Eine Frage der Ehre – und des Geldes

Politik und Medien17.10.2022 

Text: Georg Eckelsberger, Florian Skrabal, Sahel Zarinfard  

Illustration: Jörg Vogeltanz

Der 13. April 2021 war für DOSSIER ein Schicksalstag. Als wir morgens unsere Laptops aufklappen, ist die Lage trist. Noch immer. Monate zuvor ist uns ein wichtiger Rechercheauftrag weggebrochen. Spätestens im Juni würden unsere finanziellen Reserven aufgebraucht sein. Außerdem stapeln sich seit Weihnachten Anwaltsbriefe in der Redaktion. Gesamtstreitwert: 151.000 Euro. Anders gesagt: Es ist Feuer am Dach!

Einige Wochen zuvor hatten wir, das Kernteam von DOSSIER, eine Bestandsaufnahme gemacht, um zu besprechen, wo wir gerade stehen. Eine Krisensitzung, in der es einmal mehr ums leidigste aller Themen ging: Geld. Seit der Gründung 2012 begleitete es uns. Aber im Vergleich zum Start vor einem Jahrzehnt war ­etwas anders.

2021 hatten wir viel zu verlieren: unser Medium, in das wir Jahre unseres Berufslebens investiert hatten. Den Glauben unserer Unterstützer·innen, Familienmitglieder und Freund·innen, die uns dabei geholfen haben. Und nicht zuletzt: unsere Jobs. Fast 80 Prozent unserer Ausgaben fließen in journalistische Arbeitsplätze. Das heißt: Wenn wir sparen müssen, geht das nur beim Personal.

Was sind die Optionen: Leute kündigen? Ernsthaft? Bei wem beginnen? Und wie soll es dann weitergehen? Wie würden wir DOSSIER wieder auf wirtschaftlich solide Beine stellen können? Nach neun Jahren hatten wir gelernt, nicht aufzugeben. Es konnte nicht einfach so Schluss sein. Es gibt immer einen Ausweg.

Am Abend des 13. April 2021 stand es dann fest. Die Flucht nach vorn war geglückt – und mehr als das: Ein Wendepunkt in der Geschichte von DOSSIER war erreicht – erstmals stand unsere Rechercheplattform wirtschaftlich gut da.

Alles, was es gebraucht hatte, war ein Hilferuf. Wir starteten eine Crowdfunding-Kampagne. Nein, wir mussten eine Crowdfunding-Kampagne zur Rettung von DOSSIER starten. Es war unsere letzte Chance. Die Nachricht verbreitete sich. Innerhalb von 24 Stunden folgten mehr als 1.000 Menschen unserem Hilferuf. Innerhalb weniger Wochen kamen weitere 2.000 dazu, die unsere Vision von Journalismus unterstützen.

Aus der Krise wurde eine Chance, denn unsere Mitgliederzahl war auf mehr als 5.000 Personen angewachsen. Zum ersten Mal in zehn Jahren haben wir so viele Menschen auf unserer Seite und sind unserem Ideal der Unabhängigkeit näher als je zuvor. Heute, mehr als eineinhalb Jahre später, glauben wir, dass für den Erfolg des Crowdfundings vor allem Transparenz eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Wir hatten uns vorgenommen, offen und direkt über unsere missliche Lage zu sprechen. Wie wir in diese gekommen sind, wollen wir hier erzählen. Es beginnt mit einem Eingeständnis.

Als DOSSIER im Oktober 2012 mit der ersten Story online ging, war gänzlich ungeklärt, wie sich das Projekt finanzieren sollte. Wir wussten nur, was wir nicht wollten: Werbung. Denn schon die erste DOSSIER-Recherche beschäftigte sich mit den schädlichen Abhängigkeiten, die durch ­(öffentliche) Inserate in Zeitungen entstehen. Schon deshalb kam Werbung nicht infrage.

