Weil sie nicht wollen

Seit knapp einem Jahrzehnt versprechen Politiker·innen verschiedener Parteien, das Amtsgeheimnis »demnächst« abzuschaffen. Ebenso lange geloben sie mehr Transparenz in Politik wie Verwaltung. Damit holten sie sich immer wieder Vorschusslorbeeren und positive Berichterstattung ab – zu Unrecht, denn im Kern bleibt alles beim Alten.

Politik und Medien17.10.2022 

Text: Markus Hametner, Mathias Huter (Forum Informationsfreiheit)
Illustration: Jakob Listabarth

Teil 1: Aus der Zeit gefallen

Stellen Sie sich mal vor, Sie haben einen Verdacht. Bei einem Inseratengeschäft des Finanzministeriums soll etwas nicht sauber abgelaufen sein. Umfragen sollen manipuliert, ­Berichterstattung gekauft und die Geldflüsse teilweise verschleiert worden sein. Was tun?

In Schweden – wie in den meisten anderen Staaten der EU – könnten Sie einfach den Vergabeakt des fragwürdigen Geschäfts einsehen. Sie ­bekämen Rechnungen und Verträge; sogar ­E-Mails über die konkrete Geschäftsanbahnung. Selbst SMS-Nachrichten von Staatsdiener·innen kann man anfragen und erhalten. In Österreich ist das unvorstellbar.

Hier muss schon Kommissar Zufall ran; etwa mit einem auf Ibiza unter umstrittenen Umständen gedrehten Video, das zu Ermittlungen führt, im Zuge derer man wiederum auf Thomas Schmid, jede Menge Chatnachrichten und schließlich auf dubiose Inseratengeschäfte stößt.

Vor 256 Jahren wurde in Schweden das sogenannte Öffentlichkeitsprinzip eingeführt. Dieses Recht gewährt Bürger·innen seither Einsicht in fast alle Vorgänge von Behörden und öffentlichen Stellen, vom Minister- bis zum Bürgermeister·innenbüro, von der Lebensmittel­inspektion zum Rechnungshof.

Das Öffentlichkeitsprinzip ist das Knäckebrot des gut genährten Vertrauens der Schwed·innen in ihren Rechtsstaat, und nebenbei eine Goldgrube für Journalist·innen. In Österreich ist es genau umgekehrt, auf den Kopf gestellt: Seit fast 100 Jahren steht hier das Amtsgeheimnis in der Verfassung.

1925 wurde es in den Verfassungsrang gehoben und eine Amtskultur, die man aus der Monarchie der Habsburger kannte, in Verwaltungsapparat und Rechtsstaat der Ersten und der Zweiten Republik fortgeführt. Das macht Österreich heute zum letzten demokratischen Staat Europas, der seinen staatlichen Institutionen eine Kultur des Schweigens per Verfassung vorschreibt.

Bei einem Bruch des Amtsgeheimnisses drohen Mitarbeiter·innen von Behörden im Extremfall bis zu drei Jahre Haft. Die Stoßrichtung für die Verwaltung ist also klar: lieber so lange wie möglich mauern und Informa­tionen zurückhalten, statt offen und bürger·innenfreundlich zu handeln. Auch die seit 1987 geltenden Auskunftspflichtgesetze in Bund und Ländern bieten Bürger·innen kein Recht auf Zugang zu staatlichen Dokumenten.

Verwaltungsbehörden sind demnach lediglich verpflichtet, auf Anfrage eine Auskunft zu erteilen. Im Idealfall bekommt man eine kurze Zusammenfassung des Wissensstandes der Behörde. Originalverträge, Rechnungen, Korrespondenzen? Fehlanzeige. Und dafür dürfen sich Behörden acht Wochen Zeit lassen.

Wie sehr Österreichs staatliche Geheimnistuerei inzwischen aus der Zeit gefallen ist, zeigt das Global Right to Information Rating, das die ­Bürger·innenfreundlichkeit von Transparenzgesetzen bewertet. Unter 136 Ländern liegt Österreich an der letzten Stelle – punktgleich mit dem pazifischen Inselstaat Palau.

Das Informationsfreiheitsgesetz der Slowakei aus dem Jahr 2000 landet in dem Ranking zwar nur auf Platz 107 – seit 2011 treten dort aber öffentliche Verträge nur dann in Kraft, wenn sie im Volltext im Internet abrufbar sind. Anders in Österreich. Hier verweigern öffentliche Stellen mitunter sogar Auskünfte, obwohl eine grundsätzliche Pflicht zur Offenlegung besteht.

