Ein Jahr nach der ersten DOSSIER-Enthüllung über den Todesfall von Herrn L. im Senecura-Heim Hard »Haus in der Wirke« liegt nun ein brisanter Bericht des Vorarlberger Landesvolksanwalts vor. Das Fazit: Es gibt Versäumnisse des Landes bei Kontrolle und Personalvorgaben in Pflegeheimen.
Wie der ORF diese Woche berichtete, kam zudem eine von der damaligen Landesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) angekündigte Untersuchungskommission nie zustande. Die heute zuständige Landesrätin Martina Rüscher (ÖVP) verweist auf die Verfahren durch den Volksanwalt und den Patientenanwalt – eine eigene politische Aufarbeitung fand nicht statt. Ein bereits in Aussicht gestelltes Entschädigungsangebot zog Senecura zurück – begründet mit dem Kontakt der Familie zur DOSSIER-Redaktion. Ermittlungen laufen weiter, inzwischen auch zu einem zweiten Fall im selben Heim.
Volksanwalt sieht Missstand in der Verwaltung
Nach der Berichterstattung von DOSSIER leitete der Landesvolksanwalt sein Prüfverfahren ein. Der nun DOSSIER exklusiv vorliegende Abschlussbericht nennt zwei zentrale Mängel: Zum einen seien die gesetzlichen Prüfintervalle für Heime unzureichend geregelt. Das ursprünglich vorgesehene dreijährige Kontrollintervall wurde laut Bericht 2023 »irrtümlich« aus dem Durchführungserlass gestrichen. Das wäre wahrscheinlich nicht passiert, »wenn ein öffentliches Begutachtungsverfahren durchgeführt worden wäre«, hält Landesvolksanwalt Klaus Feurstein fest.
Zum anderen kritisiert Feurstein die unklare Regelung der Personalausstattung: Weder Transparenz noch rechtlich verbindliche Vorgaben seien derzeit in Vorarlberg gegeben – ein Punkt, der bereits zuvor vom Rechnungshof kritisiert wurde. Ein weiteres brisantes Detail: Laut Bericht werden die regulären Kontrollbesuche in den Heimen »in der Regel ca. 4 Wochen vorher angekündigt«. Das wirft die Frage auf, ob so zuverlässig Missstände aufgedeckt werden können.
»Angemessenes Verhalten« steht nicht im Gesetz
Im Fall des Bewohners, dessen Tod Anlass für die Prüfung im Jahr 2022 war, stellte die Amtssachverständige des Landes Versäumnisse bei der Pflegeplanung fest, attestierte dem Pflegepersonal aber eine »angemessene Vorgehensweise«. Feurstein stellt jetzt in seinem Bericht allerdings klar, dass diese Beurteilung nicht gleichzusetzen sei mit »angemessener Pflege«, so wie sie im Gesetz beschrieben ist.
Ob die Pflegesituation im Senecura-Heim tatsächlich den gesetzlichen Standards entsprochen habe, könne er nicht beurteilen: »Diese Beurteilung hätte die Heimaufsicht allenfalls nachzuholen und gegebenenfalls dem Heimträger entsprechende Maßnahmen auftragen müssen.«
Bestellen Sie jetzt das Magazin »Ab ins Heim – Profit und Not in der Altenpflege«!
Eine aufwendige Recherche von DOSSIER zeigt, wie Pflegenotstand und Profitstreben Hand in Hand gehen. Erfahren Sie, wie Politikversagen und mangelnde Aufsicht die Pflegequalität in Österreichs Pflegeheimen gefährden und wie profitorientierte Konzerne Profit daraus schlagen.
Der Landesvolksanwalt fordert vom Land gesetzlich verbindliche Prüfintervalle – inklusive mindestens einer jährlichen pflegefachlichen Kontrolle. Dafür müsse auch die personelle Ausstattung der Aufsicht überprüft werden. Um Missstände künftig zu verhindern, verlangt Feurstein zudem klare gesetzliche Vorgaben zu Personalschlüsseln und verpflichtender Qualitätssicherung. Die Landesregierung hat nun zwei Monate Zeit, auf den Bericht zu reagieren.