Zudem herrschte in der Medienbranche ohnehin allgemeine Untergangsstimmung. Die goldenen Zeiten des Journalismus – so die älteren Semester, die uns an der Fachhochschule unterrichteten – seien vorbei. Das Werbegeld, das einst paradiesische Gehälter und Privilegien finanziert hatte, war futsch. Abgeflossen ins Internet, wo selbst Österreichs Medien­riesen neben Google, Facebook und Co Zwerge sind.

Wir hatten kein Interesse, an Bord dieses sinkenden Schiffes zu gehen. Und nach der klassischen Medienlogik, wonach Zeitungen die Aufmerksamkeit ihrer Leser·innen an Werbekunden verkaufen, hätte DOSSIER ohnehin nicht funktioniert: Dazu hätten wir auf Klicks, Klicks, Klicks setzen müssen. Genau das wollen wir aber nicht.

Wir wollen Journalismus machen. Noch dazu investigativen. Was die Sache nicht unbedingt einfacher macht. Denn investigativer Journalismus ist eine unsichere Angelegenheit. Abgesehen vom Prozessrisiko braucht investigativer Journalismus Zeit. Er geht in die Tiefe und braucht den Spielraum, auch einmal leere Kilometer machen zu dürfen.

Nicht selten weiß man zu Beginn einer Recherche nicht, ob die Story hält und aufgeht. Außerdem lassen sich investigative Geschichten nicht am laufenden Band produzieren, und damit gibt es auch keine kontinuierlichen Klicks. Das war uns bewusst, als wir 2012 an den Start ­gingen – es war uns aber auch egal. Niemand von uns hatte weiter als bis zur ersten Veröffentlichung gedacht. Konsequenterweise gab es daher auch keinen Businessplan.

Wir waren Journalist·innen, keine Manager·innen. Mithilfe von family, friends and fools hatten wir knapp 3.000 Euro zusammengekratzt, um damit Kosten wie den Kauf der Domain dossier.at decken zu können. Aber was wir sofort spürten: Die Idee von DOSSIER begeisterte.

Zum Glück war uns, kurz bevor die Website online ging, noch eingefallen, einen Spenden-Button und die Kontoverbindung zu platzieren. »Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns, unabhängig zu bleiben«, stand da. In der ersten Woche erhielten wir an die 10.000 Euro von Leser·innen, die unsere Arbeit gut und wichtig fanden. Das gab Rückenwind.

Warum nicht aus einem Projekt eine eigene Redaktion machen? Okay, aber: Wie finanzieren?

Neben Werbung haben wir damals auch öffentliche Förderungen, Investor·innen und große Einzelspenden ausgeschlossen. Das fiel nicht wirklich schwer. Erstens drohte der von uns gefürchtete Geldregen ohnehin nicht, und zweitens war DOSSIER als damals reines Onlinemedium von der Presseförderung ausgeschlossen.

Wir begannen zu experimentieren. Spenden, Preisgelder, Stipendien, Kooperationen mit beziehungsweise Auftragsarbeiten für größere Medien – wir »diversifizierten« unsere Einnahmen. Sprich: Wir nahmen, was wir kriegen konnten und was nicht unseren strengen Selbstauflagen widersprach.

So hielten wir uns jahrelang mehr schlecht als recht über Wasser. Für die nachhaltige Finanzierung von DOSSIER erwiesen sich all diese Einnahmequellen aus unterschiedlichen Gründen als ungeeignet. Auf Leser·innen-Spenden ließ sich nicht wirklich bauen, zu unregelmäßig gelangen uns Scoops.

An Preisgeldern nahmen wir zwar in den ersten Jahren 21.500 Euro ein. Obwohl das viel Geld ist, zur Finanzierung eines Mediums reicht es nicht. Zumal der Wert dieser Auszeichnungen ohnehin ganz woanders lag: Er war Balsam auf unsere (selbstausgebeuteten) Seelen.

Und auch die Stipendien und Projektförderungen, um die wir ansuchten und die wir von Zeit zu Zeit auch erhielten (siehe Offenlegung), halfen. Sie hatten aber erneut einen Haken: Wie mit Preisgeld lässt sich auch damit nicht planen.

