Wir werden einen Richter brauchen

Klagen sind im Investigativjournalismus ein Berufsrisiko. Über brenzlige juristische ­Situationen – und den Gang vor Gericht. Eine rechtliche Rückblende.

Text: Florian Skrabal; Illustration: Jörg Vogeltanz

Politik und Medien17.10.2022 

Früher oder später führt in diesem Job kein Weg am Gerichtssaal vorbei. Wer investigativen Journalismus betreibt, dubiosen Machenschaften nachgeht und korrupte Vorgänge aufdeckt, wer enthüllt, worüber Mächtige nicht sprechen wollen, fordert es förmlich heraus, geklagt zu werden. Das wurde uns bereits klar, bevor wir 2012 mit DOSSIER starteten.

Damals drohte uns Heute-Herausgeberin Eva Dichand schon vorab mit einer Verleumdungsklage, sollten wir unsere Recherche zu Inseraten der Stadt Wien in ihrem Gratisblatt veröffentlichen. Wir ließen uns nicht einschüchtern, vertrauten auf die Genauigkeit unserer Arbeit und veröffentlichten die Recherche – Eva Dichands Drohung ging ins Leere. Das war nicht bei allen unseren Geschichten so.

In den vergangenen zehn Jahren erhielten wir dutzende Briefe von Anwaltskanzleien. Meistens fanden sich darin diverse Variationen des Satzes »Wenn Sie das schreiben, dann klagen wir Sie«. Das geschah so oft, dass wir intern eine Zeitlang scherzten, nervöser zu sein, wenn vor einer Veröffentlichung keine derartige Drohgebärde eintrudelte.

Manche Protagonist·innen unserer Recherchen, etwa ein Asylheimbetreiber aus dem Burgenland, machten ihre Drohung tatsächlich wahr. In anderen Fällen erreichten uns Klagen wiederum ganz ohne Vorwarnung. 2021 etwa die Einschüchterungsklage der OMV.

Damals übergab uns der Postbote direkt den blauen Brief des Gerichts, und wir steckten von einer Minute auf die andere in einem Verfahren mit einem Streitwert von 151.000 Euro. Das war existenzbedrohend. Übrigens nicht das erste Mal. Bereits Jahre zuvor hatte uns eine andere Klage in eine ähnliche Situation gebracht.

2015 untersuchten wir gemeinsam mit nzz.at das Vormagazin, das dem Echo Medienhaus gehört und in den Öffis des Verkehrsverbunds Ost-Region (VOR), daher der Name, baumelt. Damals wie heute darf sich das Blatt über Inserate der Stadt Wien und etlicher stadteigener Unternehmen freuen. Bei der Recherche fiel uns auf, dass das Blatt überaus freundliche Interviews mit SPÖ-Politiker·innen abdruckte.

Und wir fanden dutzende Beispiele, die unseren Verdacht nährten, dass hier Werbung gesetzeswidrig nicht als solche gekennzeichnet worden war. Um diesem Verdacht nachzugehen, griffen wir zum Hörer. Wir riefen Werbekund·innen des Magazins an, um herauszufinden, ob sie für die Werbung im Blatt tatsächlich bezahlt hatten oder nicht. Das wurde uns beinahe zum Verhängnis.

Das Vormagazin klagte auf unlauteren Wettbewerb. Mit der Vorgehensweise würden wir dem Heft Anzeigenkund·innen abwerben wollen, lautete verkürzt die verblüffende Argumentation. Immerhin ist DOSSIER seit jeher werbefrei.

Der Streitwert war hoch, was im Falle einer Niederlage 2015 ähnlich wie Jahre später beim OMV-Verfahren das Aus für DOSSIER bedeutet hätte. Zum Glück gab es einen einfachen Weg aus der Affäre: Wir schlossen einen Vergleich, in dem wir uns verpflichteten, die Werbekund·innen des Blattes nicht mehr anzurufen und eine Stellungnahme des Magazins auf unsere Website zu stellen.

Unser Kooperationspartner nzz.at, mit der Schweizer NZZ-Mediengruppe im Rücken, focht das Verfahren hingegen aus – und gewann. Ein Schritt, den auch wir gerne gewagt hätten. »Vor Gericht braucht man drei Säcke«, so lautet eine juristische Weisheit, »einen mit Papier, einen mit Geld und einen mit Geduld.«

Stets fehlte uns der zweite, der Sack mit Geld, was wir im selben Jahr noch in einem anderen Verfahren spürten.

