Bühne frei!

Das Volkstheater Wien und DOSSIER machen gemeinsame Sache, um neue Erzählformen für Journalismus zu entdecken. Redakteur Georg Eckelsberger und Dramaturg Calle Fuhr über die ungewöhnliche Zusammenarbeit – ein Chatprotokoll.

Politik und Medien17.10.2022 

Georg: Hi Calle! Was ich letztens vergessen habe: Wir wollen im 10-Jahres-Heft eine Doppelseite über die Volkstheater-DOSSIER-Koop bringen – und dann ist die Idee entstanden, wir könnten gemeinsam einen Text schreiben, und zwar in Form eines Chatprotokolls  Wärst du für sowas zu haben?

Calle: Na sicher!

Calle: Endlich werden auch mal Chats von mir geleakt!

Georg: Cool!

Georg: Unsere Volkstheater-Kooperation feiert ja auch schon 2,5-Jähriges. Du hast die Sache eingefädelt, als du damals zu uns in die Redaktion gekommen bist. Provokante Einstiegsfrage: Hast du das zwischendurch auch mal bereut?

Calle: Hey Georg! Die Idee zu unserer Kooperation kam durch unseren Intendanten Kay Voges zustande. Kay hatte schon aus Deutschland Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Journalist·innen gesammelt. Ich hatte davon bis zu unserem ersten Treffen keine Ahnung! Deswegen hatte ich vor unserem Treffen jetzt auch nicht megagroße Erwartungen. Ich dachte mir so, ja, klingt cool, schauen wir mal. Danach war ich erstmal euphorisch – nicht nur wegen unseres Treffens, sondern auch, weil der Gedanke, dass wir vor allem in den Bezirken (siehe Infobox, Anm.) regelmäßig zusammenarbeiten, mir bei der Konzeption für die Bezirke einen ziemlichen Boost gegeben hat! Deswegen hätte schon echt viel passieren müssen, damit ich unsere Zusammenarbeit bereue – deswegen: nein, habe ich bisher keine Sekunde. Aber Zweifel hatte ich zwischendrin auf jeden Fall. Ich habe mich gefragt, ob das wirklich Sinn macht, Theater und Journalismus zu verbinden. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass wir als Theater so einer faktischen Erzählweise nichts geben können. Seit unserer Arbeit an HELDENPLÄTZE sind diese Zweifel zum Glück weg – und ich bin sehr froh, dass wir diesen Abend im Volkstheater auch nach wie vor zeigen. Einfach weil ich den Eindruck habe, dass sich da unsere Stärken wunderbar ergänzen konnten. Wie ist das bei dir? Hattest du mal diesen Moment von »War das vielleicht alles eine Scheißidee« mit uns?

Georg: Nein, das nicht, aber Lampenfieber war definitiv dabei. Im Sinne von: Geht die Idee Theater + Journalismus auf? Interessieren sich die Leute dafür? Und: Können wir als Redaktion auch eure Erwartungen erfüllen? Bei all dem war ich mir anfangs nicht sicher – deshalb freue ich mich unheimlich über die vielen positiven Rückmeldungen, die vollen Theatersäle und über das bisher immer ausverkaufte DOSSIER-Hinterzimmer.

Calle: Ich glaube, dass diese neue Form der Kooperation zwischen Theater und Journalismus bei uns dann gut aufgeht, wenn wir uns jeweils auf unser Kerngeschäft konzentrieren, denn das ist ja eigentlich dasselbe, nämlich spannende, relevante und komplexe Geschichten zu erzählen. Unsere Methoden, diese Geschichten zu finden, sind dann aber doch wieder ganz anders. Wir sind im Theater ständig auf der Suche, lesen viel, quatschen mit unterschiedlichsten Menschen, und auch wenn es sehr viele Gradmesser für eine gute Geschichte gibt, ist für mich vor allem folgende Frage relevant: Berührt mich das? Dabei ist erstmal sekundär, ob intellektuell oder emotional. Diese Frage steht bei mir im Zentrum, weil ich nur dann die persönliche Anbindung habe, um eine Geschichte auf die Bühne zu bringen. Hast du auch so eine Frage? Oder was nordet dich da ein?

Georg: Die simple, aber ganz zentrale Frage für uns ist immer: Besteht öffentliches Interesse? Damit ist natürlich ein gerechtfertigtes Interesse gemeint, kein voyeuristisches. Aber grundsätzlich funktioniert Journalismus ganz simpel: Es geht darum, Neuigkeiten zu berichten – idealerweise exklusiv, da ist DOSSIER nicht anders als andere Medien. Was uns unterscheidet: Für uns ist es immer wichtiger, richtig zu liegen, als schneller zu sein. Wir wollen durch unseren Journalismus dazu beitragen, die Öffentlichkeit bestmöglich zu informieren und Missstände aufzuzeigen.

Georg: Jetzt hab ich deine Frage nochmal gelesen: »Berührt mich das?« Es gibt im Journalismus natürlich eine Entsprechung. Neben Neuigkeit und Nutzen gibt es den Nachrichtenfaktor Nähe – das kann man geografisch, aber auch emotional auslegen. Da decken sich die Ziele von Theater und Journalismus also wieder. Apropos: Wo soll das alles hinführen, Calle? Was würdest du gerne in unserer Zusammenarbeit noch erreichen?

Calle: Das ist eine gute Frage! Ich würde gerne mit euch noch so viele narrative Zugänge wie möglich erproben und danach forschen, auf wie viele verschiedene Arten wir eure Recherchen erzählen können – und zwar nicht nur auf der Bühne! Aber jetzt setze ich mich erstmal wieder an die Textfassung für unsere nächste Zusammenarbeit mit dem Arbeitstitel DIE REDAKTION. Da gibt’s noch viel zu tun.

Georg: Was für ein gelungener Teaser, da merkt man gleich, dass du aus dem Showgeschäft kommst. Dann frohes Schaffen! Und danke für alles an dich und dein Team, Calle! Wir freuen uns schon auf die nächsten künstlerisch-journalistischen Abenteuer – und sogar ein bisschen auf das Lampenfieber

Über die Kooperation

Die Zusammenarbeit zwischen DOSSIER und dem Volkstheater Wien begann mit der Produktion »Die Rechercheshow« zu unseren Red-Bull-Recherchen für die Bezirke--Reihe – dabei tourt das Theater, wie der Titel schon sagt, durch Spielstätten in den Wiener Bezirken. Das zweite Stück, das auf den DOSSIER-Recherchen zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Skiheld Toni Sailer basiert, heißt »Heldenplätze« und wird weiterhin gezeigt. Zusätzlich veranstaltet DOSSIER regelmäßig die Mitgliederveranstaltung »Hinterzimmer« in der Roten Bar des Volkstheaters – dort geht es um die Geschichten hinter den Schlagzeilen. Im April 2022 fand die DOSSIER--Academy erstmals als internationale Investigativkonferenz statt – ebenso im Volkstheater Wien. Die neue Produktion »Die Redaktion« wird 2023 bei der Bezirke-Tournee gezeigt.