»Die Anregungen und Feststellungen des Landesvolksanwalts wurden aufgenommen und befinden sich bereits in Bearbeitung, die zentralen Empfehlungen werden umgesetzt«, schreibt die Pressestelle auf Nachfrage. Bereits 2024 sei mit einer umfangreichen Reorganisation der Heimaufsicht sowie Schulungen in den Heimen begonnen worden. Die Prüfung der Heime wurde aufgeteilt in eine kommissionelle Prüfung und eine Qualitätskontrolle, »jeweils jährlich alternierend«.
Ein Todesfall mit vielen Fragen
Herr L. starb 2022 im Pflegeheim Senecura in Hard. Laut seiner Familie und Unterlagen war er zum Zeitpunkt seines Todes stark unterernährt und in einem schlechten Allgemeinzustand. Mehrfach musste er während seines Heimaufenthalts im Krankenhaus behandelt werden. Die Angehörigen werfen dem privaten Heimträger vor, er sei verhungert und falsch gepflegt worden.
Noch zu Lebzeiten wandten sich die Söhne an die Pflegeaufsicht der Landesregierung. Diese kam zwar zur Kontrolle ins Haus – sah L. jedoch nie persönlich, weil sie ihn nicht wecken wollte, wie in ihrem Bericht steht. Offiziell wurden keine Verstöße festgestellt. Intern aber schlug die zuständige Sachverständige Alarm, berichtete dass »Schädigungen und Gefährdungen der Bewohnenden und Mitarbeitenden nicht auszuschließen sind« und verhängte behördliche Auflagen. Öffentlich wurde das erst durch Recherchen von DOSSIER.
Angebot gemacht – und zurückgezogen
2024 wandte sich die Familie an den Patientenanwalt Alexander Wolf. Eine von ihm beauftragte Sachverständige kam in einem Gutachten zum Schluss, dass »nicht angemessene Pflege und Mängel in der Dokumentation« vorlagen. Daraufhin kam es zu einem Treffen mit dem Senecura-Management – in einem späteren Telefonat mit dem Patientenanwalt wurde der Familie eine mögliche Abfindung in Aussicht gestellt.
Doch im Mai 2025 zog Senecura das Angebot zurück – mit der Begründung, die Familie habe mit der DOSSIER-Redaktion Kontakt gehabt. »Wir wollten eigentlich damit abschließen«, sagt Heimo L., einer der drei Söhne. »Doch diese Begründung hat uns so geärgert, dass wir uns nun als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen haben.«
Die Familie verweist in ihrer Erklärung an die Staatsanwaltschaft Feldkirch auch auf das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – ein rechtliches Instrument, das auch Unternehmen strafrechtlich belangen kann.
Ermittlungen laufen weiter
Die Staatsanwaltschaft Feldkirch bestätigt, dass sie weiterhin im Zusammenhang mit dem Tod von Herrn L. wegen des Verdachts auf Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen ermittelt. Zudem geht das Landeskriminalamt seit kurzem einem weiteren Vorfall im selben Heim nach: Ein Bewohner war Anfang 2025 unter bislang ungeklärten Umständen gestürzt.
Gleichzeitig läuft der geplante Verkauf von Senecura, Österreichs größtem privaten Pflegeheimbetreiber, weiter. Das Burgenland bekräftigte Anfang Juli Interesse an den fünf Senecura-Heimen im Bundesland. Auch ein gemeinnütziges Konsortium unter Beteiligung der Caritas ist an der Übernahme von Senecura in Österreich interessiert. Weitere Details zum Verkauf im DOSSIER-Beitrag »Pflegeheime zu verkaufen«.