Im Zuge unseres zweiten großen Recherche­projekts hatten wir 2013 beziehungsweise 2014 die Zu- oder, besser gesagt, die Missstände in Österreichs Asylheimen dokumentiert. Über mehrere Monate besuchten wir mehrere hundert Unterkünfte von Asylsuchenden. Alles war genau geplant, auch juristisch durchdacht.

Wir wussten, wenn wir die Hausbesitzer·innen vorab um Erlaubnis fragen würden, kämen wir nur in jene ­Unterkünfte hinein, in denen ohnehin alles passte. Also entschlossen wir uns stattdessen, die Bewohner·innen selbst, also die Asylsuchenden, zu fragen, ob sie uns als ihren Besuch in die Heime ließen. Das taten viele.

Als wir gegen Ende der Recherche die mangelhafteste Asylunterkunft, ein Quartier im burgenländischen Pama, erneut besuchten, erwischte uns der Besitzer in flagranti. Er drohte: Wenn wir sein Haus noch einmal betreten würden, würde er uns verklagen. Ein Jahr verging, und wir wollten wissen, ob sich aufgrund unserer Berichterstattung für die Asylsuchenden etwas verbessert hatte. Dazu mussten wir natürlich abermals nach Pama.

Unser damaliger Anwalt Alfred Noll und wir waren sicher, das Recht auf unserer Seite zu haben. Unser Zugang: Kann ein Asylheimbetreiber einem Asylsuchenden tatsächlich verbieten, Besuch zu empfangen? Das Besitzrecht des Hauseigentümers kann doch von einem Gericht nicht höher bewertet werden als das Besuchsrecht eines Asylsuchenden – oder doch?

Und kann ein Gericht die Freiheit der Presse, über Missstände in mit Steuergeld finanzierten Asylunterkünften zu berichten, tatsächlich einschränken? Die kurze Antwort: im Burgenland ja. Denn wir verloren das Besitzstörungsverfahren zuerst in erster, dann in zweiter Instanz. Was tun?

Schon damals zeigte sich: Die Causa öffentlich zu machen hilft. Medien im In- und Ausland bis zur Oslo Times berichteten über das Verfahren. Menschen unterstützten uns finanziell. Am Ende stand uns sogar etwas mehr Geld zur Verfügung, als uns das Verfahren gekostet hatte. So konnten wir weitere Recherchen finanzieren.

Doch sollten wir juristisch weiterkämpfen? Sollten wir gegen das Urteil Einspruch erheben und in die nächste Instanz gehen? Wenn nötig, vielleicht sogar vor das Höchstgericht ziehen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)? Wie lange würde das dauern? Und wie stünden die Chancen, das Verfahren zu gewinnen?

Wir entschieden uns dagegen. Kleine Randbemerkung: Jahre später judizierten ungarische Journalist·innen, nachdem sie während einer Recherche in eine ähnliche Situation geraten waren wie wir, genau das aus – und siegten letztlich vor dem EGMR.

Wir kennen die Mühen, die mit Klagen einhergehen. Dabei geht es nicht nur um Geld, auch andere Ressourcen spielen eine Rolle: Zeit und Arbeitskraft, kurzum der Aufwand, den ein juristisches Verfahren mit sich bringt. Und dann kommt dazu, dass der Prozess mit viel Unsicherheit verbunden ist.

»Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.« Diesen Spruch warf uns einst ein befreundeter Anwalt entgegen, als wir ihn nach dem wahrscheinlichen Ausgang eines Verfahrens fragten. Soll heißen: Man ist höherer Gewalt ausgesetzt.

Ähnlich wie in einem Gerichtssaal, in dem ein Laie oft recht verloren ist: Vieles ist schwer verständlich oder nicht nachvollziehbar, und nicht zuletzt liegt die Beweiswürdigung im Ermessen des Richters oder der Richterin. Alles Aspekte, die im Vorfeld eines juristischen Verfahrens bedacht werden müssen. Zweimal wagten wir den Schritt vor Gericht, weil wir in unserer Arbeit behindert worden waren.