Bestes Beispiel: das sogenannte Medientransparenz­gesetz. Seit 2012 in Kraft, schreibt es öffentlichen Stellen vor, einmal im Quartal die Kosten für Werbeausgaben in periodischen Medien zu melden, sofern der dafür ausgegebene Betrag über 5.000 Euro liegt. So weit, so gut.

Das Pro­blem: Durch Lücken im Gesetz, die zum Teil ausgenutzt werden, fließen Jahr für Jahr Millionen Euro an Steuergeld an der Offenlegungspflicht vorbei. Das betrifft Geldflüsse des Finanzministeriums, die in der Inseratenaffäre rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Rolle spielen, ebenso wie etwa Zahlungen der Stadt Wien an parteinahe Verlage.

DOSSIER musste die Frage nach den Kosten einzelner Inserate und Beilagen deswegen in einem drei Jahre dauernden Verfahren gegen die Stadt Wien vor Gericht klären. Anstatt die Auskunft zu erteilen, brachte die Stadt Wien zwei Geheimhaltungsgründe durch alle Instanzen vor: Datenschutz und Geschäftsgeheimnis – zwei Gründe, die von vielen staatlichen Stellen ins Treffen geführt werden, wenn es um die Transparenz staatlichen Handelns geht.

Der dritte Grund, der oft bemüht wird: der Aufwand, also Geld. Diese Dreifaltigkeit der Intransparenz spielt nicht nur vor Gerichten, sondern auch in der politischen Diskussion rund um die Einführung eines zeitgemäßen Informationsfreiheitsgesetzes eine Rolle.

Nimmt man sie unter die Lupe, muss man zu dem Schluss kommen, dass es lediglich Ausflüchte sind; und dass es letztlich an etwas anderem scheitert: dem politischen Willen. Denn natürlich geht es bei der Forderung nach Transparenz nicht um persönliche Daten von Menschen – diese bleiben geschützt –, sondern um Informationen des Staates.

Natürlich geht es auch nicht darum, Geheimnisse von Firmen zu verraten; technische Spezifikationen und geistiges Eigentum werden ebenso gewahrt wie geschäftliche Interessen. Sonst hätte es wohl Ex-Präsident Donald Trump in den USA, wo es seit 1967 den Freedom of Information Act (FOIA) gibt, nicht geschafft, seine Steuererklärungen jahrelang geheim zu halten.

Für grundsätzliche Bedenken existieren also Lösungen (siehe Teil 3), die auch in vielen Staaten Europas seit Jahren gelebt werden, vom Baltikum bis zum Balkan.

Bleibt die Frage des Geldes. Hier lautet die schnelle Antwort: Natürlich wird Transparenz etwas kosten. Es wird geringfügig mehr Personal brauchen, um einen kurzfristigen Anstieg an Anfragen von Bürger·innen ordnungs- und vor allem fristgemäß zu bearbeiten. Dafür wird man Ressourcen in die Hand nehmen müssen.

Die entscheidende Frage ist aber eine andere: Wie viel spart Transparenz? Ein Beispiel: Die Kosten eines einzigen Inseratengeschäfts, das von der Stadt Wien nicht gemeldet wurde und dessen Offenlegung DOSSIER gerichtlich erstreiten musste, beliefen sich auf rund 170.000 Euro.

Dazu muss man wissen, dass nicht nur der Werbewert dieses Geschäfts höchst fragwürdig war, sondern dass dutzende, wenn nicht hunderte solcher Geschäfte in Wien abgeschlossen wurden – was eine andere Frage aufwirft: Wurde hier Steuergeld wirklich sparsam, zweckmäßig und wirksam eingesetzt?

Erst Transparenz macht die Beantwortung solcher Fragen überhaupt möglich. Sie führt zu öffentlichen Diskussionen, zu öffentlichem Druck. Im Idealfall wirkt sie präventiv: Wenn staatliche Akteur·innen wissen, dass beispielsweise nicht nur das Volumen eines Geschäfts preisgegeben werden muss, sondern der gesamte Vergabeakt öffentlich wird, überlegen sie sich vielleicht im Vorhi­nein, warum und wie sie Steuergeld einsetzen.

Transparenz ist eben auch, da sind sich Expert·innen weltweit einig, eine geeignete Waffe gegen Misswirtschaft, Machtmissbrauch, kurzum: gegen Korruption.

