Seeles Watschenmänner

Ein europaweiter Trend ist in Österreich angekommen: Einschüchterungsklagen, sogenannte Slapps, häufen sich. Die OMV-Klage gegen DOSSIER zeigt, wie ein Konzern mit viel Geld und wenig Skrupel gegen kritische Medien vorgeht. Ein Erfahrungsbericht.

Text: Ashwien Sankholkar; Illustration: Ulrich Fuchs

Politik und Medien17.10.2022 

Am Tag der bisher größten Krise in der Geschichte der ­Raffinerie Schwechat kam es auch zum Big Bang bei der OMV: Bei der Hauptversammlung der ­börsennotierten AG verweigerte die Mehrheit der Aktionär·innen – darunter die österreichische Staatsholding Öbag (31,5 Prozent) und der Abu-Dhabi-Staatsfonds Mubadala (24,9 Prozent) – ­Rainer Seele die Entlastung fürs Geschäftsjahr 2021. Der Grund: Der 62-jährige Ex-CEO des Öl-, Gas- und Chemieriesen soll wichtige Vorstandsrichtlinien verletzt haben.

Wenige Wochen vor der Hauptversammlung am 3. Juni 2022 hatte ­DOSSIER eine im August 2020 heimlich abgeschlossene Sondervereinbarung zwischen Seele und Konzernrevisionschef Robert Eichler enthüllt. In diesem Sideletter wurden Eichler ein Kündigungsverzicht seitens der OMV und eine Entgeltfortzahlung bei unfreiwilliger Trennung garantiert.

Als Leiter des Bereichs Internal Audit & Compliance war Eichler dafür zuständig, dass im Konzern alles mit rechten Dingen zugeht. Ausgerechnet ihm sicherte der Konzernboss, der aufgrund von Reisen im Firmenjet sowie dubiosen Sponsorings in der Kritik stand, Privilegien zu? Im besten Fall: eine fatale Optik.

Was die Angelegenheit zum Skandal macht: Seele agierte ohne Vorstandsbeschluss und hinter dem Rücken des Aufsichtsrats. Nach Auffliegen des Sideletters musste Eichler zwar gehen, der Abgang soll ihm aber – eben dank Sideletter – mit mehr als einer Million Euro versüßt worden sein.

Doch damit nicht genug.

Zur eigenen Absicherung hatte sich Seele die Rechtmäßigkeit des Sideletters von der Rechtsprofessorin Susanne Kalss in einem Gutachten vom 8. Juli 2021 attestieren lassen.

Auch dieser Freibrief erwies sich als faul, wie DOSSIER am Tag vor der Hauptversammlung berichtete. Wichtige Infos für die Beurteilung – etwa der fehlende Vorstands­beschluss für den Sideletter – waren Kalss vorenthalten worden.

»In Kenntnis des von DOSSIER beschriebenen Sachverhalts hätte ich den Auftrag für das Gutachten nicht angenommen«, sagt Kalss heute. »Da sind die Grenzen des Aktienrechts überschritten worden. Die rechtliche Würdigung aus dem Jahr 2021 ist heute nicht mehr vollinhaltlich zulässig.« Die Professorin kommt zum Schluss, dass Seele »Sorgfaltspflichten verletzt« habe.

Die folgenreiche ­Sideletter-Affäre wäre wohl nie öffentlich geworden, wenn sich die OMV mit ihrer sogenannten Slapp-Aktion gegen DOSSIER Ende 2020 durchgesetzt hätte. Das Akronym steht für »strategic lawsuit against public participation« und ist angelehnt an das englische Wort »slap«, also schlagen, ohrfeigen oder abwatschen. Als Slapp wird eine rechtsmissbräuchliche Klage bezeichnet, die kritische Stimmen einschüchtern soll.

Wäre die OMV erfolgreich gewesen, DOSSIER hätte wohl zusperren müssen.

Denn in der OMV wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um investigative DOSSIER-Recherchen zu verhindern: Seeles Watschenmänner und -frauen, also Anwälte, Gutachter·innen und PR-Berater, cashten in Summe rund 431.000 Euro ab. Zudem schaltete die OMV laut eigenen Angaben Inserate im Wert von 760.000 Euro in TV und online beziehungsweise auf Social Media, um das durch DOSSIER ramponierte OMV-Image zu korrigieren.

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