräfte die Missstände in der Medienbranche als offene Flanken des demokratischen Systems entdeckt.

Genau hier setzen »alternative Medien« an, die tatsächlich pauschal die Glaubwürdigkeit anzweifeln und mit Begriffen wie »Lügenpresse« und »Systemmedien« jonglieren.

Ein Beispiel: der Internetfernsehsender Auf 1, medialer Schulterschluss zwischen der Querdenker- und der rechtsextremen Szene oder »die Tagesschau für Verschwörungsgläubige«, wie die deutsche Wochenzeitung Zeit jüngst schrieb. Auf 1 schlachtet die hohen Inseratenausgaben genüsslich aus und fragt: »Warum berichten alle Leitmedien so einseitig? Wie kommen die Lücken- und Lügen-­Berichte zustande?« In Telegram-Gruppen erreicht der Sender mehr als 200.000 Menschen.

Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien fasst »die fatalen Nebeneffekte« von Politinseraten gut zusammen: »Es gibt immer mehr Menschen, die sagen, dass Medien und Journalismus käuflich sind. Und das entzieht dem System die Grundlage. Denn wenn dir ohnehin niemand mehr glaubt, wird keine offene Kommunikation hergestellt.«

Und was macht die heimische Politik, um dieses Dilemma zu lösen?

Sie greift seit Jahrzehnten – egal ob auf Bundes- oder Landesebene – für Inserate in die Steuergeldtöpfe der öffentlichen Verwaltung. Und zwar am intensivsten dann, wenn die Regierenden selbst zur Wahl stehen. Eben weil man nichts dem Zufall überlassen will, sprudelt das Geld in Wahlkampfzeiten besonders üppig.

Vielleicht hilft es ja bei der einen Zeitung, vielleicht auch bei der anderen. Vielleicht bringt es einen Prozentpunkt oder zwei, vielleicht drei, wenn nur die Krone mit an Bord ist.

So verschafften sich Regierende vor den Wahlen in Wien (2015/2020) oder im Bund (2008/2013/2017) oder in Oberösterreich (2021) einen undemokratischen Vorteil.

Um auf das Problem aufmerksam zu machen, riefen wir in Wien (2015) und im Bund (2017) unsere »Inseraterennen« aus. In den Wochen vor den jeweiligen Wahltagen erhoben wir Inserate – das Ergebnis war verblüffend: Hier gaben die Regierenden in Wahlkämpfen sogar mehr für Inserate aus als alle wahlwerbenden Parteien zusammen.

Aber warum machen die Medien bei diesem Spiel mit? Aus ökonomischen Gründen.

Immer weniger Menschen lesen Zeitung oder schauen ­(linear) fern. Gleichzeitig fließt mehr und mehr Werbegeld ins Ausland ab, wo Google, Facebook und Co abkassieren. Das Geschäftsmodell erodiert.

Ein Trend, der sich noch verstärken wird, wie Andy Kaltenbrunner analysiert. »Was Österreichs Traditionsmedien gerade erleben, ist nur der Anfang vom Ende. Das wird jetzt rasant gehen.« Eine Konsequenz ist in den Verlagen bereits sichtbar: Journalistische Jobs werden abgebaut.

Gab es laut Journalismus-Report im Jahr 2006 rund 7.070 Arbeitsplätze, waren es zwölf Jahre später nur noch rund 5.350, ein Minus von fast 25 Prozent. Gleichzeitig wächst die Gegenspielerin: die PR-Industrie. Nicht nur in der Privatwirtschaft, auch in Österreichs Ministerien werken immer mehr Menschen daran, die »richtigen«, also ihre Botschaften zu kommunizieren.

Die Presse, bekanntlich die vierte Gewalt im Staat, ist gehörig unter Druck. Was kann man tun?

Presseförderung ist eine Möglichkeit. Weil sie nach klar definierten Kriterien vergeben wird, schafft sie Rechtssicherheit und schützt im Umkehrschluss vor staatlicher Willkür, sie steht Medien per Gesetz zu. In sie lässt sich auch nicht so leicht, vor allem aber nicht so schnell eingreifen wie in Werbeetats.