Früh haben wir daher begonnen, mit anderen Medien zusammenzuarbeiten. Recherche gegen Geld hieß die Devise, und mit Aufträgen für die Satiresendungen Bist Du Deppert auf Puls 4 und Gute Nacht Österreich im ORF machten wir finanziell einen großen Sprung nach vorn: Die Einnahmen ermöglichten, ein Büro zu beziehen.

Und fast fünf Jahre nach unserem Start konnten wir die ersten ordentlich bezahlten Jobs schaffen. Doch damit gerieten wir just in jene Zwickmühle, die wir eigentlich umgehen wollten. Wir wurden abhängig. Ein neuer Plan musste her. Um weg von Spenden und hin zu regelmäßigen Einnahmen zu kommen, entwarfen wir schon 2015 ein Mitgliedschafts­modell.

Seither kann man unsere Arbeit als Spürnase mit 52 Euro, als Informant·in mit 365 Euro oder als Kronzeug·in mit 1.200 Euro im Jahr unterstützen. Dabei ließen wir uns von internationalen Medien-Start-ups wie dem niederländischen ­De Correspondent oder der deutschen Plattform Krautreporter inspirieren. Doch während deren Mitgliedschaften für Einnahmen in Millionenhöhe gesorgt hatten, lief es bei uns nicht annähernd so gut.

Verlängerungsrate Mitgliedschaften seit dem zweiten Crowdfunding: 86 %

Jahrelang oszillierte die Zahl der DOSSIER-Mitgliedschaften im niedrigen dreistelligen Bereich. Warum? Was machten wir falsch? Setzten wir zu wenig auf Marketing und zu viel auf Journalismus? Ziemlich sicher ja.

Eine andere Erklärung findet sich in der Gratiskultur des Internets. Man musste für unsere Storys nicht bezahlen, sondern konnte sie einfach lesen. 2018 hatten wir dann die zündende Idee. Die Innovation des Jahres, die Neuheit schlechthin: ein Printmagazin! Ja, genau, ein Printmagazin.

In einer Zeit, in der so gut wie alle ­Medienhäuser digitaler werden, gehen wir in die entgegengesetzte Richtung. Und ganz ohne Ironie: Wir glauben, dass unsere Magazine das ­Potenzial haben, das wirtschaftliche Auskommen in den kommenden Jahren abzusichern. Einen Vorgeschmack darauf brachte unser erstes Crowd­funding im ­Oktober 2018.

Für die Produktion der ersten Ausgabe brauchten wir 10.000 Euro, um die Kosten für Design, Druck und Versand zu decken. Und tatsächlich, nach nur zwei Tagen hatten wir die Summe beisammen. Mit der ersten Ausgabe im ­April 2019, die sich intensiv mit der Kronen ­Zeitung beschäftigte, knackten wir die 1.000er-Marke bei den abgeschlossenen Mitgliedschaften.

Mit jedem weiteren Magazin kamen etliche weitere hinzu. Endlich haben wir ein Produkt, das wir unseren Mitgliedern in die Hand geben können. Jetzt müssen wir die Mitgliederzahl nur noch vervierfachen – und schon wäre die Millionen-Euro-Frage geklärt. 

Offenlegung

Geldflüsse an DOSSIER, die nicht auf Mitgliedschaften
zurückgehen und über 1.200 Euro liegen

Spenden von Firmen

Voestalpine
5.000 Euro (2014)

Queerbeet
2.300 (2016)

Stipendien

Egon-Erwin-Kisch-Stipendium
10.000 Euro (2013–2015)

European Journalism Fund
4.000 Euro (2022)

Förderungen

Projektförderung DOSSIER-Sources (Google DNI)
47.680 Euro (2017–2018)

Lohnnebenkostenförderung (AWS)
39.850,32 Euro (2017–2020)

Kurzarbeitsbeihilfe (AMS), Covid-19-Förderung (Cofag)
9.357,18 Euro (2020), 7.892,05 Euro (2020–2021)

Medienprojektförderung (Wiener Medieninitiave)
100.000 Euro (2020–2022)