Teil 2: Lippenbekenntnisse

Oftmals braucht es erst einen handfesten Skandal, der Regierende zwingt, mehr Transparenz zu schaffen. In den USA geschah dies etwa nach dem Watergate-Skandal rund um US-Präsident Richard Nixon Anfang der 1970er-Jahre.

Die legendären Enthüllungen der Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein führten nicht nur zu Nixons Rücktritt, sondern auch dazu, dass der FOIA 1974 novelliert und seither zu einem wirkungsvollen Transparenzinstrument wurde. Übrigens steht er allen Menschen, wohlgemerkt nicht nur US-Amerikaner·innen, zur Verfügung. Viele Journalist·innen nutzen ihn für ihre Recherchen.

Und in Österreich? Hier reichen erste dokumentierte Forderungen nach der Abschaffung des Amtsgeheimnisses jedenfalls in die 1980er-Jahre zurück. Richtig in Fahrt kam der Kampf gegen staatliche Intransparenz aber erst vor ungefähr zehn Jahren. Österreichs Politik war damals, ähnlich wie heute, von einem Haufen an Skandalen geprägt.

Die Affären der schwarz-blau-orangen Regierungen (2000–2007) – Telekom, Eurofighter, Buwog, um nur drei zu nennen – sollten aufgearbeitet werden. Auch die dubiosen Inseratengeschäfte von Werner Faymann, Josef Ostermayer, Doris Bures (alle SPÖ) und Nikolaus Berlakovich (ÖVP) hatten ihren Weg an die Öffentlichkeit gefunden.

Die Justiz ermittelte, die politische Verantwortung wollte man in einem Untersuchungsausschuss klären. Der wurde ein- und rasch wieder abgesetzt. Die SPÖ-ÖVP-Regierung beendete die unliebsame Untersuchung einfach mit ihrer Stimmenmehrheit im Parlament – ja, das war damals noch möglich. Geklärt war damit einmal mehr wenig, doch das Maß war voll.

Anfang 2013 formierte sich eine Initiative aus der Zivilgesellschaft, die genau das nicht mehr hinnehmen wollte: Das Forum Informationsfreiheit (FOI) entstand. Die Autoren dieses Beitrags engagieren sich seither dafür.

Die Forderung: ein gläserner Staat statt gläserne Bürger·innen, also mehr Transparenz in Politik und Verwaltung samt einem Verhältnis auf Augenhöhe.

Das Ziel: ein Informationsfreiheitsgesetz als in der Verfassung verankertes Grundrecht auf Zugang zu staatlicher Information, inklusive staatlicher Dokumente – egal in welcher Form. Ob Vertrag, Kalendereintrag einer Ministerin, Aktenvermerk, Studie oder E-Mail eines Lobbyisten an einen Sektionschef: All diese Informationen müssten grundsätzlich anfragbar sein.

Damit man möglichst rasch und unbürokratisch an die gesuchte Information kommt, bedeutet das in der Praxis: kurze Fristen. Eine staatliche Stelle sollte spätestens binnen drei Wochen auf eine Anfrage antworten müssen – selbst das wäre nicht einmal besonders bürger·innenfreundlich: In Albanien liegt die Frist bei zehn Tagen, in Estland und Armenien bei fünf Arbeitstagen.

Das Argument: Die Bürger·innen sind der Souverän. Somit haben sie ein Recht darauf, jene Informationen zu kennen, auf deren Grundlage Entscheidungen getroffen werden und Politik gemacht wird.

Vielleicht leuchtete das Argument ein, vielleicht war es nur die Flucht nach vorn, jedenfalls gelobte jene Regierung, die 2012 eben erst den U-Ausschuss abgedreht hatte, tatsächlich Besserung: Das Amtsgeheimnis sollte abgeschafft werden, versprach Kanzler Werner Faymann nur wenige Wochen nachdem die Initiative gestartet war und mit einer Petition mehr als 13.000 Unterschriften gesammelt hatte.

Faymanns Versprechen war, wie viele danach, ein Lippenbekenntnis. Bis auf die Regierung Kurz I, also Türkis-Blau (2017–2019), versprachen seither alle Bundesregierungen, das Amtsgeheimnis abzuschaffen und echte Informationsfreiheit zu schaffen – und brachen ihr Wort.