Da verlässliche Informationen die Grundlage für jede demokratische Öffentlichkeit sind, werden Medien in vielen Ländern mit Steuergeld gefördert, um das Versagen am Markt abzufangen. Doch auch Presseförderung wird anderswo durchaus kritisch beäugt.

In Deutschland und der Schweiz ist man etwa der Ansicht, dass direkte Zahlungen vom Staat an Medien deren Unabhängigkeit untergraben könnten. Kaum auszudenken, wie groß der Aufschrei wäre, wenn dort über öffentliche Inserate in den Markt eingegriffen werden würde.

Welche Bedeutung öffentliche Werbung für Österreichs Medien hat, lässt sich mit einem Vergleich zu Deutschland zeigen. In den vergangenen Jahren hat DOSSIER mehrmals die Werbeausgaben der österreichischen Bundesregierung mit jenen der deutschen verglichen.

So inserierte die heimische Regierung im Jahr 2015 für 13,6 Millionen Euro in Printmedien, deutsche Ministerien gaben im selben Zeitraum fast gleich viel aus: 13,7 Millionen Euro. Macht pro Kopf 1,56 Euro Steuergeld in Österreich – in Deutschland sind es knapp 17 Cent.

Die Buchungen der Bundesregierung stellen nur einen Bruchteil der Werbeausgaben dar, die in den Markt gepumpt werden. Rechnet man alle gemeldeten Werbeausgaben der öffentlichen Hand und von öffentlichen Unternehmen zusammen, kommt man auf insgesamt rund 1,9 Milliarden Euro seit Mitte 2012. Eine Menge Geld.

Und? Sind all diese Schaltungen nun böse? Natürlich nicht. Zum Glück laufen die meisten Buchungen ordnungsgemäß ab. Viele aber eben auch nicht. Denn Inserate sind facettenreich.

Sie können, wie unisono von Politik und Medien betont wird, einen legitimen Informationsbedarf decken. Sie können aber ebenso leicht missbraucht werden: und zwar – man muss es erneut sagen –, um sich Berichterstattung zu kaufen.

Besitzen Parteien oder parteinahe Verlage selbst Medien, kommt noch ein Aspekt hinzu: die mögliche verdeckte Parteienfinanzierung. Wie grenzwertig das ist, führt die ÖVP Oberösterreich vor, die das Bundesland regiert und gleichzeitig in der eigenen Zeitung inseriert.

Wenn bei Werbebuchungen allerdings alles so läuft, wie es sich gehört, gibt es aufseiten der Werbekundin für eine konkrete Werbemaßnahme einen konkreten Grund, einen konkreten Plan, ein konkretes Ziel und konkrete Methoden, die Wirkung der Werbung zu messen. Von der Vergabe bis zur Wirkung ist alles transparent. So weit das theoretische Ideal.

Allerdings zeigt eine Vielzahl an Beispielen, wie weit Theorie und Praxis auseinanderliegen. Immer wieder wurde im vergangenen Jahrzehnt sichtbar, wie leichtfertig Inserate von öffentlichen Stellen vergeben werden.

Werfen wir den Blick in einen einzigen Vergabeakt des Familienministeriums zum Kinderbonus 2020, der Akt liegt DOSSIER vor: Es werden ein paar E-Mails ausgetauscht, eine Liste mit Medien wird erstellt, ein Sujet gebastelt – schon ist die Kinderbonus-Kampagne 2020 fertig. Kostenpunkt: rund 200.000 Euro. Steuergeld natürlich.

Nach welchen Kriterien die Medien ausgewählt wurden und wie der Erfolg der Kampagne gemessen wurde, erschließt sich selbst nach intensivem Studium nicht. Dafür stellt sich eine andere Frage: Waren diese Buchungen notwendig?

Denn wie die Inserate in den Zeitungen verraten, gab es für die Empfänger·innen des Kinderbonus »nichts weiter zu tun, die Auszahlung erfolgt automatisch«. Warum also überhaupt inserieren?

