Nie mehr Schule? Nimmt man es mit dem Journalismus ernst, lautet das Motto eher: lebenslanges Lernen! In diesem Berufsfeld tut sich einfach zu viel: neue Erzählformen, neue Medien, neue Datenbanken und Quellen – all das verändert den Journalismus. Um am Puls der Zeit zu bleiben, besuchen wir Konferenzen und Seminare für investigativen Journalismus in Hamburg oder Riga. Denn Journalismus ist ein Handwerk, das sich erlernen und verbessern lässt. Wir geben unser Wissen aber auch weiter – ob als Lehrbeauftragte von Universitäten und Fachhochschulen oder als Vortragende der DOSSIER-Academy, unseres Weiterbildungsangebots für angehende und etablierte Journalist·innen. Im September 2014 waren erstmals 20 Journalist·innen unserem Aufruf gefolgt und hatten sich für unseren Workshop zu investigativer Recherche beworben; darunter viele »High Potentials« wie etwa Paul Krisai, heute Leiter des ORF-Korrespondentenbüros in Moskau.
Aus einer Idee, die wir schon lange hatten, wurde Wirklichkeit. Im Rücken eine Tafel, im Angesicht 20 Journalist·innen – ein Sprung ins kalte Wasser. Wir waren etwas nervös, auch wenn wir genau von dem erzählten, was wir jeden Tag tun. Von den Schritten, die es im Vorfeld braucht, bevor eine Geschichte entsteht. Wie man an Informationen kommt. Welche Möglichkeiten, Datenbanken und Archive es dafür gibt. Am Ende der acht Stunden rauchten im Seminarraum die Köpfe. Alle. Nicht nur die der Kolleg·innen, sondern auch unsere. Denn im Eifer hatten wir zu viel Stoff vorbereitet, und so richtig klar war uns eigentlich auch nicht, ob das, was wir da so referierten, überhaupt verständlich war. War das alles zu dicht? Zu schnell? Klar war nur: Uns hatte die Lust am Unterrichten gepackt. Und zwar richtig.
In den folgenden Jahren gingen wir mit unseren Weiterbildungskursen auf Tour. Zuerst in Österreich mit Stopps in Graz und Salzburg, Eisenstadt, St. Pölten, Bad Ischl und Linz. Später ging es über die Grenzen nach Meran, nach Zürich oder zur Axel-Springer-Akademie in Berlin. Bis heute haben wir mehr als 90 Workshops abgehalten und unser Wissen über Recherche, Daten, Storytelling und Multimedia an rund 1.300 Journalist·innen weitergegeben. Ein angenehmer Nebeneffekt: Auf unseren Touren durchs In- und Ausland haben wir Kontakte zu kleineren und größeren Redaktionen geknüpft und durften engagierte Menschen kennenlernen, mit denen wir in der Folge an Projekten gearbeitet haben.
Wir konnten bei der Entwicklung der Academy auf starke Partner·innen bauen. Die wohl bekanntesten außeruniversitären Ausbildungsinstitute für Journalist·innen in Österreich haben uns von Tag eins an unterstützt. Das Forum Journalismus und Medien (Fjum) und die Österreichische Medienakademie (vormals Kuratorium für Journalistenausbildung, kurz KfJ) haben an uns und unsere Workshops geglaubt, diese mitfinanziert und bei der Organisation der Kurse geholfen: Aus Kooperationspartner·innen sind Verbündete im Geiste geworden. Danke!
In Zukunft wollen wir unser Weiterbildungsangebot auf eine neue Stufe heben. Den Grundstein dafür legten wir in diesem Jahr: Im April 2022 veranstalteten wir in Kooperation mit dem Volkstheater Wien die erste Konferenz für investigativen Journalismus in Österreich. Auf der Bühne der Roten Bar berichteten nationale wie internationale Journalist·innen von ihrem Arbeitsalltag. Es ging um investigative Kriegsberichterstattung, um Journalist·innen auf der Flucht vor Verfolgung; um Recherchen, mit denen grenzüberschreitende Missstände aufgedeckt wurden. Unsere Gäste aus Deutschland, der Ukraine und England erzählten vor knapp einhundert Menschen im Publikum von ihren Erfahrungen.
Julia Wallace vom Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) oder Michael Nikbakhsh vom Profil zeigten, wie sie für den »Russian Asset Tracker« auf die Suche nach russischem Vermögen gingen. Über ein Wiedersehen freuten wir uns besonders: Paul Krisai war aus Moskau zugeschaltet und berichtete über seine Arbeit, die seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine unter erschwerten Bedingungen stattfindet. Mit ihm schließt sich ein Kreis, und es wird einmal mehr klar: Journalismus ist ein Handwerk, das Lernende zu Lehrenden und Lehrende zu Lernenden macht.