Editorial

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Politik und Medien17.10.2022 

Es begann an einem regnerischen Oktoberabend in einer schummrigen Bar. Unsere erste Presse­konferenz. Das Café Anno im achten Wiener Gemeindebezirk kannten wir schon aus ­Studienzeiten. In dessen Hinterzimmer trafen an jenem Abend zusammen: eine Kollegin und ein Kollege von der Fachhochschule, ein junger Medienkünstler aus Vorarlberg, mein bester Freund, ich – und ein paar Journalist·innen, die unserer Einladung zur abendlichen PK gefolgt waren. Dann endlich der Moment, in dem wir zum ersten Mal die folgenden  sieben Buch­staben an die Wand projizierten: Dossier.

Wir waren nervös und unsicher, als wir 2012 das Problem darzustellen versuchten: öffentliche Inserate. Nicht nur punktuell, wenn ein Bundeskanzler gerade über seine Geschäfte mit Medien ins Visier der Justiz gerät. Strukturell. Die Stadt Wien und ihre Unternehmen schalten für zig Millionen Euro Werbung in der Gratiszeitung Heute, erklärten wir. Das verzerrt den Markt. Das beeinflusst die Berichterstattung. Das korrumpiert. Und abschließend: »Mehr dazu auf dossier.at – danke!« Dann: Stille. Bis einer von den anwesenden Journalist·innen fragte: »Und, was sollen wir jetzt damit?« Nun ja: berichten?

Zum Glück taten das viele Medien, sie übernahmen unsere Recherchen. Durch die öffentlich geäußerte, letztlich leere Klagsdrohung von Heute-Herausgeberin Eva Dichand bekamen wir zusätzlich Aufmerksamkeit. DOSSIER war plötzlich nicht mehr nur auf einer Wand und einer Website, sondern auf allen möglichen Kanälen präsent. Ein Traum. Nur wie ­sollte sich dieser Traum nachhaltig leben lassen?

Zehn Jahre später ist DOSSIER ein fixer Bestandteil von Österreichs Medienlandschaft, eine verlässliche journalistische Stimme. Das ist das Verdienst einer Vielzahl von ­Menschen: von mehr als hundert Mitarbeiter·innen und Kolleg·innen, die über die Jahre für und an DOSSIER gearbeitet haben; von jenen Menschen, die unsere Artikel lesen, die uns ihr Vertrauen schenken und uns Informationen weitergeben; und von mittlerweile mehreren tausend Mitgliedern, die uns unterstützen, indem sie unseren Journalismus finanzieren und anderen von DOSSIER erzählen.

Hinter der Idee, DOSSIER zu gründen, steht eine bittere Erkenntnis: Recherchen, die tief gehen, die Zeit brauchen, die Themen und Sachverhalte gründlich untersuchen, gibt es in Österreich nicht. So gut wie nicht. Die konzentrierte heimische Medienlandschaft samt ihren besonderen Abhängigkeiten – von politischen Interessen und von Inseraten, von ­Anzeigenkunden aus der Privatwirtschaft und von den Geschäftsinteressen einzelner ­Verlage – verhindert in vielen Fällen, dass Journalist·innen jene Ressourcen bekommen, die sie für ihre Arbeit brauchen: Zeit, Geld und Unabhängigkeit. Auf der Strecke bleiben Journa­lismus, Demokratie und Gesellschaft. DOSSIER versucht diese Lücke mit investigativem und mit Datenjournalismus ein Stück weit zu schließen.

So lautete die Mission, die wir 2012 im Hinterzimmer des Café Anno mit dem Beamer an die Wand warfen – bis heute ist sie wortgleich auf unserer Website zu lesen. Deswegen ­widmen wir uns auch in unserer Jubiläumsausgabe wieder jenem Thema, das uns seither so ­intensiv beschäftigt: dem ungesunden Verhältnis von Österreichs Politik und Medien. Was hat sich verändert? Wer ist verantwortlich? Und wer profitiert? Zeit für eine Abrechnung!