*Offenlegung: Florian Skrabal ist Mitglied im Vorstand der Concordia

Diese Frage kann man sich auch bei Inseraten des Finanzministeriums stellen, die den automatischen Steuerausgleich bewerben. Oder bei den Gastro-Gutscheinen der Stadt Wien, die, obwohl sie ohnehin jedem Haushalt in der Hauptstadt per Post zugestellt wurden, mit mehreren Millionen in Zeitungen beworben wurden.

Dass die Inseratenkampagne wenige Wochen vor der Wien-Wahl 2020 gestartet wurde, muss ein Zufall gewesen sein. Aber halten wir noch einmal fest: Der wirtschaftliche Druck auf Medien wächst.

Verlage brauchen öffentliche Inserate wie den berühmten Bissen Brot. Damit wird das Einfallstor, über und durch Inserate Berichterstattung zu beeinflussen, größer. Während die reguläre Presseförderung in Österreich schrumpfte beziehungsweise stagnierte, wuchs die (faktisch freihändig mögliche) Vergabe von Werbeaufträgen in Form von Inseraten an.

»Es ist für alle Seiten ein bequemes Feudalsystem«, sagt Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia*. »Man kann frei über Mittel verfügen – wer soll sich wünschen, dass es sich ändert? In wessen Interesse ist es, dass sich etwas ändert?«

Die Antwort ist: in kaum jemandes. Auch das ist irgendwie ein Verdienst von Josef Ostermayer, Sie wissen noch, jener Politiker, der es einst geschafft hatte, sich stets aus der Affäre zu ziehen.

Als Reaktion auf die schon vor zehn Jahren lauter werdende Kritik an den Inseratendeals wurde das sogenannte Medientransparenzgesetz geschaffen. Es sollte offenlegen, welche öffentlichen Geldflüsse an welche Medien gehen.

Damit einher ging das Kopfverbot, mit dem dem ebenso schlichten wie dreisten Abbilden von Politiker·innen auf Werbung, die mit Steuergeld bezahlt wurde, ein Riegel vorgeschoben wurde. Im Juli 2012 bezeichnete Ostermayer das Gesetz im Ö1-Mittagsjournal als »vorbildhaft«.

In Wirklichkeit wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die Menge der erhobenen Daten war und ist riesig, deren Qualität jedoch miserabel.

Hinzu kommen Lücken im Gesetz; etwa Beilagen, die nicht periodisch erscheinen und daher nicht gemeldet werden müssen. 2013 berichteten wir erstmals über diese Umgehungskonstruktion, über die seither Millionen Euro an der Offen­legungspflicht vorbeigeflossen sind – und, Randnotiz: Auch im derzeit wohl heikelsten juristischen Verfahren der Republik, der Inseratenaffäre rund um Ex-Kanzler Kurz, wurde auf Beilagen zurückgegriffen.

Indes wurde ein Workaround auch beim Kopfverbot gefunden: sogenannte redaktionelle Kooperationen, in denen Medien quasi freiwillig berichten, was die Politik wünscht. Weil offiziell dafür kein Geld fließt, können Regierende so weiterhin samt Konterfei abgebildet werden. Das will Österreichs derzeitige Medienministerin nun ändern.

Sie hat angekündigt, die Lücken im Gesetz zu schließen, die Inseratenvergabe transparenter zu machen und gleichzeitig die offizielle Fördersumme zu erhöhen. Ein Schritt in die richtige Richtung? Mal sehen, was sich verändert, was gleich bleibt – und ob wir in zehn Jahren wieder mit Jean-Baptiste Alphonse Karrs paradoxem Bonmot einsteigen werden. 

Wie alles begann: Das erste DOSSIER-Infovideo brachte das Problem mit Inseraten öffentlicher Stellen bereits 2012 auf den Punkt

»Horse race journalism«: 2015 riefen wir das Wiener Inseraterennen aus, um die Werbeausgaben vor der Gemeinderatswahl in Echtzeit zum Thema zu machen