In der Zwickmühle

DOSSIER ist werbefrei, Einflussnahme von ­Inseratenkunden daher ausgeschlossen. Dennoch finden auch wir uns in ­Situationen wieder, die unsere journalistischen Ideale hart auf die Probe stellen. Eine Beichte.

Text: Florian Skrabal; Illustration: Jörg Vogeltanz

Politik und Medien17.10.2022 

Es gibt Situationen, da hadert man lange mit sich und weiß nicht, was zu tun ist. Dann wiederum gibt es Momente, in denen sofort klar ist, wie man handeln soll und wird. Als DOSSIER 2012 erstmals online ging, erreichte die Redaktion bald ein zweifelhaftes Angebot: Ein Wiener Oppositionspolitiker, der einst zu manchen Recherchen Informationen geliefert hatte, schlug vor, dass man, also die Partei, Werbung auf dossier.at schalten könnte. Danke, aber nein, danke!

Von Anfang an war für uns klar: Um Polit-Inserate machen wir einen großen Bogen. Zumal dies einen zweiten Grundsatz von DOSSIER verletzt hätte: Werbefreiheit. Wir wollen uns nicht auf die Jagd nach Klicks begeben oder in Abhängigkeiten von Werbekund·innen geraten, über die wir mitunter kritisch berichten. So einfach ist es – und so schwer.

Seither haben wir auf der Suche nach Finanzierungsformen, die ebenso ausreichend wie nachhaltig sein und gleichzeitig größtmögliche Unabhängigkeit garantieren sollen, viel ausprobiert. Bevor wir unser Mitgliedermodell entwickelt und dieses erfolgreich über Crowdfunding beworben haben, setzten wir vorrangig darauf, unsere journalistischen Kompetenzen an andere Medien zu verkaufen.

Wir gingen Kooperationen ein. Mit dem Standard recherchierten wir zu Niederösterreichs Landtagswahlen 2018, entwickelten mit dem Falter die Graphic Novel Supernaked zur Buwog-Affäre. Mit dem inzwischen eingestellten Onlineprojekt nzz.at schrieben wir über Wiener Wohnen, die größte Wohnungseigentümerin Europas.

Projekte, bei denen mal mehr, mal weniger Geld floss. Dabei lief die Zusammenarbeit stets so ab, wie man sich das vorstellt: unabhängig, kritisch, auf Augenhöhe. Nie gab es auch nur den Versuch zu intervenieren, mit einer Ausnahme.

Als wir eine Story über redaktionelle Artikelserien recherchierten, die den früheren Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) unter anderem im Magazin News auffällig wohlwollend abgebildet hatten und deshalb wie ungekenn­zeichnete Werbung wirkten, griff die damalige News-Chefredakteurin Esther Mitterstieler zum Hörer.

In einem kurzen, aber befremdlichen Telefonat verwies sie darauf, dass DOSSIER und News doch Kooperationspartner seien. DOSSIER und News hatten damals tatsächlich kurz zuvor eine Zusammenarbeit vereinbart und gemeinsam veröffentlicht, doch damit war nach dem Telefonat Schluss. Wir veröffentlichten die Ludwig-Story, über die Kooperation wurde nie wieder gesprochen.

Im Laufe der Jahre kamen aber auch Aufträge, die wir annahmen – und die uns mit der Zeit ­finanziell abhängig machten. Vor allem die Zusammenarbeit mit den TV-Sendern Puls 4 und ORF 1.

Anders als bei den Kooperationen mit Standard, Falter und Co spülten diese Geschäftsbeziehungen so viel Geld in die DOSSIER-Kassa, dass wir Rechnungen bezahlen und in ein eigenes Büro ziehen konnten. Ja, sogar neue journalistische Arbeitsplätze konnten wir schaffen. Ohne es gleich zu merken, fanden wir uns jedoch in einer strukturellen Abhängigkeit wieder, die ganz ohne Inserate unsere journalistischen ­Ideale auf die ­Probe stellte.

Zu Beginn des Jahres 2015 begannen wir mit dem Autorenkollektiv Die Tafelrunde, an der ersten Staffel der Satiresendung Bist Du Deppert (BDD) zu arbeiten. Wir waren für die Recherche der gemeinsam festgelegten Themen verantwortlich, die Tafelrunde übersetzte diese in TV-taugliche Drehbücher und Sketches. Es sollten ebenso lustige wie bereichernde Jahre werden.

Die neunte Staffel ging im Herbst 2021 on air – es wird vermutlich die letzte sein, an der DOSSIER mitgearbeitet hat. Und ja, uns wurde schon relativ schnell klar, dass der Auftraggeber der Sendung, Puls 4, uns zwar freie Hand ließ, wenn es darum ging, Steuergeldverschwendung und Frechheiten von Politiker·innen aufzuzeigen, aber trotzdem eine rote Linie hat.

Die verläuft dort, wo man Werbekund·innen auf die Füße steigt. Von denen kommt schließlich das Geld, das den Privatsender hauptsächlich finanziert. Die Zwickmühle eines werbefinanzierten Mediums wurde somit auch zu unserer.

Egal ob es ein staatlicher Betrieb wie die Österreichischen Bundesbahnen oder ein privater Konzern wie die deutsche Lufthansa war, bei Puls 4 hört sich der Spaß auf, wenn Werbekund·innen durch den Kakao gezogen werden.

