Zahnlose Strafverfolgung

Immer wieder zeigen Pflegeskandale,- wie schwer es ist, jemanden strafrechtlich für Missstände in einem Heim zur Verantwortung zu ziehen. Warum eigentlich?

Text: Julia Herrnböck

Pflegeheime9.4.2024 

Wie oft Missstände in Alten- und Pflegeheimen angezeigt werden, wird in Österreich nicht erfasst. Dass entsprechende Vorfälle aber selten strafrechtliche Ermittlungen oder gar Verurteilungen nach sich ziehen, darin sind sich Sachverständige, Anklagebehörden und zuständige Kontrollinstanzen wie das Vertretungsnetz einig.

Gerade im Bereich der Altenpflege sei es zudem schwierig, Straftaten nachzuweisen: »Wunden und blaue Flecken kommen am Lebensende vor. Es ist kaum möglich zu sagen, ob sie verursacht wurden oder passiert sind«, beschreibt eine langjährige Gutachterin, die anonym bleiben ­möchte, das Problem. Dass von ihr dokumentierte Missstände vor Gericht landen, sei die Ausnahme, sagt sie zu DOSSIER.

Auch Reinhard Klaushofer, von 2012 bis 2021 Leiter einer Regionalkommission der Volksanwaltschaft, hat im Rahmen seiner Tätigkeit die Erfahrung gemacht, dass Strafanzeigen im Bezug auf Fälle in Altenheimen »selten zu Ermittlungen oder Verurteilungen führen. Täter·innen und schlechte Organisationen fühlen sich dadurch bestätigt, Whistleblower·innen entmutigt«, so der heutige Bundesleiter der Kommission für Maßnahmen- und Strafvollzug.

Weshalb die Beweisführung im Zusammenhang mit älteren, multimorbiden Menschen besonders herausfordernd ist, erläutert ein Staatsanwalt in einem vertraulichen ­Gespräch mit DOSSIER. »Verletzungen, selbst bei präziser Dokumentation, können diverse Ursachen haben. Ebenso sind Todesfälle in Altenheimen an sich nicht ungewöhnlich«, führt er aus. Und: »Potenzielle Opfer sind oft nicht vernehmungsfähig oder bereits verstorben.«

Das war auch im Prozess rund um das Senecura-Heim Sitzenberg-Reidling der Fall – die Taten hatten sich auf Demenzstationen abgespielt. Der leitende Chefinspektor berichtete im März 2023 dazu vor Gericht, es habe mehr als hundert Anhörungen gegeben, doch »verwertbare ­Opfereinvernahmen waren nicht möglich«.

Dass es in diesem Fall am Ende doch zu Schuldsprüchen kam, ist Chatprotokollen zu verdanken: Die verurteilten ­Pflegekräfte schrieben auf Whatsapp, wie sie welche ­Bewohner·innen monatelang mit Psychopharmaka und Schlafmitteln ruhiggestellt und wo sie die Medikamente versteckt hatten.

Im Fall des Pflegeskandals im Clementinum-Heim in Kirchstetten 2016 wurden sogar Verstorbene exhumiert. Doch die Feststellung, ob die im Blut nachgewiesenen Medikamente nur lebensverkürzend oder auch palliativ gewirkt haben, ist oft nicht zweifelsfrei möglich.

Auch im Fall Kirchstetten waren Chatprotokolle ausschlaggebend für die Verurteilungen. »Ohne solche Nachweise gestaltet sich die Beweisführung schwierig bis unmöglich«, so der Anklagevertreter.

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