Kritik im Visier

Whistleblower·innen werden bei Senecura eingeschüchtert oder gar gekündigt. Wie der größte private Pflegeheimbetreiber -Österreichs kritische Stimmen zum Schweigen bringt.

Text: Julia Herrnböck

Pflegeheime9.4.2024 

»Woher soll ich wissen, dass Sie keine Spionin für Senecura sind?«, fragt W. – und blickt misstrauisch her­über. Wir sitzen im Auto und sind auf dem Weg zu ihr nach Hause, wo sie mir Unterlagen und Fotos zu Missständen in Senecura-­Heimen zeigen wird. W. arbeitet für eine Einrichtung, die Pflegeheime, unter anderem von Senecura, kontrolliert. Und obwohl sie gar nicht bei ­Senecura ­­beschäftigt ist, macht sie sich Sorgen.

»Ich glaube, die können ein berufliches Leben in Österreich ­zerstören«, sagt W. »So gute An­wälte kann ich mir gar nicht leisten.« Mit ihrem Misstrauen ist sie ­nicht allein.

Die Angst vor Konsequenzen, allen voran vor rechtlichen Problemen, ist im Umfeld von Senecura weitverbreitet. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Recherchen für dieses Magazin: Kaum jemand ist bereit, ohne Zusicherung von Anonymität über ­Österreichs größten privaten Pflegeheimbetreiber zu sprechen – und schon gar nicht über die schlechten Arbeitsbedingungen und mögliche Missstände in der Pflege.

Nicht nur aktive, sondern auch ehemalige Mitarbeiter·innen fürchten, dass es sie teuer zu stehen kommen könnte, wenn sie auspacken. Denn bei Senecura werden kritische Mitarbeiter·innen eingeschüchtert, viele, die Probleme melden, gekündigt und Whistleblower·innen unter Druck gesetzt. Dabei schreibt sich der Konzern den Leitsatz »Näher am Menschen« auf die Fahnen.

Dieser stehe, wie in den Jahresabschlüssen nachzulesen ist, für »eine Grundhaltung der Wertschätzung gegenüber allen Menschen«. Explizit erwähnt werden auch ­die Mitarbeiter·innen.

Von diesen fordert Senecura nicht nur für die Dauer der Beschäftigung Verschwiegenheit ein, sondern auch in der Zeit danach: Wenn Führungskräfte die Firma verlassen, müssen sie eine Klausel unterschreiben, in der sie »ausdrücklich« auf die »unter Sanktionen stehende Verschwiegenheitserklärung und auf deren Einhaltungsverpflichtung auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses hingewiesen« werden.

Aus diesem Grund fürchten sich auch ehemalige Mitarbeiter·innen davor, über Missstände in den Heimen zu sprechen. Verschwiegenheitserklärungen an sich sind in der Branche nicht ungewöhnlich. Mit welcher Härte Senecura gegen Whistleblower·innen und Kritiker·innen vorgeht, hingegen schon.

Das scheint Teil der Unternehmenskultur des französischen Mutterkonzerns Orpea zu sein: Aus mehreren Ländern, in denen die Orpea-Gruppe tätig ist, gibt es ähnliche Berichte.

Message-Control

Der Druck habe bald nach der Übernahme durch Orpea im Jahr 2015 begonnen, erinnert sich A., eine ehemalige Führungskraft bei Senecura. In den ersten gemeinsamen Besprechungen sei dem Management klargemacht worden, dass Kommunikation nach außen nicht geduldet werde.

Nicht einmal, als sich in Salzburg-Lehen die Katastrophe angebahnt habe, habe er sich getraut, Behörden oder Medien einzuschalten, erzählt er, »obwohl alle Bescheid gewusst haben, was da los ist«. A. sagt, er sei auch jetzt von Kolleg·innen von Senecura gewarnt worden, ja nicht mit Medien zu sprechen. ­Er macht es trotzdem, »weil es um die Menschen im Heim geht«, wie er sagt.

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