Das sieht dann so aus: Wie andere Airlines hatte die Lufthansa einst Agrarförderungen der EU bezogen, weil Bordmenüs teilweise als Lebensmittelexporte deklariert wurden. ­Irgendwie frech. Zwar wurde der Beitrag ausgestrahlt, doch beim Namen durfte die Lufthansa nicht genannt werden.

Bei Puls 4 entschied man, diesen wie auch andere Werbekund·innen in einigen der Satirebeiträge nicht zu nennen, um ja nicht deren Werbeetats aufs Spiel zu setzen.

Wir protestierten. Die Tafelrunde protestierte, wie übrigens immer, wenn auch nur der Hauch einer Intervention oder von vorauseilendem Gehorsam ruchbar wurde. Auch die Produktionsfirma setzte sich stets für die gemeinsame journalistische Sache ein. Doch das letzte Wort lag und liegt wohl noch immer beim Sender.

Heute heißt es dazu von Puls 4: »Aus redaktionellen Gründen werden in unserem Sender keinerlei Marken oder Logos gezeigt, wenn es sich nicht explizit um Produktplatzierungen handelt.« Wer zahlt, schafft eben an.

Wir fügten uns zähneknirschend und nahmen es ebenso hin, als man sich beim Sender entschloss, ein bereits aufgezeichnetes Interview mit dem Studiogast Rainer Fleckl, damals Investigativjournalist bei News, aus der Sendung zu schneiden.

Fleckl sprach im BDD-Studio über Malversationen rund um die Burgtheater-Affäre, zu der 2016 ein Rechnungshofbericht erschienen war. Die Recherchen des Journalisten zeigten, dass die Anfänge in der Causa weiter zurückgingen als bis dahin angenommen. Auch der einstige kaufmännische Direktor des Burgtheaters, Thomas Drozda, soll darin verwickelt gewesen sein. Drozda war in der Zwischenzeit zum Medien- und Kulturminister aufgestiegen (SPÖ).

Beim Sender argumentierte man, das Gespräch nicht ausstrahlen zu können, weil das Gebot der Ausgewogenheit damit verletzt würde. Drozda könne sich nicht dagegen wehren. Das Gegenargument, dass es sich bei Fleckls Ausführungen um Fakten handelt, verhallte.

Wenige Monate später erschien diese Episode dann in einem neuen Licht: Medien meldeten, dass sich Minister Drozda eine Übernahme des TV-Senders ATV durch die Puls-4-Eigentümerin, die deutsche ProSiebenSat.1-­Gruppe, unter Auflagen vorstellen könne.

Wehte daher der Wind? Wollte man sich mit dem Minister in der heiklen Phase einer Übernahme einfach nicht anlegen? Wir wissen es bis heute nicht. Dafür wissen wir, warum ein anderes Thema bei einem anderen Sender einfach nicht durchzubringen war.

Im Auftrag des ORF übernahmen wir ab 2019 Recherchen für die im selben Jahr gestartete Late-Night-Satire-Show Gute Nacht Österreich mit Peter Klien. Auch hier stießen wir an unsere journalistischen Grenzen.

Von der ersten Sitzung an schlugen wir vor, eine Sendung über den Österreichischen Skiverband, kurz ÖSV, zu machen. »Der mächtigste Sportverband unter der Lupe: ­sexueller Missbrauch, Doping, Interessenkonflikte und jede Menge Steuergeld – trotzdem spurt Österreichs Politik« lautete unser Pitch.

Eigentlich aufgelegt, oder? Auch in diesem Fall hatten wir die Rechnung ohne den Hüttenwirt gemacht.

Das Thema wollte schlichtweg nicht durchgehen. Zunächst nahmen wir es ohne eine Begründung hin. Doch je länger unsere Zusammenarbeit andauerte, je öfter wir mit dem ÖSV-Thema nicht durchkamen, umso genauer wollten wir es wissen. Schließlich gab es auch eine Erklärung: Die Medienrechte des ÖSV würden bald ausgeschrieben, da wolle man es sich mit dem Verband und dessen damaligem Präsidenten Peter Schröcksnadel nicht verscherzen.

Wirtschaftlich leuchtete das ein, die Quoten der Skirennen sind zu gut. Sie zählen mitunter zu den stärksten Sendungen des ORF. Journalistisch sahen wir das natürlich anders. Doch was tun?

Aus den jeweiligen Verträgen aussteigen und damit wichtige Einnahmen verlieren? Wie bei Puls 4 berührte die Entscheidung des ORF genau jene journalistischen Prinzipien, die wir seit der Gründung von DOSSIER hochhalten: unabhängige und kritische Berichterstattung. Übeltäter·innen und Unrecht beim Namen nennen. Mit unseren Recherchen dort anfangen, wo andere aufhören.

Diesem Anspruch wurden selbst wir, die wie in diesem Magazin andere Medien kritisch beleuchten, nicht immer gerecht. Auch wir waren abhängig. So wie für andere Medien Inserate zum Überleben wichtig sind, waren es für uns Aufträge anderer Medien. Damit mussten wir uns deren Interessen, ganz gleich, wie diese gelagert waren, fügen.

Als der ORF Anfang 2021 Gute Nacht Österreich vorübergehend einstellte – inzwischen wurde die Sendung wieder ins Programm genommen – und wir diesen Auftrag verloren, wagten wir den Sprung nach vorn: Einmal mehr riefen wir die Menschen dazu auf, uns direkt zu unterstützen. Und das taten sie.

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