Update vom 1. August 2024
Staatsanwalt startet Ermittlungen wegen Quälen eines Wehrlosen
Der Pflegeheimbetreiber Senecura sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Auslöser war eine DOSSIER-Recherche, wonach der 89-jährige Günter Längle in einem Vorarlberger Pflegeheim verhungert sein soll. Senecura präsentierte zu Wochenbeginn zwei entlastende Privatgutachten. »Der zentrale Vorwurf der Vernachlässigung von Günter L. wird in beiden Gutachten klar verneint«, so Senecura-Geschäftsführer Anton Kellner in einer Presseaussendung. Doch mit der Präsentation der von Senecura beauftragten und bezahlten Gutachten ist die Sache noch nicht ausgestanden. Der Tod von Günter Längle interessiert nicht nur den Patientenanwalt (siehe Story weiter unten) und den Landesvolksanwalt, sondern seit kurzem auch die Justiz.
Laut DOSSIER-Informationen wurde das Landeskriminalamt Vorarlberg eingeschalten. »Wir haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet«, bestätigt Staatsanwalt Heinz Rusch, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft (StA) Feldkirch, gegenüber DOSSIER. »Ermittelt wird wegen Paragraf 92 Strafgesetzbuch.« Gemeint ist der Verdacht des »Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen« (Paragraf 92 StGB). Gegen wen wird nun ermittelt? Wurden erste Zeug·innen einvernommen? StA-Sprecher Rusch: »Ich ersuche um Verständnis, dass wir im Moment keine inhaltliche Stellungnahme abgeben.«
Vor einer Woche hat DOSSIER erstmals über einen Pflegeskandal in Vorarlberg berichtet. Es geht um einen Mann, der 2022 in einem Pflegeheim der profitorientierten Senecura-Gruppe in Hard in Vorarlberg untergebracht war. Der 89-jährige Günter Längle war rasch auf weniger als 46 Kilo abgemagert, hatte Dekubitus und musste mehrfach ins Spital, bevor er starb.
Die Familie wirft Senecura Vernachlässigung vor, der Vater sei im Heim verhungert, klagen die Söhne an. DOSSIER-Recherchen ergaben Hinweise auf ein Versagen beim Pflegeheimbetreiber und der Heimaufsicht des Landes Vorarlberg. Die zuständige Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) beschwichtigte: Nach einer Beschwerde der Familie habe bereits eine Prüfung durch das Land stattgefunden. Dabei habe die Amtssachverständige keine Pflegefehler feststellen können.
Aufgrund der DOSSIER-Recherchen prüfte Vorarlbergs Patientenanwalt den Fall im Auftrag der Angehörigen: Nun legte er seinen Zwischenbericht zu dem Fall vor – und der hat es in sich. Laut Patientenanwalt fehlten angefangen vom ersten Aufenthalt zur Übergangspflege des Bewohners im Senecura-Heim in Hard 2021 bis zu seiner stationären Aufnahme und seinem Tod im Jahr 2022 etwa wichtige Dokumente, aus denen Zustand und Pflegemaßnahmen hervorgehen.
Angaben widersprüchlich
»Ich bin davon überzeugt, dass auch die von Senecura zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht komplett sind«, stellt Patientenanwalt Alxeander Wolf fest. Doch nicht nur das: Auf fünf Seiten kritisiert er, dass die Pflegedokumentation widersprüchlich sei, was die Entstehung der massiven Dekubitus betrifft. Diese werden – anders als von Senecura behauptet – erstmals zwei Tage nach seinem Einzug ins Heim festgehalten.
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Der Patientenanwalt erhebt konkrete Vorwürfe zur Wundversorgung des Mannes: Selbst noch als sich bereits »übelriechender Geruch und zähe Beläge« ausgebreitet hätten, habe das Heim weder einen Wundmanager noch einen Arzt hinzugezogen. Erst auf Einschreiten der Familie wurde Herr Längle ins Krankenhaus überstellt und musste operiert werden.
Wie DOSSIER berichtete, hatte der Mann im Heim rapide an Gewicht verloren, bis er verstarb. Patientenanwalt Wolf kritisiert nun, dass nicht wie vorgeschrieben überwacht wurde, ob der Bewohner ausreichend Flüssigkeit zu sich nahm. Die Aufzeichnungen würden sich nicht mit dem tatsächlichen Bedarf decken, »weshalb von einem Mangel ausgegangen werden muss«, schreibt Wolf. Er führt ein konkretes Beispiel an.
Am 9.7.2022 hält das Heim fest, Herr Längle habe »genug getrunken und Suppe zu sich genommen« – doch am selben Tag wurde er ins Landeskrankenhaus Bregenz eingeliefert, wo festgestellt wurde, dass sein Körper bereits stark ausgetrocknet war. Nach einer Infusion sei sofort eine deutliche Besserung eingetreten.
22 Kilo verloren
Zum gleichen Befund kommt der Patientenanwalt in puncto Ernährung. Es sei »komplett unverständlich, dass nicht in kurzen Abständen das Gewicht kontrolliert wurde«. Es hätte dem Heim »augenscheinlich sein müssen«, dass der Patient an Gewicht verliert. Insgesamt waren es nach dem Bericht des Patientenanwalts rund 22 Kilo zwischen Jänner und Juli. Einmal wird in der Dokumentation sogar ein komplett falsches Gewicht von Herrn Längle erfasst: An einem Tag wird es mit 56,5 kg beziffert, am nächsten in der Dokumentation des Heims mit 45,6 Kilo.
Vorwürfe gegen Amtssachverständige
In weiterer Folge habe er sich mit der Begutachtung der Amtssachverständigen auseinandergesetzt, schreibt Wolf. Diese war nach einer Beschwerde der Familie gegen Senecura im Juli 2022 vom Land in das Senecura-Heim in Hard geschickt worden.
Trotz einer langen Liste an Mängeln, die sie wahrnimmt, konnte die Amtssachverständige damals jedoch keine Pflegefehler im Fall von Herrn Längle feststellen. In einem internen Gutachten schreibt sie allerdings, dass aufgrund des massiven Personalmangels zu dem Zeitpunkt bereits Gefahr im Verzug für Bewohner·innen und Mitarbeitende besteht.
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Wenige Tage nach ihrem Besuch starb Herr Längle. Das Land hielt in einer Stellungnahme fest, alle Aufsichtsaufgaben erfüllt zu haben.
Das sieht der Patientenanwalt anders. »Die Amtssachverständige geht von falschen Voraussetzungen aus und auch die Schlussfolgerungen sind meiner Ansicht nach nicht schlüssig und nachvollziehbar«, so Wolf. Er hat angekündigt, weitere Unterlagen einfordern zu wollen und seinerseits eine unabhängige Expertin mit der Begutachtung zu beauftragen.