In den beiden Verfahren, die DOSSIER bisher geführt hat, ging es darum, dass uns bei Recherchen Informationen von einer öffentlichen Behörde verweigert worden waren. Beide Male war die Stadt Wien unser Gegenüber.

In einem Fall recherchierten wir zu dubiosen Musikkonservatorien, die ihre Schüler·innen abzockten und mit falschen Diplomen lockten. Dafür wollten wir von der Stadt wissen, wie viele Schüler·innen bei den betroffenen Schulen insgesamt angemeldet waren – man verweigerte uns mit dem Verweis auf den Datenschutz die Auskunft.

Mithilfe der Kollegen vom Forum Informationsfreiheit (FOI), die ihre Erfahrungen im Kampf gegen das Amtsgeheimnis in dieser Ausgabe niedergeschrieben haben, brachten wir dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. Das Verfahren zog sich ein halbes Jahr. Schließlich bekamen wir Recht und von der zuständigen Bildungsdirektion die angefragte Information.

Im zweiten Verfahren, in dem es um Kosten für Werbebeilagen ging, mussten wir sogar bis vor das Höchstgericht, weil sich die Stadt Wien mit Händen und Füßen gegen die Offenlegung dieser Inseratengeschäfte wehrte. Es sollte drei Jahre dauern, bis wir die Auskunft erhielten: Es stellte sich heraus, dass die Stadt für eine einzige Beilage rund 170.000 Euro ausgegeben hatte.

Geduld, zumindest dieser vor Gericht wichtige Sack, ist bei uns prall gefüllt. Es braucht aber noch eine andere Tugend: Gelassenheit. Vor allem, wenn man selbst öffentlich angegriffen wird – auch das kam in zehn Jahren DOSSIER vor.

Als wir 2020/21 zum Energydrink-Konzern Red Bull recherchierten, brachte uns Ferdinand Wegscheider in Versuchung. In seinem wöchentlichen Kommentar Der Wegscheider unterstellte der Intendant des Red-Bull-Fernsehsenders Servus TV, dass ein DOSSIER-Mitarbeiter auf frischer Tat dabei ertappt worden sei, als er »mit Kamera bewaffnet, nächtens, illegal in das Firmengelände eines Getränkeabfüllers in Vorarlberg eindringen wollte«.

Allein auf Facebook sahen mehr als 415.000 Personen Wegscheiders Video. Uns erreichten empörte Mails von Leser·innen, die die von Wegscheider geschilderten Recherchemethoden natürlich nicht guthießen. Interviewpartner·innen zogen Zitate zurück. Freundinnen und Kollegen meldeten sich: Stimmt das, seid ihr tatsächlich wo eingestiegen?

Nüchtern gesagt: Wegscheiders falsche Behauptungen schädigten unseren Ruf. Wir wiesen den TV-Macher auf die falschen Unterstellungen hin und forderten ihn auf, das Video aus dem Netz zu nehmen. Das passierte nicht – und schon war er da, dieser Reflex, zu klagen.

Die Situation erinnerte uns an einen Vorfall, der sich 2014 rund um die österreichischen Medien­tage, auf denen wir mit dem Medienzukunftspreis ausgezeichnet wurden, zugetragen hatte. Damals feierte Eva Dichands Gratiszeitung Heute ihr zehnjähriges Jubiläum.

Zu diesem Anlass veröffentlichten wir eine Artikelserie, in der wir uns umfassend mit der bis heute ungeklärten Gründungsgeschichte der Zeitung befassten. Daraufhin ließ die Verlegerin ihrer Wut freien Lauf: Über Twitter und per Presseaussendung bezeichnete Dichand uns öffentlich als »Denunzierungsplattform«. Für ein journalistisches Produkt doch ein wenig rufschädigend.

2012 wollte uns Dichand klagen. 2014 überlegten wir, sie zu klagen. Wie später bei Wegscheider folgten wir jedoch dem Rat unserer Anwält·innen: »Antwortet journalistisch!« Das taten wir und sparten Zeit, Geld und Kraft. Denn Gelegenheiten, Gerichtssäle von innen zu sehen, gibt es in diesem Job ohnehin genug. 

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