Wie übrigens auch viele Akteur·innen in den Bundesländern – dort verweisen auf Anfrage von ­DOSSIER etwa die SPÖ Wien oder die Neos in Salzburg auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Nur: In den Landes-Auskunftspflichtgesetzen könnten sie kürzere Fristen, stärkere Abwägungen oder gar die Möglichkeit, Dokumente zu beantragen, vorsehen.

Teil 3: Blockade und Lösung

Derzeit heißt es im aktuellen Regierungsprogramm, das ÖVP und Grüne Anfang 2020 unterzeichneten, unter dem Punkt »Kontroll- und Transparenzpaket«: »Abschaffung des Amtsgeheimnisses« und »einklagbares Recht auf Informationsfreiheit«. Zweifelsohne trägt das eine Grünen-Handschrift, doch es ist nur die halbe Miete.

Wie die SPÖ in Wien tut sich die ÖVP im Bund mit echter Transparenz schwer. So kommt es, dass es in Wien trotz Ankündigung noch kein Transparenzgesetz gibt und im Bund der Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes seit mehr als einem Jahr in der Schublade liegt.

»Wir sperren uns nicht gegen Informationsfreiheit«, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer beim Bundesparteitag der ÖVP im Mai 2022 – aber: »Wir sind auch die Partei der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Ja zu Transparenz, aber auch: ja zu einer funktionierenden Verwaltung, die nicht von Querulanten lahmgelegt werden kann.«

Die Sorge zieht sich durch die ÖVP, vom Bund über die Länder bis in die Gemeinden. Anfrageflut, zu kurze Fristen, eine Überlastung der Ämter – die Ängste von Städtebund, Gemeindebund und Landesregierungen sind in den Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf nachzulesen. Dabei zeigen internationale Vorbilder, dass sich niemand vor wissbegierigen Bürger·innen fürchten muss.

Vor allem ist es nicht notwendig, wie von Kritiker·innen vorgeschlagen, die Informationsfreiheit erst recht wieder präventiv einzuschränken – etwa die Transparenz auf jene Gemeinden zu beschränken, in denen der Hauptwohnsitz liegt, oder Fristen auf bis zu drei Monate auszudehnen. Es gibt sinnvolle Mechanismen, um eine Überlastung der Verwaltung zu verhindern.

Neben der Bereitstellung von finanziellen Ressourcen spielt hier insbesondere die Schaffung einer neuen Stelle eine wichtige Rolle: jene einer/eines Informationsfreiheitsbeauftragten.

Sie oder er steht der Verwaltung bei der Umsetzung von Transparenzregeln zur Seite; schafft öffent­liches Bewusstsein für Transparenz, ist Anlaufstelle für Bürger·innen beim Zugang zu Information und kann im Fall eines Streits zwischen staatlicher Stelle und Anfragenden vorentscheiden, welche Informationen zu veröffent­lichen und welche schützenswert sind und deshalb geheim bleiben können.

Ein·e Informationsfreiheitsbeauftragte·r könnte also gerade kleinere Gemeinden bei der Umsetzung der Transparenzbestimmungen unterstützen und etwa dabei helfen, einen »Querulanten« von einer Journalistin zu unterscheiden. Das Problem: Just die »Bürgermeister·innen-Partei« ÖVP will eine solche unabhängige Stelle nicht.

Um einer möglichen Anfrageflut vorzubeugen, gibt es noch einen Ansatz: Was bereits veröffentlicht und auffindbar ist, muss nicht erst mühsam beauskunftet werden. Sauber und elektronisch geführte Akten und eine aktive Veröffentlichungspflicht für Informationen und Dokumente von öffentlichem Interesse könnten Anfragen vorwegnehmen.

Entscheidungen der Verwaltung, Studien, Gutachten, Statistiken und Verträge würden automatisch von staatlichen Stellen veröffentlicht, interessierte Bürger·innen könnten sich eigenständig informieren – zum Beispiel in einem zentralen Dokumentenregister. An Fachabteilungen vorbei vergebene Studien, die nicht einmal ordentlich veraktet werden, müssten somit der Vergangenheit angehören.

Doch von aktiven Veröffentlichungspflichten, wie sie in anderen Ländern existieren, sind wir noch immer weit ­entfernt. So landen die Empfänger·innen von staatlichen ­Förderungen in Österreich zwar in der sogenannten Transparenz­datenbank. Doch diese ist – kein Scherz – für die Öffentlichkeit nicht einsehbar.